Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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bei dem Gedanken an die früheren Beziehungen seines alten Freundes zu seiner jetzigen Frau zu beunruhigen und zu ärgern.

      Bisweilen wunderte er sich selbst über diese innere Empörung seines Herzens, die er sich nicht erklären konnte, und er fragte sich: »Zum Teufel, wie kommt das nur? Ich bin doch nicht auf die Freunde Madeleines eifersüchtig; ich kümmere mich nicht darum, was sie treibt; sie kommt und geht, wie es ihr paßt und nur der Gedanke an diesen blöden Kerl, den Charles, macht mich direkt wütend.« Und in Gedanken setzte er hinzu: »Im Grunde war er ein Idiot, und das ist es, was mich so kränkt. Ich ärgere mich, daß Madeleine so einen Schafskopf hatte heiraten können.«

      Und er wiederholte sich immerfort: »Wie konnte diese Frau so ein Vieh nur einen Augenblick gern haben?« Und sein Haß und seine Eifersucht wurden von Tag zu Tag durch unzählige Kleinigkeiten aufgestachelt, die ihn wie Nadelstiche peinigten. Immerfort wurde er an den anderen erinnert. Bald durch eine Bemerkung Madeleines, bald durch ein Wort des Dieners oder des Stubenmädchens.

      Eines Abends fragte Du Roy, der süße Speisen liebte: »Warum haben wir nie ein Zwischengericht? Du läßt nie welche auftragen.«

      Die junge Frau antwortete fröhlich:

      »Das ist wahr, ich habe gar nicht daran gedacht; das kommt daher, weil Charles sie nicht ausstehen konnte.

      Er konnte sich nicht mehr beherrschen und schnitt ihr mit einer ungeduldigen Bewegung das Wort ab:

      »Ach weißt du, dieser Charles beginnt mir auf die Nerven zu gehen. Es geht ja fortwährend: Charles hier, Charles dort. Charles liebte dieses, Charles liebte jenes. Nun ist Charles krepiert, also soll man ihn endlich in Ruhe lassen.«

      Madeleine sah ihren Mann erstaunt an. Sie begriff diesen plötzlichen Wutausbruch nicht. Doch bald ahnte sie mit ihrem scharfen Verstande, was in ihm vorging, die langsame Wühlarbeit dieser verspäteten Eifersucht, die jeden Augenblick wuchs, und durch alles genährt wurde, was ihn an den Toten erinnerte.

      Sie hielt es vielleicht für kindisch, fühlte sich jedoch geschmeichelt und erwiderte nichts.

      Er ärgerte sich über seine Gereiztheit, und daß er sich nicht hatte beherrschen können. Abends nach dem Essen arbeiteten sie wieder zusammen an einem Artikel für den nächsten Tag und er verwickelte sich in den Fußsack. Er konnte nicht mit den Füßen hinein, warf ihn mit einem Fußtritt beiseite und fragte lachend: »Charles hatte wohl immer kalte Füße?«

      Sie lachte auch und antwortete:

      »Oh, er lebte in einer ständigen Furcht vor Erkältungen; er hatte auch schwache Lungen.«

      »Er hatte es übrigens auch bewiesen«, erwiderte Du Roy boshaft. Dann setzte er höflich und galant hinzu: »Zum Glück für mich.« Und er küßte seiner Frau die Hand.

      Doch als sie zu Bett gingen, fragte er immer von demselben Gedanken verfolgt:

      »Trug Charles auch baumwollne Nachtmützen, damit er keinen kalten Luftzug an die Ohren kriegte?«

      Sie ging auf den Scherz ein und erwiderte: »Nein, er band sich ein Madrastuch um die Stirn.«

      Georges zuckte die Achseln und sagte mit endloser Verachtung :

      »So ein Affe.«

      Seitdem war Charles für ihn ein unerschöpflicher Unterhaltungsgegenstand. Er sprach über ihn, bei jedem Anlaß und nannte ihn nur noch »dieser arme Charles« mit verächtlich mitleidigem Ton.

      Und wenn er von der Redaktion zurückkam, wo man ihn zwei-oder dreimal Forestier angeredet hatte, so rächte er sich dann und verfolgte den Toten bis in sein Grab mit bittersten und gehässigsten Witzen. Er spöttelte über seine Fehler, seine kleinlichen komischen Seiten, zählte sie mit Wohlbehagen auf, wobei er sie immer übertrieb und vergrößerte, als wollte er im Herzen seiner Frau den Einfluß eines gefährlichen Nebenbuhlers bekämpfen.

