Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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      – Ja

      – Das ärgste, was Sie thun könnten?

      – Ja!

      – Wirklich?

      – Ja!

      – Nun, ein Mittel giebt es, nur eins! Sie müssen die Sache machen, nicht ich. Sie sind ein verwöhntes Kind, Sie dürfen alles, und wenn Sie etwas wagen, wird das Erstaunen nicht allzu groß sein. Hören Sie also: Heute abend, wenn Sie nach Hause kommen, suchen Sie Ihre Mutter auf, aber zuerst Ihre Mutter ganz allein, und gestehen ihr, daß Sie mich heiraten wollen. Sie wird sehr erzürnt sein und in fürchterliche Wut geraten.

      Susanne antwortete ihm:

      – Ach, Mama wird schon wollen.

      Er gab lebhaft zurück:

      – Nein! Sie kennen sie nicht. Sie wird viel wütender sein, als Ihr Vater, passen Sie mal auf, wie sie sich sträuben wird! Aber Sie dürfen nicht locker lassen, sich nicht werfen lassen, Sie müssen immer wiederholen, daß Sie mich heiraten wollen, nur mich und keinen andern. Wollen Sie das thun?

      – Ich werde es thun!

      – Und nachdem Sie bei Ihrer Mutter gewesen sind, sagen Sie es auch Ihrem Vater, ganz ernst und sehr entschieden.

      – Ja, ja! Und dann?

      – Ja und dann wird die Sache eklig! Wenn Sie ganz entschlossen sind, wirklich, ganz, ganz entschlossen, meine Frau zu werden, meine liebe, kleine Susanne, dann werde ich Sie entführen!

      Sie klatschte vor Vergnügen in die Hände.

      – Ach, wie hübsch! Sie wollen mich entführen! Wann werden Sie mich denn entführen?

      Die ganze Poesie vergangener Tage, wie sie in nächtlichen Entführungen, in Postkutschen und Dorfherbergen und romantischen Abenteuern sich in den Romanen spiegelt, tauchte vor ihr auf, wie ein herrlicher Traum, der zur Wirklichkeit werden sollte. Und sie fragte noch einmal:

      – Wann werden Sie mich entführen?

      Ganz leise antwortete er:

      – Nun, heute abend! Diese Nacht!

      Sie fragte zitternd:

      – Und wo gehen wir denn hin?

      – Das ist mein Geheimnis, überlegen Sie sich wohl, was Sie thun! Bedenken Sie, daß Sie nach dieser Flucht meine Frau werden müssen. Das ist das einzig mögliche Mittel und das ist … sehr gefährlich … für Sie! Sie erklärte:

      – Ich bin entschlossen … und wo soll ich Sie treffen?

      – Können Sie allein das Palais verlassen?

      – Ja wohl! Ich kann durch die kleine Thür.

      – Nun gut! Wenn der Portier zu Bett gegangen ist, so gegen Mitternacht, dann kommen Sie auf den Konkordienplatz. Ich warte in einer Droschke, gerade dem Marineministerium gegenüber.

      – Ich komme!

      – Ist es auch sicher?

      – Ganz sicher!

      Er nahm ihre Hand und drückte sie:

      – Ach ich liebe Sie, Sie sind so gut und tapfer! Also, Sie wollen Cazolles nicht heiraten?

      – Nein, nein!

      – War Ihr Vater sehr böse, als Sie nein sagten?

      – Natürlich! Er wollte mich ins Kloster stecken!

      – Ja, sehen Sie also ein, daß wir energisch sein müssen?

      – Ich werde es sein!

      Sie blickte in die Weite, ganz erfüllt von dem Gedanken an die Entführung. Sie würde weiter fort gehen als dort, wohin der Blick reichte. Mit ihm! Sie sollte entführt werden! Sie war ganz stolz darauf. Sie dachte gar nicht an ihren Ruf oder was ihr Schlimmes zustoßen könnte. Wußte sie es? Ahnte sie es überhaupt?

      Frau Walter drehte sich um und rief:

      – Na komm doch. Kleine, was hast Du denn mit dem Liebling?

      Sie holten die andern ein, man sprach von dem Seebade, wo sie bald sein würden.

