Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
fragte er:
– Nicht wahr, Herr Guibert de Lorme ist zu Hause?
– Ja wohl!
Man ließ ihn in den Salon treten, wo er einige Augenblicke wartete. Dann kam ein großer Herr herein mit vornehm militärischem Äußern und schon ergrautem Haar, obgleich er noch jung war, das Band der Ehrenlegion im Knopfloch.
Du Roy verbeugte sich und sagte:
– Es ist so, wie ich es voraus gesehen habe,Herr Polizeikommissar. Meine Frau ist mit ihrem Liebhaber in der Chambregarnie,das sie in der Rue des Martyrs gemietet haben.
Der Beamte verbeugte sich:
– Ich bin zu Ihrer Verfügung.
Georg antwortete:
– Nicht wahr, nach neun Uhr dürfen Sie, um einen Ehebruch festzustellen, keine Privatwohnung mehr betreten.
– Nein! Im Winter bis sieben Uhr, vom 31. März an bis neun Uhr. Heute ist der 5. April. Also bis neun Uhr.
– Nun Herr Kommissar, ich habe unten einen Wagen, wir könnten die Schutzleute, die Sie begleiten sollen, gleich mitnehmen. Wir können ja etwas vor der Thür warten. Je später wir kommen, desto größer ist die Sicherheit, daß wir sie in flagranti abfassen.
– Wie Sie wünschen!
Dann ging er und kehrte mit dem Überzieher zurück, der seine dreifarbige Schärpe verbarg. Er trat zur Seite, um Du Roy voran gehen zu lassen, aber der Journalist sagte zerstreut:
– Nach Ihnen! Nach Ihnen!
Der Beamte antwortete:
– O bitte sehr, ich bin hier zu Hause.
Da ging der andere mit einer Verbeugung voran.
Zuerst holten sie auf der Wache drei Polizisten in Zivil ab, die sie erwarteten, denn Georg hatte während des Tages sagen lassen, die Sache würde heute stattfinden. Einer der Leute stieg auf den Bock und setzte sich neben den Kutscher, die beiden andern nahmen im Wagen Platz, der nach der Rue des Martyrs fuhr.
Du Roy sagte: – Ich besitze den Plan der Wohnung, sie befindet sich im zweiten Stock. Wir treten zuerst in einen kleinen Flur, dann kommt das Eßzimmer, darauf die Schlafstube. Die drei Räume gehen in einander, es giebt keinen andern Ausweg, durch den sie entwischen könnten. In der Nähe wohnt ein Schlosser, der sich bereit hält, für den Fall, daß Sie ihn rufen lassen.
Als sie vor dem bezeichneten Haus ankamen, war es erst ein viertel neun, und sie warteten schweigend über zwanzig Minuten. Aber als Georg merkte, daß es bald drei viertel schlagen würde, sagte er:
– Nun wollen wir gehen.
Und sie stiegen die Treppen hinauf, ohne sich um den Portier zu kümmern, der sie auch nicht bemerkte. Einer der Polizisten blieb auf der Straße, um den Ausgang zu beobachten.
Die vier Herren blieben im zweiten Stock stehen, und Du Roy legte sein Ohr an die Thür und horchte; dann guckte er durchs Schlüsselloch.
Der Kommissar sagte zu seinen Beamten:
– Bleiben Sie hier, bis ich rufe.
Da Du Roy nichts sah und nichts hörte, klingelte er, und sie warteten. Nach zwei oder drei Minuten klingelte Georg von neuem, mehrmals hinter einander. In der Wohnung klang ein Geräusch, dann näherte sich ein leichter Schritt, es kam jemand um zu horchen. Da klopfte der Journalist mit gekrümmtem Zeigefinger, und eine verstellte Frauenstimme fragte von innen:
– Wer ist da?
Der Kommissar antwortete:
– Im Namen des Gesetzes öffnen Sie.
Die Stimme klang wieder:
– Wer sind Sie?
– Ich bin der Polizeikommissar, öffnen Sie, oder ich lasse die Thür mit Gewalt öffnen.
Die Stimme fragte:
– Was wollen Sie?
Du Roy sagte:
– Ich bins. Mach keine Geschichten, ihr entkommt uns nicht.
