Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
Frau von Hardenstein findet, daß Harros Blumenstilleben fast ängstlich feierlich aussieht, und daß nicht einmal das weiße Gabentischchen in der Mitte die Sache bessert. Das Kind betrachtet seine Geschenke, dann nimmt es eins nach dem andern von den hübschen Dingen hinweg und trägt sie in die Ecke auf den blauen Diwan. Dann kauert sie sich auf den Boden in ihrem Lilienhalbkreis. Einen Augenblick zieht sie die goldenen Schuhe aus und stellt sie auf das nun leere weiße Tischchen.
»Das ist Harros Geschenk.«
Dann zieht sie sie wieder an. »Ein wunderliches Kind,« denkt Frau von Hardenstein, »und Harro hat es mit seinem Blumenzauber wieder getroffen! O Kind, wenn man dir einmal deinen langen Freund nimmt! Kommen Sie nun mit mir herunter, Seelchen, im Hof ist auch noch etwas zu sehen. Der Duft ist fast zu stark.«
»Ach liebe, beste Frau von Hardenstein, darf ich denn nicht ein wenig allein bleiben, bei meinen Lilien? Ich rühre sie nicht an, ich weiß ja, daß man's nicht darf. Ein klein wenig? Ich tue alles, was ich soll, nachher!« »Gut, ich gehe über den Lindenstamm in den Park den Rosenweg hinunter und in den Hof. Dort kommen Sie hin, nicht wahr?«
Sie geht, und Seelchen ist allein. Nun steht sie in ihrem Blumenring vor dem großen Bild ihrer Mutter und flüstert: »Siehst du mich, Mutter?« Eine Pause, als ob sie auf Antwort warte. Ganz still ist's, nur der Sommerwind bläht ein weniges die langen weißen Vorhänge auf, und durch die Läden schießt die Sonne schmale goldene Pfeile.
»Mutter,« flüstert das Seelchen noch einmal – dann seufzt sie leise. »Ach, sie schläft so fest, oder ist so fern. So schön muß es sein, dort, wo sie ist, daß sie nicht ein wenig mehr hersehen mag zu ihrem Seelchen, das doch seinen Lilientag feiert.«
»Sie machen wohl Musik bei dir, die Lilien? Jede hat einen Ton und den singt sie.« Ob man wohl darnach tanzen könnte! Aber schön langsam muß es gehen, ich liebe sie nicht, die schnellen Tänze! Und wenn man so froh ist, wie im Leben nicht, so muß man doch tanzen!
Sie faßt die Enden ihrer langen Haare, daß das feine Goldgespinst sich ausbreitet wie ein Schleier. Zuerst bewegt sie nur ein wenig das rosengeschmückte Köpfchen. Dann hebt sie das feine Füßchen. Nun schwebt sie langsam im Lilienkreis herum. Sie wendet sich und neigt sich.
Da geht die Türe auf, und dort steht Harro mit einem großen Rosenstrauße in der Hand. Sie nickt ihm lächelnd zu und dreht sich langsam im Kreise, und ihr feiner Körper ist wie eine weiße Flamme in dem dünnen Kleidchen. Harro steht unbeweglich und seine Augen trinken. Da lacht sie ihr feines klingendes Lachen. »Der Lilientanz, Harro. – So klingen sie auf der Himmelswiese und darnach tanze ich in meinen goldenen Schuhen!«
Harro ist, als rühre ihn zwischen den Schulterblättern etwas kühl an.
»Komm, Seelchen, Frau von Hardenstein wartet auf dich, der Duft ist doch zu stark hier.«
Und im Hofe ist noch etwas zu sehen. Da steht der braune glänzende Pony, den Tante Helen gesandt hat. Seelchen streichelt das Tier beglückt, aber um es besteigen zu können, müßte sie sich von ihrem Rosenkranz und den goldenen Schuhen trennen. Und so begnügt sie sich für heute damit, ihm ein Stück Zucker zu geben und es zu streicheln. Auf dem Lindenstamm wird zu Mittag gegessen im köstlichen Lindenschatten.
»Prinzeßchen, haben Sie sich auch für alles bedankt, und Harro, wie sind Sie zu goldenen Schuhen gekommen?«
»Harro, ich danke dir, es sind meine Freudenschuhe, immer werde ich sie tragen, wenn ich froh bin. Wer hat dir denn die Schuhe für mich gegeben? War es ein Männlein im Walde, oder eine Nebelfrau, oder hast du sie am Kinderbrunnen gefunden?«
»Falsch geraten.«
Und Harro erzählt über dem Nachtisch von köstlichen Erdbeeren und Sahne, an dem sie nun angelangt sind:
»Als ich in letzter Woche in München war, da sah ich in einem Gäßchen ein Schild an einem buckligen Häuschen, Johann Nepomuk Wurmhaber, Kunstschuster. In dem Fenster stand seltsames Schuhwerk, Schnabelschuhe, ellenlange, breite geschlitzte Latschen aus farbigem Leder, Spangenschuhe mit hohen Absätzen. – Da ging ich hinein, da war ein kleines feuerrotes Männchen, so buckelig wie sein Haus. Das schnarrte: ›Mein Herr, Sie können in jedem Jahrhundert bedient werden. Der Herr ist Künstler.‹ Nun, das mußte mich schon freuen, das war mir noch nie passiert, man hatte mich immer bis jetzt für einen Offizier in Zivil gehalten. Ich sagte, ich möchte lieber im gegenwärtigen Jahrhundert bleiben. Haben Sie goldene Schuhe? Nun staunte er aber doch ein wenig, faßte sich jedoch sofort.
›Meine Schuhe sind Kunstschuhe. Sie werden also nicht über ein Holz geschlagen, sondern nach der Persönlichkeit gebaut.‹ ›Da kann geholfen werden‹ sage ich und präsentiere ihm meine Wachsmodelle, eins für den rechten, eins für den linken. Die habe ich mir doch mit vieler Mühe gemacht. Du bist ja so freundlich gewesen und hast so oft deine Schuhe ausgezogen.«
Nun wird Frau von Hardenstein ernstlich böse. »Lieber Harro,« sagt sie scharf, »ich fürchte, jede Ermahnung von meiner Seite wird nichts nützen, wenn Sie die Prinzessin in ihren Unarten so bestärken wollen. Gestern hat sie bei dem Geschichtsunterricht des Herrn Präzeptors die Schuhe unter dem Tisch ausgezogen. Ich bin dafür, die goldenen Schuhe werden konfisziert, wenn das noch einmal vorkommt.«
Beide Gescholtenen ducken ihre Köpfe, Harro beugt sich über seine Erdbeeren, das Seelchen, das dunkelrot geworden ist, verschwindet fast hinter seiner Serviette. Sie ist sehr schuldbewußt, denn auch der eine der Goldenen tanzt nur noch auf den Zehen. Frau von Hardenstein sieht aber zum Glück nicht unter den Tisch, und Harro erzählt weiter.
»Herr Wurmhaber freut sich nun sehr über die Modelle, und als er hört, daß er die behalten darf, verspricht er richtiges stiftvergoldetes Leder zu beschaffen durch einen Freund, der kostbare Büchereinbände macht, und sagt, ich solle die Form angeben, ich möchte mich aber in seine Sammlung begeben. Die ist in einem Hinterstübchen, das in ein Gärtchen geht, man sieht sogar ein brunnentiefes Stückchen Himmel. Da stehen Gipsabgüsse von Füßen. Die Füße der tanzenden Grazien von Canova sind da, und der Fuß des Bogenspanners und des griechischen Dornausziehers. Deine Füßchen stellt er neben den linken einer griechischen Tänzerin. ›Und nun, mein Herr,‹ sagt er in hohlem Grabeston, ›die Schreckenskammer!‹ Nun zieht er einen Vorhang auf, und da gibt es schreckliche Dinge. ›Mein Herr! ohne alle Mühe zusammengebracht. Hier in der Gasse und Nebenhöfen! Das ist von zu hohem Absatz, dies kommt von Schuhen, die vorn in der Mitte spitz sind – es ist eine Armee von Häßlichkeiten ... Und nun wollen wir eine Form suchen, die all diese Unglücksfälle vermeidet.‹ Diese Form, behauptet er, sei ihm beim Anblick der Schuhe eines Würzburger Bischofs auf einem Grabmal aufgegangen. Ich weiß nicht, ob ich ihm den Bischof so ganz glauben kann, und Frau von Hardenstein, der Mann hat nichts für die Schuhe genommen, absolut nichts, wenn er die Modelle behalten dürfte für seine Sammlung. Und die Schuhe sind gut.«
»Verzeihen Sie, sie sind höchst absonderlich, und für die Festschuhe mag es gehen, aber diese formlosen Dinge!«
»Ich bitte Sie, Frau Mutter, die haben doch schon die Form der Füße angenommen, sie sind sehr schön und gut.«
Seelchen rief jammernd: »Ich will keine andern mehr, ich will nicht mit meinen Füßen in die Schreckenskammer kommen.«
Harro schlägt vor, wenn Seelchen dafür verspräche, daß sie nie, nie unter dem Tisch die Schuhe ausziehe, dann könnte man ihr doch vielleicht den Willen tun.
Frau von Hardenstein seufzt: »Harro, als Prinzessinnenerzieher sind Sie die allerungeeignetste Persönlichkeit, die ich mir denken kann, und das Unheil, das Sie anrichten werden – – –«
Etwas beladen von der Ungnade der Frau Mutter geht Harro zu seiner Studie auf der Römerwiese. Gegen Abend soll er zum kühlen Brunnen kommen, wohin das Seelchen mit Frau von Hardenstein fahren wird. Dort gibt es Erdbeeren in Menge, und das Kind hat ein feines Weidenkörbchen bei sich, schön mit Weinlaub ausgelegt, und darin will es Erdbeeren sammeln für Harro, wenn er kommt. Und nun nimmt sie der Schatten auf, und der kühle Atem des Waldes weht ihnen entgegen. Der Wagen hält und fährt wieder zurück, denn sie wollen den Heimweg zu Fuß machen. Die hohe Gestalt