Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Binde vom Arm, den sie nicht benutzte und zeigte ihr rundes, weißes Fleisch, das an mehreren Stellen von Dolchstichen durchbohrt war.
– Wenn ich nicht ebenso stark gewesen wäre, wie er, sagte sie, hätte er mich getötet. Mein Mann ist nicht eifersüchtig, der kennt mich, und dann wissen Sie, er ist krank, und das macht ihn ruhig. Übrigens bin ich eine anständige Frau. Aber mein Schwager glaubt alles, was ihm erzählt wird, er ist eifersüchtig für meinen Mann, und er fängt sicher wieder an. Wenn ich aber eine kleine Pistole hätte, wäre ich ruhig, weil ich weiß, daß ich mich rächen kann. Johanna versprach die Waffe zu schicken, nnd küßte zärtlich die neue Freundin. Dann gingen sie fort.
Die übrige Reise war wie ein Traum, eine unausgesetzte Liebkosung. Sie sah nichts, nicht die Landschaft, nicht die Menschen, nicht die Orte, wo sie sich aufhielten, sie sah nur noch Julius.
Da begann die kindische, reizende Heimlichkeit der Liebe, kleine, thörichte Worte wurden gewechselt, und sie nannten einander mit allen möglichen Kosenamen.
Als sie nach Bastia kamen, mußten sie den Führer bezahlen. Julius suchte in der Tasche, und da er das nötige Geld nicht gleich fand, sagte er zu Johanna:
– Du brauchst ja die zweitausend Franken Deiner Mutter doch nicht, gieb mir sie doch in meinen Gürtel, da sind sie sicherer, und da brauche ich nicht erst wechseln zu lassen.
Und sie gab ihm den Geldbeutel.
Sie kamen nach Livorno, besuchten Florenz, Genua, und eines Morgens, als der Mistral blies, waren sie wieder in Marseille.
Seit ihrer Abreise von Les Peuples waren zwei Monate verstrichen. Man schrieb den 15. Oktober. Johanna traf der starke, kalte Wind, der von dort oben, von der fernen Normandie zu kommen schien, und stimmte sie traurig.
Julius schien seit einiger Zeit verändert zu sein, müde und gleichgiltig. Sie befürchtete etwas, aber sie wußte nicht was.
Sie richtete es so ein, daß sie noch vier Tage warteten, ehe sie heimkehrten. Sie mochte dieses wunderschöne Sonnenland nicht verlassen, es war ihr, als ob hiermit die Zeit des Glückes für sie vorbei wäre.
Endlich reisten sie ab. In Paris wollten sie alle Einkäufe machen für ihre endgiltige Einrichtung in Les Peuples, und Johanna freute sich, dank Mamachens Geschenk, allerlei schöne Dinge mitbringen zu können; aber zuerst dachte sie an die Pistole, die sie der jungen Korsikanerin in Evisa versprochen.
Am Tage nach der Ankunft sagte sie zu Julius:
– Mein Liebling, bitte gieb mir doch das Geld, das ich von Mama bekommen habe, ich möchte Einkäufe machen.
Mit unzufriedenem Ausdruck wandte er sich zu ihr:
– Wieviel brauchst Du?
Sie war erstaunt und sagte:
– Ja, so viel Du willst.
Er antwortete:
– Ich will Dir hundert Franken geben, aber verplempere sie nicht.
Sie wußte nicht mehr, was sie sagen sollte, sie war wie auf den Mund geschlagen, endlich meinte sie zögernd:
– Aber ich habe Dir doch das Geld gegeben, um….
Er ließ sie nicht ausreden:
– Ja gewiß, ob ich es habe, oder ob Du es hast, ist doch ganz gleich, da wir doch eine Kasse haben. Ich schlage Dir ja nichts ab, ich gebe Dir ja hundert Franken.
Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie die fünf Goldstücke, aber sie wagte nicht mehr, um Geld zu bitten, und kaufte nur die Pistole.
Acht Tage später reisten sie nach Les Peuples.
VI
Vor dem weißgestrichenen Eingangsthor, das in zwei Ziegelpfeilern hing, erwarteten die Familie und die Dienstboten das junge Paar. Die Post hielt, und lange dauerten die Umarmungen. Mutting weinte, Johanna war bewegt und wischte sich die Thränen, der Vater lief nervös auf und ab.
Dann wurde, während man das Gepäck ablud, am Kaminfeuer die Reise erzählt. Die Worte flossen nur so von Johannas Lippen, alles wurde berichtet in einer halben Stunde, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die man bei dem schnellen Erzählen vergessen.