Der leichte Schritt, – man hörte die bloßen Füße, – entfernte sich und kehrte nach ein Paar Sekunden zurück.
Georg rief:
– Wenn nicht geöffnet wird, sprenge ich die Thür auf! Er drückte den Messinggriff ´runter und legte sich mit der Schulter gegen das Holz. Da niemand antwortete, rannte er plötzlich so heftig gegen die Tür, daß das alte Schloß des Absteigequartiers nachgab. Die Schrauben wurden aus dem Holz gerissen, und der junge Mann wäre beinahe auf Magdalene gefallen, die im Flur stand, in Hemd und Unterrock mit offnen Haaren ohne Strümpfe und Schuh, eine Kerze in der Hand.
Er rief:
– Nun haben wir sie, – und stürzte in die Wohnung. Der Kommissar nahm den Hut ab und folgte ihm. Und die junge Frau ging bestürzt mit dem Licht hinterdrein. Sie kamen durch das Eßzimmer, auf dessen noch nicht abgedecktem Tisch die Überreste der Mahlzeit standen: leere Champagnerflaschen, eine offene Gänseleberpastete, das Gerippe eines Huhns und einige Stücke Brot. Auf dem Anrichtetisch standen zwei Teller mit Austernschalen.
Das Schlafzimmer sah aus, als hätte ein Kampf daselbst stattgefunden. Ein Kleid war über den Stuhl geworfen, und auf der Lehne eines Armsessels hingen ein paar Herren-Unterhosen.
Vier Schuhe, zwei große und zwei kleine, lagen zu Füßen des Bettes unordentlich umher.
Es war die richtige Chambregarnie mit gewöhnlichen Möbeln, und jenem entsetzlich-faden Hotelgeruch, den Vorhänge, Matratzen, Wände, Stühle ausströmten, dem Geruch von all den Menschen, die hier in dieser Allerweltswohnung geschlafen oder gelebt, einen Tag oder sechs Monate, und etwas von ihrer Ausdünstung zurückgelassen hatten, jener menschlichen Ausdünstung, die mit der des Vorgängers vereint einen unbestimmten süßlichen, unangenehmen Gestank hinterläßt, immer der nämliche in dieser Art von Zimmern.
Auf dem Kamin stand ein Teller mit Cakes, eine Flasche Chartreuse und zwei Schnapsgläschen noch zur Hälfte gefüllt. Über die Kaminuhr war ein Cylinderhut gestülpt. Der Kommissar drehte sich schnell herum und blickte Magdalene an:
– Nicht wahr, Sie sind Frau Klara Magdalene Du Roy, Ehefrau des Schriftstellers Herrn Prosper Georg Du Roy, der hier steht.
Sie antwortete mit erstickter Stimme:
– Ja wohl!
– Was thun Sie hier?
Sie antwortete nicht.
Der Beamte fragte nochmals:
– Was thun Sie hier? Ich finde Sie außerhalb Ihres Hauses, beinahe unbekleidet in einer möblierten Wohnung. Wozu sind Sie hierher gekommen?
Er wartete einige Augenblicke, aber als sie immer noch schwieg, sagte er:
– Gnädige Frau, wenn Sie nicht gestehen wollen, bin ich genötigt, den Thatbestand festzustellen.
Man sah im Bett die Gestalt eines Körpers sich unter der Decke abzeichnen. Der Kommissar trat heran und rief:
– Mein Herr!
Der Mann, der dort lag, bewegte sich nicht. Er schien den Rücken nach dem Zimmer gekehrt und den Kopf unter dem Kopfkissen versteckt zu haben. Der Beamte berührte das, was wahrscheinlich seine Schulter war, und sagte nochmals:
– Bitte, zwingen Sie mich doch nicht dazu, Gewalt anzuwenden.
Aber der verhüllte Körper blieb unbeweglich liegen, als wäre er tot.
Du Roy war vorgetreten, ergriff die Decke, zog sie fort, riß das Kopfkissen zur Seite, und das totenbleiche Gesicht Laroche-Mathieus kam zum Vorschein. Er beugte sich über ihn und sagte, die Zähne zusammenpressend, mit dem lebhaften Wunsch ihn zu erwürgen:
– Haben Sie doch wenigstens den Mut Ihrer Gemeinheit!
Der Beamte fragte wieder: