Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
das Herz bedrückte, aber Forestiers Bild war in seinem Geiste wieder lebendig und er konnte nur noch an ihn denken und von ihm reden. Er fragte mit boshafter Stimme:
»Sag’ doch, Made?«
»Was ist’s, mein Liebling?«
»Hast du diesen armen Charles betrogen?«
Sie erwiderte verächtlich:
»Du bist zu dumm mit deinem abgeschmackten Zeug.«
Doch er ließ nicht nach:
»Sag’ doch, meine liebe Made, sei aufrichtig und gesteh’ es, du hast ihn betrogen? Gestehe, daß du ihn betrogen hast!«
Sie schwieg, wie alle Frauen, etwas verletzt durch seine Worte. Er fuhr eigensinnig fort:
»Donnerwetter, wenn jemand dazu geschaffen war, Hörner zu tragen, dann war er es. O ja, bestimmt. Es hätte mir so riesigen Spaß gemacht, zu erfahren, daß man dem armen Forestier Hörner aufgesetzt hatte. Was für ein blöder Schafskopf war er doch!«
Er merkte, daß sie lächelte, vielleicht über einige Erinnerungen aus den vergangenen Zeiten; er drang immer mehr in sie.
»Sag’ doch! Was ist denn dabei? Es wäre doch so komisch, wenn du gerade mir gestündest, daß du ihn betrogen hast.«
Er zitterte tatsächlich in der Hoffnung und dem Verlangen, daß sie den Charles, diesen verhaßten Charles, den verwünschten Toten, so lächerlich und schmachvoll betrogen hätte und doch … doch stachelte eine andere verworrene und unbestimmte Empfindung seine Neugierde an. Er wiederholte:
»Made, meine kleine Made, ich bitte dich, sag’ es mir l Er hatte es doch wirklich verdient, und es wäre recht dumm von dir gewesen, ihm keine Hörner aufzusetzen.«
Sein hartnäckiges Bitten machte ihr jetzt offenbar Spaß, denn sie lachte ein paarmal kurz und leise auf. Er hielt seine Lippen ganz dicht an das Ohr seiner Frau:
»Nun bitte, gib es doch zu.«
Mit einer kurzen Bewegung riß sie sich los und sagte schroff:
»Du bist zu dumm, man antwortet nicht auf solche Fragen.« Sie sagte es in einem so seltsamen Tone, daß ein Kälteschauer ihm durch die Adern rann. Er blieb betroffen, stumm und atemlos sitzen, als hätte ihn innerlich ein Schlag getroffen.
Die Droschke fuhr jetzt an dem See entlang, in dem sich der Himmel und die Sterne abspiegelten. Zwei Schwäne schwammen langsam auf dem Wasser und waren im Dunkel kaum zu sehen. Georges rief dem Kutscher zu: »Umkehren!« Und der Wagen drehte um und fuhr an den andern vorbei, die im Schritt daher kamen und deren Laternen wie große Augen durch die Nacht leuchteten. »Wie seltsam hatte sie das gesagt.« Fragte sich Du Roy: »War das ein Geständnis?« Und die fast sichere Gewißheit, daß sie ihren ersten Mann hintergangen hatte, machte ihn jetzt rasend vor Wut.
Er hatte Lust, sie zu schlagen, zu würgen und an den Haaren zu reißen. Oh, wenn sie ihm geantwortet hätte: »Mein Liebling, hätte ich ihn betrügen wollen, so hätte ich es doch mit dir getan.« Wie hätte er sie dann umarmt, an sich gepreßt und angebetet. Unbeweglich mit gekreuzten Armen saß er jetzt da und hielt die Augen zum Himmel gerichtet. Er war zu aufgeregt, um denken zu können. Er fühlte nur den Zorn und den Haß in sich wachsen, der im Herzen eines jeden Mannes gegenüber der launischen Begierde der Frau erwacht. Er fühlte zum erstenmal die dumpfe Angst des Ehemannes, der Verdacht geschöpft hatte. Kurz und gut, er war eifersüchtig. Eifersüchtig auf den Toten, für die Rechnung Forestiers. Es war eine seltsame und quälende Eifersucht, in die sich ein spontaner Haß gegen Madeleine mischte. Sie hatte doch den anderen betrogen, wie konnte er noch Vertrauen zu ihr haben. Allmählich beruhigte er sich innerlich. Er kämpfte gegen seine inneren Qualen an und dachte: »Alle Frauen sind Dirnen, man muß sie für sich ausnutzen, aber nichts von sich und von seinem Geiste ihnen geben.« Er hatte Lust, seine bittere Stimmung durch Worte der Verachtung und des Ekels Ausdruck zu geben. Er bezwang sich aber und ließ sie nicht laut werden und immer wieder wiederholte er für sich: »Dem Starken gehört die Welt. Man muß stark und über alles erhaben sein.«
Der Wagen fuhr schneller. Er kam an den Stadtbefestigungen vorbei. Du Roy sah vor sich auf dem Himmel einen roten Schimmer, gleich dem Feuerschein, einer ungeheuren Esse. Er vernahm ein verworrenes gewaltiges, ununterbrochenes Getöse, das sich aus unzähligen, verschiedenartigen Geräuschen zusammensetzte, ein dumpfes Brausen, das bald näher, bald weiter klang, ein unbestimmtes, ungeheueres Vibrieren des Lebens, den Atem von Paris, das in dieser Sommernacht wie ein müder und erschöpfter Koloß keuchte.