Dann packte die junge Frau aus, Rosalie, die auch ganz gerührt war, half. Als alles fertig war, Wäsche, Kleider und sonstige Gegenstände in die Fächer verteilt, verließ das Mädchen ihre Herrin, und Johanna, die müde geworden, setzte sich. Sie fragte sich, was sie jetzt anfangen sollte, und suchte eine geistige Beschäftigung und eine Thätigkeit für ihre Hände. Sie hatte keine Lust, in den Salon hinunter zu gehen zu ihrer Mutter, die schlief. Sie wollte spazieren gehen, aber alles war so öde, so traurig, daß sie ganz melancholisch ward, als sie nun aus dem Fenster blickte.
Da kam sie zur Erkenntnis, daß sie eigentlich nichts mehr zu thun hatte, überhaupt nie wieder etwas zu thun haben würde. Die ganze Jugendzeit im Kloster hatte sie geträumt von der Zukunft. Diese fortwährende Beschäftigung mit der Zukunft hatte damals alle ihre Stunden ausgefüllt. Bald nach ihrem Austritt aus den düstern Mauern, wo ihre Träume emporgeschossen waren, wurde dann plötzlich ihre Liebessehnsucht erfüllt. Den ersehnten Mann hatte sie gefunden, ihn geliebt und nach ein paar Wochen geheiratet, und er hatte sie in seinen Armen entführt, ehe sie noch recht zur Besinnung gekommen war.
Aber nun war die süße Wirklichkeit der ersten Tage zur alltäglichen Prosa des Lebens geworden, die allen unbestimmten Hoffnungen, jeder reizenden Unruhe vor dem, was da kommen sollte, die Thür verschloß. Die Wartezeit war zu Ende.
Nun hatte sie nichts mehr zu thun, weder heute noch morgen, noch jemals wieder, das fühlte sie unbestimmt in einer gewissen Enttäuschung, einem Verblassen ihrer Träume.
Sie stand auf und drückte die Stirn an die kalte Scheibe; nachdem sie einige Zeit zum dunklen Himmel aufgesehen, an dem schwere Wolken hingen, entschloß sie sich, auszugehen.
War das noch dieselbe Gegend, dasselbe Gras, dieselben Bäume, wie damals im Monat Mai? Wo war sie denn hin die heitere Sonnenpracht der Blätter, die Poesie des schönen, grünen Rasens, auf dem der Löwenzahn flammte und die Klatschrosen blühten? Wo die Maßliebchen lächelten, wo die goldigen Schmetterlinge wie an langen, unsichtbaren Fäden umhergaukelten. Und diese ganze, berückende Luft, das Leben, die Düfte, die Fruchtbarkeit überall? Alles dahin.
Die Wege zeigten sich von dem ewigen Herbftregen genäßt, mit welkem Laub bedeckt unter den kahlen zitternden Pappeln. Die Äste bebten im Wind, und der zerrte und riß an den paar übrig gebliebenen Blättern, die auch fallen mußten.
Und ununterbrochen lösten sich diese letzten, jetzt gelben Blätter, wie breite Goldstücke von den Bäumen ab, wehten fort, flatterten umher und sanken zu Boden.
Sie ging bis ans Wäldchen, das traurig aussah, wie ein Sterbe-Zimmer. Die grüne Mauer, die die kleinen reizenden Wege trennte und recht lauschig machte, war kahl; die struppigen Sträucher, wie ein Spitzengeflecht von feinem Holz, stießen die entlaubten Zweige aneinander, und das Niedersinken der raschelnden, trockenen Blätter, die der Wind umher wirbelte und hier und da in Haufen zusammen trieb, war wie der schmerzliche Seufzer eines Sterbenden.
Kleine Vögelchen hüpften mit leisem Gezwitscher, Unterschlupf suchend, umher.
Nur die Platane und die Linde hatten unter dem Schutz der Ulmenreihe, die als Vorhut gegen den Seewind stand, ihr Sommerkleid behalten. Die eine war wie in roten Sammet gekleidet, die andere wie in orangenfarbige Seide, so hatte sie, je nach ihrer Art, der erste Frost gefärbt.
Mit langsamen Schritten ging Johann Muttings Allee längs des Hofes der Couillard entlang. Etwas lastete auf ihr, bedrückte sie, wie das Vorgefühl der Langenweile, ihres einförmigen Lebens, das nun begann.
Dann setzte sie sich an den Grabenrand, wo Julius ihr zum ersten Male von seiner Liebe gesprochen, und dort blieb sie träumend,