Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
diese Berührung hatte sie erregt und betört und sie flüsterte nochmals: »Schon?« und ihr bettelnder Blick deutete auf das Schlafzimmer, dessen Tür offen stand.
Er rückte von ihr weg und sagte in eiligem Ton:
»Ich muß gleich laufen, sonst komme ich zu spät.«
Sie hielt ihm ihre Lippen zum Kusse hin; er berührte sie kaum, reichte ihr ihren Sonnenschirm, den sie zu. vergessen schien, und sagte:
»Schnell, schnell, wir müssen uns beeilen, es ist schon drei Uhr vorüber!«
Sie ging vor ihm hinaus und wiederholte:
»Morgen um sieben!«
»Morgen um sieben«, antwortete er.
Sie trennten sich; er bog nach rechts ein, sie nach links.
Du Roy ging bis zum äußeren Boulevard, dann ging er langsam den Boulevard Malesherbes entlang. Als er an einer Kuchenbäckerei vorbeikam, sah er in einer Glasschale im Schaufenster kandierte Kastanien. Er dachte: »Ich werde ein Pfund für Clotilde mitnehmen.« Er kaufte sich ein Päckchen voll von diesen Früchten, die sie wahnsinnig liebte.
Um vier war er wieder zurück und wartete auf seine junge Geliebte.
Sie verspätete sich etwas, denn ihr Mann war auf acht Tage nach Paria gekommen. Sie fragte:
»Kannst du morgen zum Diner kommen? Er würde sich sehr freuen, dich wiederzusehen.«
»Nein, ich esse beim Chef. Wir haben eine Menge verschiedener politischer und finanzieller Angelegenheiten zu besprechen.«
Sie nahm ihren Hut ab und begann ihre Bluse auszuziehen, die ihr zu eng war.
Er zeigte ihr das Päckchen auf dem Kamin:
»Ich habe für dich kandierte Kastanien mitgebracht.«
Sie klatschte in die Hände:
»Wie reizend ! Wie lieb bist du!«
Sie nahm sie, kostete eine und erklärte:
»Sie sind wundervoll. Ich fühle, ich werde nicht eine übriglassen.«
Dann blickte sie Georges mit einer sinnlichen Heiterkeit an und setzte hinzu:
»Du verwöhnst mich!«
Sie aß langsam die Kastanien und blickte dabei immer in die Tüte hinein, um zu sehen, ob noch etwas übrig sei.
Sie sagte:
»Komm, setz’ dich da in den Lehnstuhl, ich will hier zu deinen Füßen meine Bonbons knabbern. Es wird so bequem sein.«
Er lächelte und setzte sich hin. Sie ließ sich zwischen seinen gespreizten Schenkeln nieder, wie Frau Walter vorhin. Sie hob den Kopf zu ihm empor und sprach mit vollem Munde:
»Du weißt es noch nicht, mein Liebling, ich habe von dir geträumt. Ich träumte, wir machten beide eine lange Reise auf einem Kamel. Es hatte zwei Höcker, wir saßen jeder rittlings auf einem Höcker und wir ritten durch die Wüste. Wir hatten Butterbrote und eine Flasche Wein mit und wir frühstückten auf den beiden Höckern. Mich langweilte das, weil wir etwas anderes nicht tun konnten, wir saßen zu weit voneinander entfernt. Ich wollte runter…«
»Ich will auch runter«, erwiderte er.
Er lachte, amüsierte sich über die Geschichten, ließ sie Unsinn reden, alle möglichen Kindereien und zärtliche Albernheiten schwatzen. Dieses alles fand er entzückend im Munde Madame de Marelles, während dasselbe im Munde Frau Walters ihn zur Verzweiflung gebracht hätte.
Clotilde nannte ihn auch: »Mein Liebling«, »mein Kleiner«, »mein Kätzchen«. Diese Worte schienen ihm süß und liebkosend zu sein. Wenn sie aber die andere vorhin gebrauchte, wurde er nervös und wütend. Denn Liebesworte, die stets dieselben sind, nehmen bekanntlich den Geschmack der Lippen an, die sie aussprechen.
Aber trotzdem ihn diese Tollheiten erheiterten, dachte er immerfort an die 70000 Francs, die er gewinnen sollte, und plötzlich unterbrach er das Geschwätz seiner Freundin, indem er ihr mit dem Finger zwei leichte Klapse auf den Kopf gab.