Georges dachte: »Ich wäre ja schön dumm, wenn ich mich ärgern würde. Jeder für sich. Der Sieg gehört dem Mutigen. Alles ist nur Egoismus. Der Egoismus und der Ehrgeiz, vorwärts zu kommen und sich ein Vermögen zu erwerben, ist mehr wert als der Ehrgeiz, eine Frau zu besitzen und zu lieben.«
Am Eingange der Stadt wurde der Triumphbogen mit seinen beiden Riesenschenkeln sichtbar. Er glich einem gewaltigen Ungeheuer, das sich in Bewegung setzen wollte, um die breite Avenue hinabzuschreiten. Georges und Madeleine fuhren nun wieder in der langen Reihe der heimkehrenden Wagen, die die leidenschaftlichen und stummen Liebespaare nach Hause führten. Ihm war, als ob die ganze Menschheit, berauscht von Liebe, Lust und Glück, an ihm vorüberfuhr.
Die junge Frau schien zu ahnen, was im Inneren ihres Mannes vorging, und sie fragte ihn mit sanfter Stimme: »Woran denkst du, mein Freund? Seit einer halben Stunde hast du nicht ein Wort gesprochen.«
Er erwiderte etwas höhnisch:
»Ich denke an alle diese Dummköpfe, die sich umarmen und küssen, und ich meine, man hat im Leben wirklich Besseres und Wichtigeres zu tun.«
»Nun ja,« murmelte sie, »aber manchmal ist es doch sehr schön.«
»Wenn man nichts anderes zu tun hat, dann ja, natürlich ist es schön.«
Georges Gedanken waren von Wut und Bosheit erfüllt, und er bemühte sich, sein Leben jeglicher Poesie zu entkleiden. »Ich bin nicht so dumm,« dachte er, »um Rücksichten zu nehmen und auf irgend etwas zu verzichten, mir Sorgen und Ärger zu bereiten, wie ich es seit einiger Zeit tue.« Der Gedanke an Forestier flog ihm noch einmal durch den Kopf, ohne in ihm eine Erregung auszulösen. Es war ihm, als hätten sie sich wieder ausgesöhnt, als wären sie wieder Freunde geworden. Er hatte Lust, ihm zuzurufen: »Guten Abend, alter Freund.«
Madeleine schien dieses Schweigen zu bedrücken und sie fragte:
»Wollen wir, ehe wir nach Hause fahren, bei Tortoni ein Eis essen?« Er blickte sie von der Seite an. Das helle Licht einer Gasgirlande vor einem Café-Chantant fiel auf ihr feingeschnittenes blondes Profil; er dachte: »Sie ist doch hübsch. Um so besser! Wie du mir, so ich dir, meine schöne Gefährtin; aber daß ich mir deinetwegen Sorgen mache — nein, eher glüht der Nordpol vor Hitze!« Und laut antwortete er:
»Sehr gern, mein Liebling.«
Damit sie nichts merken sollte, küßte er sie. Doch der jungen Frau erschienen die Lippen ihres Mannes eiskalt.
Trotzdem lächelte er ihr wie gewöhnlich zu und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen aus dem Wagen zu helfen.
III.
Als Du Roy am nächsten Morgen auf die Redaktion kam, ging er sofort zu Boisrenard.
»Mein lieber Freund,« sagte er, »ich muß dich um eine Gefälligkeit bitten. Seit einiger Zeit findet man Spaß daran, mich Forestier zu nennen. Mir wird es allmählich zu dumm, und ich bitte dich daher, deinen Kollegen in aller Freundschaft mitzuteilen, ich würde jeden, der sich noch einmal den Scherz erlaubt, ohrfeigen. Sie mögen sich selbst überlegen, ob die Albernheit einen Degenstich wert ist. Ich wende mich an dich, weil du ein ruhiger Mensch bist, der ärgerliche Verwicklungen verhindern kann und außerdem, weil du bei meinem Duell sekundiert hast.«
Boisrenard versprach den Auftrag auszuführen.