Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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      Er stammelte etwas, wie: – Gnädige Frau, ich habe mir erlaubt – und dabei suchte er unter den Damen die Frau des Hauses.

      Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er mit einer Verbeugung nahm, und sagte: – Sie sind sehr liebenswürdig zu kommen. – Dann bot sie ihm einen Stuhl an. Er wollte sich setzen, aber er versank vollkommen, weil er gemeint hatte, daß der Sitz höher sei.

      Eine Pause entstand, und nun fing eine der Damen wieder an zu sprechen. Sie redete von der Kälte, die sich jetzt stark fühlbar machte, aber doch nicht stark genug, um die um sich greifende Typhus-Epidemie zu bannen oder um Schlittschuhbahn zu schaffen. Und jede Dame sagte ihre Ansicht über dieses erste Erscheinen des Frostes in Paris. Dann sprachen sie sich aus über die Jahreszeiten, die jede vorzog, mit allerlei banalen Gründen, wie sie sich in diesen Köpfen festgesetzt, gleich dem Staub, der sich auf die Möbel legt.

      Man hörte die Thür gehen, sodaß Duroy sich umblickte. Er bemerkte, durch zwei große Glasscheiben, eine dicke Dame auf sie zukommen. Sobald sie in das Boudoir trat, stand eine der Besucherinnen auf, drückte den andern die Hand und ging davon. Der junge Mann verfolgte mit den Augen durch die übrigen Zimmer ihr schwarzes Kleid, auf dem Schmelzperlen glänzten.

      Sowie nach diesem Personenwechsel wieder Ruhe eingetreten war, sprach man plötzlich ohne Übergang von Marokko und dem Kriege im Orient, sowie von den Schwierigkeiten, in die England auf der andern Seite Afrikas geraten.

      Die Damen redeten, als ob sie eine Gesellschafts-Komödie, die sie schon oft gespielt, aus dem Gedächtnis hersagten.

      Wieder erschien jemand. Eine kleine Blondlockige, die das Verschwinden einer großen, magern, mittelalterlichen Dame nach sich zog.

      Man sprach nun von der Aussicht, die Herr Linet hatte, in die Akademie aufgenommen zu werden. Die neu Angekommene glaubte bestimmt zu wissen, daß er von Herrn Cabanon-Lebas, der den Don Quixote in Versen für die Bühne bearbeitet, geschlagen werden würde.

      – Denken Sie, es wird nächsten Winter im Odeon gegeben werden.

      – Wirklich? O, dieses literarische Experiment muß ich mir doch ansehen!

      Frau Walter antwortete sehr liebenswürdig, ruhig, gleichgiltig, ohne einen Augenblick zu zögern, was sie wohl sagen sollte, denn ihre Ansicht stand immer schon vorher fest.

      Aber sie gewahrte, daß es dunkel ward, und klingelte nach den Lampen, indem sie immer der Unterhaltung zuhörte, die wie ein flüsterndes Wässerchen dahin glitt. Dabei dachte sie, daß sie ja vergessen beim Graveur vorzusprechen, wegen der Einladungskarten für das nächste Diner.

      Sie war ein wenig zu dick, aber noch schön, in dem gefährlichen Alter, wo der Zusammenbruch der Schönheit nahe ist. Sie hielt sich künstlich, durch allerlei Mittel, Teintsalben und so weiter in dem Zustand, wie sie war. Sie schien sehr unterrichtet zu sein, maßvoll und vernünftig. Eine jener Frauen, deren Geist geradlinig abgesteckt ist, wie ein französischer Garten, in dem man sich ergeht, ohne besondere Ueberraschungen, aber der doch immer einen gewissen Reiz behält. Sie hatte Verstand, feines, zartes, sicheres Urteil, das bei ihr die Fantasie, die Güte, die Hingebung ersetzte, und ein gewisses, ruhiges, allgemeines Wohlwollen für jedermann und für alle Dinge.

      Als sie merkte, daß Duroy nichts gesagt hatte, und daß man ihn nicht angeredet, wodurch sein Benehmen etwas Gezwungenes bekam, und da das Lieblingsthema der Akademie, das immer lange durchgehechelt ward, sie noch beschäftigte, so fragte sie:

      – Nun Herr Duruy, Sie sind ja am besten unterrichtet. Für wen sind denn Sie?

      Er antwortete ohne zu zögern:

      – Gnädige Frau, bei dieser Frage richte ich mich nie nach dem Verdienst der Kandidaten, das immerhin bestritten werden kann, sondern nur nach ihrem Alter und Gesundheitszustand. Ich frage nicht nach ihren Leistungen, sondern nach ihren etwaigen Krankheiten. Ich lege keinen Wert darauf, ob sie etwa eine gereimte Übersetzung des Lope de Vega gemacht haben. Viel wichtiger erscheint mir der Zustand ihrer Leber, ihres Herzens, ihrer Nieren, ihres Rückenmarks. Für mich ist eine ordentliche Hypertrophie, eine tüchtige Brightsche Nierenkrankheit und vor allen Dingen eine beginnende Lähmung hundertmal besser, als vierzig Bände Untersuchungen über die Vaterlandsidee in der barbarischen Poesie.