      Dann ging es über Chatou heim, um nicht denselben Weg zurück zu kehren.

      Georg sprach nicht mehr, er dachte:

      – Wenn die Kleine also nur ein bißchen Mut hat, wird die Geschichte klappen.

      Seit drei Monaten umspann er sie mit seiner unwiderstehlichen Zärtlichkeit, er verführte sie, schlich sich in ihre Seele und machte sie sich ganz zu eigen. Er hatte ihre Liebe gewonnen, wie nur er es konnte! Ihre kleine Puppenseele zu erobern war ihm nicht schwer geworden.

      Zuerst hatte er erreicht, daß sie Cazolles einen Korb gab, und eben hatte er es fertig gebracht, daß sie einwilligte mit ihm zu fliehen, denn ein anderes Mittel gab es nicht.

      Frau Walter, das wußte er wohl, würde nie ihre Zustimmung geben, daß er ihre Tochter heiratete. Sie liebte ihn noch und würde ihn mit der gleichen Glut weiter lieben. Er hielt sie durch seine berechnete Kälte im Bann, aber er wußte, welch’ ohnmächtige wilde Leidenschaft in ihr tobte. Die konnte er nie gewinnen, nie würde sie zugeben, daß er Susanne bekäme.

      Aber, wenn er die Kleine erst einmal in seiner Macht hatte, dann konnte er mit dem Vater als Gleichstehender unterhandeln. Indem er sich alles das überlegte, antwortete er, wenn man ihn anredete, mit zusammenhangslosen Worten und hörte kaum zu.

      Als sie nach Paris zurück kamen, schien er wieder zu erwachen.

      Susanne war auch in Gedanken. In ihrem Kopf klingelten die Schellen der vier Postpferde, und im Geiste sah sie unendliche Landstraßen in ewigem Mondenschein vor sich liegen, dunkle Wälder, durch die sie fuhren, Wirtshäuser am Wegesrand und die Eilfertigkeit der Stallleute beim Wechseln der Pferde, denn natürlich ahnten alle, daß sie verfolgt würden.

      Als die Coach im Hofe des Palais hielt, wollte man Georg zum Essen behalten. Er lehnte ab und kehrte nach Hause zurück. Nachdem er etwas gegessen, begann er seine Papiere zu ordnen, wie vor einer großen Reise. Er verbrannte kompromitierende Briefe, versteckte andere und schrieb an ein paar Freunde.

      Von Zeit zu Zeit sah er nach der Uhr und dachte:

      – Na, jetzt raucht es bei denen – und eine große Unruhe kam über ihn. Wenn der Coup nun mißglückte! Aber was konnte er fürchten? Er würde die Sache schon machen, und doch spielte er heute abend ein gewagtes Spiel.

      Gegen elf Uhr ging er wieder aus, irrte eine Zeit lang umher, nahm dann eine Droschke, fuhr zum Konkordienplatz und ließ an den Arkaden des Marineministeriums halten.

      Ab und zu zündete er ein Streichholz an, um nach der Uhr zu sehen. Als Mitternacht nahe, war seine Unruhe fieberhaft, alle Augenblicke sah er aus dem Fenster.

      In der Ferne schlug eine Uhr zwölf Mal, dann eine andere näher, darauf zwei zu gleicher Zeit, endlich wieder eine sehr entfernt. Als der letzte Ton verklungen war, dachte er:

      – Nun ist es aus, jetzt ist alles futsch, sie kommt nicht!

      Aber er war entschlossen bis Tagesanbruch zu warten. In solchen Fällen muß man Geduld haben. Er hörte wie es ein viertel schlug, dann halb, dann dreiviertel. Und die Uhren schlugen wieder alle eins, wie sie vorhin die Mitternacht verkündet.

      Er erwartete sie nicht mehr, er blieb sitzen und zerbrach sich den Kopf, was nur hatte passieren können. Da erschien plötzlich ein Frauenkopf am Fenster und fragte:

      – Liebling, sind Sie’s?

      Er fuhr auf und rang nach Atem:

      – Sind Sie’s Susanne?

      – Ja, ich bin es!

      Er konnte nicht schnell genug öffnen und sagte noch einmal:

      – Ah, Sie? Sie? Schnell kommen Sie.

      Sie


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