Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther

Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther


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Vater, und ihn sehen, und daß er mein Bild immer noch über seinem Schreibtisch hat.«

      Das arme Kind, es träumt wohl wieder, oder es ist so schwach, daß es Traum und Wachen nicht mehr unterscheidet.

      »Und dann kamen die Augen und sahen mich an, da wußte ich, daß ich an der Liebe gesündigt. Und ich hätte müssen meinen schwarzen Balken auf mich nehmen und meinen Vater weiter lieben und nicht verlassen, denn wer liebt ihn wie ich? Und nun ist's zu spät, ich habe es versucht. Ich kann nicht mehr zurück.«

      »Es ist nicht zu spät, Prinzessin, niemals zu spät, Gott sei Dank, da höre ich jemand!«

      Es war Lisa, die mit ziemlich verweinten Augen hereinkam. Sie hatte unterwegs das Heimweh bekommen. Die Sorge, das fremde Weihnachtsland, man weiß nicht, ist's Sommer oder ist's Winter?

      »Prinzessin, wir tun das nächste. Ich gehe einen Arzt zu holen und Sie, Fräulein, bringen Ihre junge Dame zu Bett. Prinzessin, der Wille tut viel, ungeheuer viel. Ich könnte Ihnen Dinge sagen! Und Sie haben ja den besten Willen. Wenn man einmal den Weg weiß, kann man ihn auch gehen.«

      Und der Professor eilt mit seinen langen Schritten hinaus und findet in der Marina einen leeren Wagen, der ihn zum Doktor führt.

      Der junge, patientenlose Doktor erhebt sich verdrossen ...

      »Herr Geheimrat, Sie sehen so menschenfreundlich aus, als brächten Sie mir eine kleine Pockenepidemie mit ... O gewiß, ich komme so schnell wie möglich, wüßte nicht, was mich abhalten könnte. Wohin?«

      »Sie fahren, so schnell der klapperige Wagen es gestattet –«

      »Zu wem?«

      »Zu einer Prinzessin von Brauneck, Doktor. Ich bitte Sie, seien Sie recht zart gegen das arme Kind.«

      »Eine Prinzessin, unmöglich! Eine Prinzessin gebietet von vornherein über jede vorhandene Zartheit, ich werde zerfließen.«

      »Es ist schlimm, Doktor! Ich muß es Ihnen sagen, sie hat irgend etwas mit sich getan, hat sterben wollen.«

      »Gott, natürlich! Wenn es nichts Verzweifeltes wäre, hätte man den deutschen Doktor nicht geholt.«

      Der Doktor brummt etwas, und der Wagen hält. Vor dem Gartentor steht ein großer Herr, dem man auch im Halbdämmer den deutschen Offizier ansieht, im Reisemantel und schaut sich den Eingang an. Als er die Herren sprechen hört, zieht er den Hut und kommt herbei:

      »Entschuldigen Sie, wohnt in diesem Part die Prinzessin von Brauneck?« »Gewiß, in der Villa Riposa.«

      »Ich danke sehr –« und der Herr verneigt sich und geht das Sträßchen hinunter; er hat sich offenbar nur erkundigen wollen. Den Doktor begleitet der Herr Professor bis zu den Löwen.

      »Ich erwarte Sie hier, Doktor, und bitte, bewegen Sie die Prinzessin sofort nach der Untersuchung, daß sie an ihren Vater telegraphiert, oder tun Sie es ... Dies ist ein verzauberter Garten, ein verzaubertes Haus, und wieder kein Mensch da. Gehen Sie nur die Treppe hinauf zu der mittleren Tür.«