      Ein erstauntes Schweigen folgte auf seine Ansicht.

      Frau Walter sagte lächelnd: – Warum denn?

      Duroy antwortete: – Weil ich niemals an etwas anderes denke, als an die Frage, wird das auch die Damen interessieren? Und gnädige Frau, für Sie hat doch die Akademie nur Interesse, wenn ein Akademiker stirbt. Je mehr sterben, desto glücklicher sind Sie. Aber damit sie schnell sterben, dürfen nur solche ernannt werden, die alt und krank sind.

      Da die Damen doch etwas erstaunte Gesichter machten, fügte er hinzu: – Mir geht’s ja genau so wie Ihnen, und im lokalen Teil der Zeitungen lese ich sehr gern, daß ein Akademiker gestorben ist. Da frage ich mich gleich, wer wird ihn ersetzen, und mache meine Liste. Das ist ein Spiel, ein nettes Spiel, das in allen Pariser Salons gespielt wird, sobald einer der Unsterblichen in’s Gras beißen muß. Das Spiel heißt etwa: »Der Tod und die vierzig Greise.«

      Die Damen konnten sich noch nicht recht fassen, fingen jedoch an zu lächeln, so richtig war seine Bemerkung.

      Er schloß, indem er aufstand: – Meine Damen, Sie ernennen die Akademiker; und Sie ernennen sie nur, um sie sterben zu sehen. Also wählen Sie alte, sehr alte, so alt als möglich, um das übrige brauchen Sie sich gar nicht zu kümmern.

      Dann ging er mit größter Liebenswürdigkeit davon.

      Sobald er fort war, erklärte eine der Damen: – Das ist ein spaßiger Mensch! Wer ist denn das?

      Frau Walter antwortete: – Einer unserer Redakteure. Er macht bis jetzt nur so die kleinen Arbeiten an der Zeitung, aber der wird schon vorwärts kommen.

      Duroy ging guter Laune, elastischen Schrittes, zufrieden über seinen guten Abgang den Boulevard Malesherbes hinab, indem er vor sich hin brummte: »Guter Abgang«.

      An diesem Abend versöhnte er sich mit Rahel.

      Die folgende Woche brachte ihm zwei besondere Ereignisse. Er wurde zum Redakteur für den lokalen Teil ernannt, und von Frau Walter zu Tisch eingeladen. Er merkte sofort den Zusammenhang zwischen beidem.

      Die Vie française war in erster Linie ein Finanzblatt, denn ihr Besitzer war ein Geldmann, dem Zeitung und Abgeordnetenhaus nur als Mittel dienten.

      Seine Waffe war ein gewisses biedermännisches Auftreten, er hatte seine Spekulationen immer unter der lächelnden Maske des braven Mannes vollführt. Aber zu allen seinen Geschäften, welcher Art sie auch immer sein mochten, nahm er nur erprobte Leute, die er genau kannte, von denen er wußte, daß sie gerissen, rücksichtslos und geschmeidig waren. Duroy, den er nun zum Lokal-Redakteur ernannt, schien ihm eine besonders wertvolle Kraft zu sein.

      Bis dahin hatte diese Stelle der Redaktions - Sekretär Boisrenard ausgefüllt, ein alter, zuverlässiger Journalist, pünktlich und peinlich wie ein Beamter. Seit dreißig Jahren war er Redaktions-Sekretär bei elf verschiedenen Blättern gewesen, ohne im geringsten seine Anschauungs-und Handlungsweise zu ändern. Er ging von einer Redaktion in die andere über, wie man ein Restaurant wechselt und kaum dabei merkt, daß das Essen dort ganz anders schmeckt. Religiöse oder politische Ansichten hatte er nicht. Bei welchem Blatt er auch immer arbeitete, er war ihm ganz ergeben und äußerst brauchbar und wertvoll wegen seiner reichen Erfahrung. Er arbeitete wie ein Blinder, der nichts sieht, wie ein Tauber, der nichts hört und wie ein Stummer, der nichts sagt. Dennoch hatte er eine große Ehrlichkeit im Beruf und wäre für nichts zu haben gewesen, was er nicht für anständig und richtig gehalten hätte, nach seinen Standesansichten.

      Obgleich ihn Herr Walter schätzte, hatte er doch oft einen andern als Redakteur für das Lokale gewünscht, das, wie er sich ausdrückte, das Rückgrat der Zeitung ist. Denn im lokalen Teil konnte man Nachrichten lancieren, Gerüchte verbreiten, und auf Publikum und Kurs einen Druck ausüben.

      Zwischen die Beschreibung zweier Feste in der Gesellschaft


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