      Er wiederholte:

      »Sag’ mal, Madeleine, entsinnst du dich noch des Tages, als dieser Dummkopf Forestier uns beweisen wollte, daß die dicken Menschen kräftiger wären als die mageren?«

      Dann wollte er allerlei intime Einzelheiten über den Verstorbenen erfahren, worüber die junge Frau unwillig schwieg. Doch er war hartnäckig und bestand darauf.

      »Sag’ doch, erzähle es mir mal, er mußte in diesem Augenblicke recht komisch sein?«

      »Höre doch endlich auf,« murmelte leise Madeleine, »laß ihn in Ruhe.«

      Er ließ nicht nach:

      »Nein, sag’ doch. Er war sehr ungeschickt im Bett, diese Bestie.« Und er schloß jedesmal mit den Worten: »Das war aber ein Vieh!«

      Eines Abends gegen Ende Juni rauchte er am Fenster eine Zigarette. Es war sehr heiß, und er bekam Lust, einen Spaziergang zu machen.

      »Meine kleine Made,« fragte er, »willst du wohl mit mir ins Bois kommen?«

      »Selbstverständlich sehr gern.«

      Sie nahmen einen offenen Wagen und fuhren über die Champs Elysée nach dem Bois de Boulogne. Es war eine windstille Nacht, eine von diesen schwülen Nächten, wo die überheiße Luft von Paris wie Backofenglut in die Brust dringt. Ein Heer von Droschken führte ein ganzes Volk von verliebten Pärchen spazieren. Ein Wagen folgte dicht auf den anderen.

      Georges und Madeleine amüsierten sich, alle diese Pärchen zu beobachten, die an ihnen vorbeifuhren, die Frauen in hellen Sommerkleidern, die Männer meist in dunklen Anzügen. Es war ein Riesenstrom von Verliebten, der unter dem heißen Sternenhimmel nach dem Bois zog. Man hörte nur das dumpfe Rollen der Räder. Und in jeder Droschke saß immer wieder ein Liebespaar lang hingestreckt auf den Polstern, stumm und zärtlich aneinander geschmiegt, glühend vor Begierde und leidenschaftlich in Erwartung der bevorstehenden Umarmung. Die warme Nacht schien von Küssen und Liebe durchtränkt zu sein. Eine zärtliche Sinnlichkeit schwebte in der Luft und machte diese noch schwüler und drückender. Alle diese Paare, von den gleichen Gedanken und Gefühlen eingenommen, von dem Verlangen berauscht, schienen eine glühende Leidenschaft von sich auszustrahlen. Alle diese Wagen, von Liebe beladen, über denen Liebkosungen zu flattern schienen, streuten auf die Vorüberfahrenden eine Art sinnliches Fluidum aus. Und Georges und Madeleine fühlten sich von der Zärtlichkeit, die in der Luft herumschwebte, angesteckt und rückten näher zueinander, ohne ein Wort zu sagen, etwas bedrückt durch die schwüle Luft und die in ihnen erwachende Erregung.

      Als sie hinter den Befestigungen an einer Kurve vorbeifuhren, küßten sie sich und sie stammelte etwas verwirrt:

      »Wir sind genau so kindisch wie in Rouen.«

      Als sie in den Wald hineinfuhren, hatte sich der große Wagenstrom etwas zerschlagen. Auf dem Wege um die Seen, den das junge Paar einschlug, fuhren die Droschken in größeren Abständen voneinander, aber der dichte Schatten der Bäume, die etwas kühlere Luft, die unter dem weiten Sternenhimmel durch das Grün der Blätter und durch kleine Bächlein, die unter den Baumzweigen rieselten, erfrischt wurde, verlieh den Küssen der hier spazierenfahrenden Pärchen einen leidenschaftlicheren und geheimnisvolleren Reiz. Georges preßte seine Frau an sich und flüsterte:

      »O meine kleine Made«

      Sie sagte: »Entsinnst du dich des Waldes bei dir auf dem Lande? Wie es dort unheimlich war. Es schien mir, als wäre er voll von schrecklich wilden Tieren und als ob er kein Ende hätte. Hier dagegen ist es entzückend. Ich fühle das liebkosende Fächeln des Windes, und ich weiß genau, daß am anderen Ende Sèvres liegt.«

      »Oh,« erwiderte er, »im Walde bei mir auf dem Lande gibt es nur Hirsche und Füchse, Rehe und zuweilen auch Wildschweine und hier und da die Hütte eines Försters.« Förster — Forestier — dieser Name des Toten, der seinem Munde entquoll, überraschte ihn, als ob er aus dem dunklen, geheimnisvollen Dickicht käme, und er stockte, ergriffen von jener bohrenden, unbegreiflichen Eifersucht, die ihn seit einiger Zeit plagte.

      Nach einer minutenlangen Pause fragte er:

      »Bist du auch mit Charles hier öfter herausgefahren?«


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