Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Plötzlich sah sie eine Möve durch den Himmel schießen, die ein Windstoß daher trug, und sie dachte an den Adler, den sie da unten in Korsika im finstern Thale Ota gesehen. Es traf sie wie die plötzliche Erinnerung an etwas Schönes, das nun vorbei war.
Und sie träumte von der lachenden Insel mit ihren Waldesdüften, ihrer Sonne, die die Orangen reifen, die Cedernbäume blühen läßt, von ihren Bergen mit den rötlichen Gipfeln, den blauen Meerbusen und den düsteren Schluchten, in denen der Wildbach tost.
Da lastete die feuchte ernste Landschaft, die sie umgab, mit dem traurigen Blätterfall und den windgetriebenen grauen Wolken mit solcher Verzweiflung auf ihr, daß sie ins Haus ging, um nicht zu weinen.
Mutting schlummerte vor dem Kamin. Sie war die Eintönigkeit der Tage gewöhnt und empfand sie nicht mehr. Der Vater und Julius waren spazieren gegangen und sprachen von ihren Geschäften. Und die Nacht brach herein und breitete ihr trauriges Dunkel über den ganzen Salon, den nur das Feuer im Kamin erhellte.
Draußen konnte man durch die Fenster noch beim letzten Schein der Dämmerung die schmutzige Dezember-Landschaft erkennen und den grauen Himmel, der auch aussah, als wäre er in Schmutz getaucht.
Bald kehrte der Baron zurück, von Julius gefolgt; sobald er in das dunkle Gemach trat, verlangte er Licht und rief:
– Schnell, Licht! Es ist so traurig hier.
Und er setzte sich vor den Kamin. Während seine nassen Stiefel am Feuer dampften und von seinen Sohlen der durch die Hitze getrocknete Schmutz abfiel, rieb er sich fröhlich die Hände:
– Ich glaube, es wird frieren. Im Norden wird es hell. Heute ist Vollmond, das giebt einen tüchtigen Frost die Nacht.
Dann wandte sich der Baron zu seiner Tochter:
– Nun, Kleine, freust Du Dich denn, wieder in der Heimat zu sein, in Deinem Hause, bei den Eltern?
Diese einfache Frage brachte Johanna ganz aus der Fassung, sie warf sich ihrem Vater um den Hals, Thränen in den Augen, und küßte ihn nervös, als bäte sie um Verzeihung, denn trotz aller angestrengten Bemühungen, fröhlich zu sein, fühlte sie sich traurig, zum weinen traurig. Und dabei dachte sie an die Freude, die sie sich ausgemalt, wenn sie die Eltern wiedersehen würde, und sie war selbst erstaunt über die Kälte, die ihre Zärtlichkeit lähmte. So wird man oft, wenn man aus der Ferne viel an geliebte Menschen gedacht hat, die man nicht mehr gewöhnt ist stündlich zu sehen, bei der Rückkehr etwas empfinden, wie ein plötzliches Aufhören der Neigung, bis die Bande enger Gemeinsamkeit wieder geknüpft sind.
Das Essen dauerte lange, es wurde kaum gesprochen. Julius schien seine Frau ganz vergessen zu haben.
Dann im Salon nickte sie am Feuer beinahe ein, Mutting gegenüber, die gänzlich schlief, und als sie einen Augenblick durch die Stimme der beiden Männer aufgestört wurde, die mit einander disputierten, fragte sie sich, indem sie versuchte sich aufzurütteln, ob auch sie schon in den traurigen Totenschlaf des täglichen Einerlei gefallen sei.
Das Feuer im Kamin, das während des Tages langsam rot glühte, brannte jetzt hell auf, es warf einen jähen Schein auf die verblichenen Überzüge der Stühle, auf Fuchs und Storch, auf den trübseligen Reiher, die Cicade und die Ameise. Der Baron näherte sich lächelnd und streckte die Finger gegen das Feuer aus:
– Ach, wie das heute knistert und brennt! Es friert, Kind, es friert!
Dann legte er seine Hand auf Johannas Schulter und deutete auf das Feuer:
– Siehst Du, Kleine, das ist doch das schönste auf der Welt, der Herd, der häusliche Herd mit den Seinen darum, das wiegt nichts auf der Welt auf. Aber wollen wir nicht zu Bett gehen? Es ist spät.
Als sie in ihr Zimmer hinaufgegangen war, fragte sich die junge Frau, wie es nur möglich wäre, daß ihre zweite Rückkehr zu den Stätten, die sie so geliebt zu haben glaubte, so verschieden von der ersten sein konnte. Warum fühlte sie sich wie zerschlagen? Warum erschien ihr dieses Haus, die geliebte Heimat, alles was bisher ihr Herz hatte höher schlagen lassen, heute so unsäglich traurig?
Da fiel ihr Auge plötzlich auf die Uhr; die kleine Biene flog immer noch von rechts nach links und von links nach rechts mit unausgesetzter schneller Bewegung über die Blumen hin. Da plötzlich packte Johanna die Rührung, sie fühlte sich den Thränen nahe vor diesem kleinen Uhrwerk, das zu leben schien, das ihr die Stunden anzeigte und das klopfte wie ein Herz.
Als sie Vater und Mutter wieder gesehen, war sie nicht so bewegt gewesen. Das Herz hat Abgründe, die niemand erforscht. Zum ersten Mal, seit sie verheiratet war, schlief sie allein. Julius hatte unter dem Vorwand müde zu sein, ein anderes Zimmer genommen. Übrigens waren sie überein gekommen, daß jeder eins für sich haben sollte.
Sie brauchte lange Zeit um einzuschlafen, verwundert, nicht einen andern Körper neben sich zu fühlen, nicht mehr gewohnt an die einsame Ruhe.
Auch störte sie der Nordwind, der gegen das Dach blies. Am Morgen wurde sie einen hellen Schein gewahr, der ihr Bett wie mit Blut übergoß. Die ganz bereiften Fensterscheiden, waren rot, als ob der Himmel in Flammen stünde. Sie hüllte sich in ihren Frisiermantel, lief ans Fenster und öffnete.
Eisige gesunde Kälte strömte ins Zimmer und traf scharf ihre Haut, daß ihr die Augen naß wurden; und mitten auf purpurnem Himmel erschien dick, rotglühend hinter den Bäumen die Sonne, wie das Gesicht eines Trunkenbolds. Die Erde, jetzt bereift, war hart und trocken, klang unter den Tritten der Hofleute, und während dieser einzigen Nacht hatten alle Äste der Pappel, die noch Blätter getragen, ihren Schmuck verloren, und hinter der Haide sah man die weite, grüne Fläche des Meeres, mit lauter weißen Wellenköpfchen.
Die Platane und Linde entlaubten sich schnell unter den Windstößen. Jedesmal, wenn die eisige Boe daher kam, flatterten ganze Schwärme von losen Blättern, die der Frost zum Fallen gebracht hatte, auf, wie ein Schwärm Vögel.
Johanna kleidete sich an und besuchte, um etwas vorzunehmen, die Pächtersleute.
Martins hoben bei ihrem Anblick erfreut und erstaunt die Arme, und die Frau küßte sie auf die Wangen, dann mußte sie ein Glas Kirsch annehmen. Nun ging sie zum andern Meierhof. Couillards hoben gleichfalls die Arme, die Frau schmatzte sie auf die Ohren, und sie mußte ein Glas Johannisbeerschnaps trinken.
Dann kehrte sie zum Frühstück heim.
Und der Tag verstrich wie der Tag vorher, nur daß es statt zu regnen, kalt war, und die andern Tage der Woche waren wie diese beiden, und alle Tage dieses Monats glichen der ersten Woche.
Und allmählich verblaßte ihre Sehnsucht nach den fernen Gegenden, und die Gewohnheit legte auf ihr Dasein eine Schicht von Ergebung, wie gewisse Mineralwässer auf die Gegenstände eine Schicht von Kalk absetzen, und in ihrem Herzen erwachte von neuem ein gewisses Interesse für die unbedeutenden kleinen Dinge des täglichen Lebens und sie kümmerte sich wieder um die einfachen, regelmäßigen Beschäftigungen.
Es entwickelte sich in ihr eine Art nachdenklicher Melancholie, ein unbestimmter Ekel am Leben. Was fehlte ihr? Was wünschte sie? Sie wußte es selbst nicht. Sie hatte keine Sehnsucht nach dem Leben der Welt, keinen Durst nach Vergnügungen, ja nicht einmal Lust auf die Zerstreuungen, die sich ihr boten; was waren das auch für welche!
Vor ihren Augen verlor alles langsam die Farbe, genau so wie die alten Stühle im Salon verblichen waren; alles verwischte sich und nahm eine dunkle Trübheit an.
Ihre Beziehungen zu Julius hatten sich vollständig geändert. Er schien seit der Rückkehr von der Hochzeitsreise ein ganz anderer zu sein, wie ein Schauspieler, der seine Rolle ausgespielt hat und nun sein Alltagsgesicht wieder annimmt. Er kümmerte sich kaum um sie, sprach kaum mit ihr. Alle Anzeichen der Liebe waren plötzlich verschwunden, und selten kam er in ihr Zimmer. Er hatte die Verwaltung des Vermögens, die Leitung des Hauses übernommen, durchstöberte die Ställe, elendete die Bauern, setzte die Ausgaben herab, und da er selbst die Manieren eines Landjunkers angenommen, hatte er den Schliff und die Eleganz, die er als Bräutigam gehabt, verloren.
Seinen alten Jagdanzug aus Sammet