»Hör’ mal zu, mein Schatz, ich will dir einen Auftrag für deinen Mann geben. Sage ihm von mir, er solle sich morgen für 10000 Francs Marokkoanleihen kaufen. Sie steht auf 72; und ich kann ihn versichern, daß er binnen drei Monaten 60-bis 80000 Francs verdienen wird. Er soll darüber aber absolutes Stillschweigen bewahren. Sag’ ihm von mir, daß die Tangerexpedition schon beschlossen ist und daß der französische Staat die marokkanische Anleihe garantieren wird. Sag’ den anderen aber kein Wort. Es ist nämlich ein Staatsgeheimnis, das ich dir anvertraue.«
Sie hörte ernst zu, dann sagte sie leise:
»Ich danke dir, ich werde es meinem Manne heute abend bestellen. Du kannst dich auf ihn verlassen, er wird nicht darüber schwatzen. Er ist ein sehr zuverlässiger Mensch. Du kannst ruhig sein.«
Inzwischen hatte sie alle Kastanien aufgegessen, zerknüllte die Tüte und warf sie in den Kamin. Dann sagte sie:
»Komm, wir wollen zu Bett.«
Und ohne aufzustehen, begann sie Georges Weste aufzuknöpfen.
Plötzlich hielt sie inne und zog mit zwei Fingern ein langes Haar aus seinem Knopfloch heraus. Sie lachte:
»Halt! Du hast ein Haar von Madeleine mitgebracht, du bist aber ein treuer Ehegatte.«
Dann wurde sie wieder ernst und prüfte lange auf der Hand den kaum sichtbaren Faden, den sie gefunden hatte.
»Es ist nicht von Madeleine, es ist schwarz.«
Er lächelte.
»Dann stammt es sicher von dem Stubenmädchen.«
Doch sie untersuchte die Weste mit dem scharfen Blick eines Polizisten und sie fand ein zweites Haar, das um einen Knopf gewickelt war, dann ein drittes; sie wurde bleich und rief zitternd aus:
»Oh, du hast mit einer Frau geschlafen, die dir ihre Haare um deine Knöpfe befestigt hat.«
Er war erstaunt und stammelte:
»Aber nein, du bist verrückt!«
Auf einmal fiel es ihm ein, er begriff es; nun wurde er verlegen, dann leugnete er lachend, denn er war im Grunde gar nicht böse, daß sie es ahnte, daß er Glück bei anderen Frauen hatte.
Sie suchte immer weiter und fand Haare, die sie mit einer schnellen Bewegung abwickelte und dann auf den Teppich warf.
Mit ihrem feinen, schlauen Fraueninstinkt hatte sie die Wahrheit erraten, und sie stammelte rasend vor Wut und mit Tränen in den Augen:
»Sie liebt dich, die da …, sie wollte, du solltest etwas von ihr herumtragen… Oh! Du bist treulos!«
Aber dann stieß sie einen Schrei aus, einen gellenden nervösen Freudenschrei:
»Oh! … Oh! es ist eine Alte … da ist ein weißes Haar … Ach, du nimmst dir jetzt alte Weiber? … Du läßt dich dafür bezahlen? Zahlen sie viel? Ha! Du bist auf alte Weiber scharf! … Dann brauchst du mich nicht mehr … Behalte dir die andere!«
Sie stand auf und griff nach ihrer Bluse, die auf einem Stuhl herumlag, und zog sie hastig an.
Er wollte sie zurückhalten; er fühlte sich beschämt und stammelte:
»Aber nein … Clo … du bist dumm … ich weiß nicht, woher es kommt … höre mal … bleibe doch hier … komm … geh nicht fort!«
Sie wiederholte:
»Behalte dein altes Weib … behalte sie … laß dir aus ihren Haaren einen Ring machen … aus den weißen Haaren … du hast genug davon da …«
Mit jähen und schroffen Bewegungen hatte sie sich schnell angezogen, den Hut aufgesetzt und ihren Schleier umgebunden. Er wollte sie festhalten; mit einem heftigen Schwung gab sie ihm eine Ohrfeige, und während er betört dastand, öffnete sie die Tür und eilte