      Dann wandelt der Professor den langen Palmengang hinunter in der plötzlich abgekühlten Luft. Er wird sich einen Katarrh holen, den er doch hier loswerden sollte. Der Herr aus Samaria säße jetzt schon längst in Jericho, oder der Herr Professor bei Schulte und einem Glase Wein, wenn er sich nicht auf dem Wege Ängste, Kümmernisse und Verlegenheiten aufgeladen hätte. So wandelt er denn auf und ab, und die Sache währt lange. Einmal kommt er wieder an den Eingang. Da steht schon wieder der deutsche Herr in seinem Reisemantel. Und weil der Herr Professor doch vorher mit ihm gesprochen hat und ein sehr höflicher Mann ist, so zieht er den Hut, und der andere auch. Und der sagt: »Dieser Garten enthält wohl keinen öffentlichen Durchgang?«

      »Eine beschränkte Öffentlichkeit vielleicht doch. Es wohnen verschiedene Familien in diesem Park. Wenn Sie hereinkommen wollen, können Sie es mit demselben Rechte tun wie ich. Es ist ein gastliches Land ...«

      Der große Herr kommt wirklich herein ...

      »Geheimrat Schwarzen aus Gießen.«

      »Graf Thorstein.«

      Dem Herrn Professor gibt es einen kleinen Ruck.

      »Graf Thorstein aus Rom? Via Settimo Settembre?«

      »Aus Rom, soeben angekommen.«

      Da kommt der Doktor den Gang heruntergestürzt.

      »Bester Herr Professor, seien Sie so gütig, Sie haben doch den Wagen warten lassen – besorgen Sie mir dies in der Apotheke. Nein, noch nichts zu sagen, und die Depeschen. Eine an den Fürsten, eine an einen Grafen Thorstein. Und kommen Sie mit den Dingen aus der Apotheke wieder hierher. Die Prinzessin möchte Sie dringend sprechen.«

      Und der Doktor wendet sich schleunigst wieder der Villa zu, den andern Herrn hat er in der schnell anbrechenden Düsterheit gar nicht bemerkt.

      »Herr Geheimrat, die Depesche ... Sie verzeihen, ich hörte meinen Namen. Ich bin der einzige Thorstein, dem die Prinzessin depeschieren könnte. Ich kann mich legitimieren.«

      Und er reißt seine Brieftasche heraus und entnimmt ihr adressierte Briefe, schließlich einen Paß.

      »Sie entschuldigen, Herr Graf, es ist anvertrautes Gut.«

      Und der Herr Professor geht zum nächsten Laternenpfahl und prüft mit wissenschaftlicher Akribie den Paß und übergibt dann mit einer Verbeugung dem Grafen die Depesche.

      »Ein Brief an Sie ist auch unterwegs.«

      Die Depesche enthält nur wenige Worte.

      »Lieber Harro, wenn Du meinen Brief gelesen hast, so tue mir die Liebe und rede mit meinem Vater. Rosmarie.«

      Der Thorsteiner springt auch mit hinein in den Wagen. Apotheke und Postamt sind nebeneinander.

      »Die Depesche handelt von einem Briefe –«

      »Den ich selbst in den Schalter befördert habe.«

      »Die Prinzessin ist krank?«

      »Ja, und noch nichts Gewisses zu sagen – Sie haben es gehört. Versuchen Sie den Brief wieder zu bekommen, vielleicht ist er noch nicht fort.«

      »Sehr gütig, Herr Geheimrat. – Sie nehmen sich wohl ein wenig der Prinzessin an, sie ist gewiß sehr einsam hier? Ist Prinzessin Helene noch bei ihr?«

      »Leider kann ich Ihnen fast keine Auskunft geben. Ich selbst habe heute zum ersten Male mit der Prinzessin gesprochen. Und wenn Sie mir helfen wollten, so könnten Sie die Apotheke und ich die Depesche besorgen ... es geht schneller.«

      Die Herren besorgten alles, der Brief ist aber schon auf dem Wege nach Rom. »Gestatten Sie, daß ich Sie noch einmal zum Garteneingang begleite, Herr Geheimrat.«

      Als sie fahren, fragt der Professor: »Könnten Sie nicht besser mit heraufkommen?«

      »Unmöglich, nein. Ich verkehre schon seit Jahren in Brauneck nicht mehr, übrigens habe ich durchaus keine Differenz mit dem Fürsten gehabt, der mich stets aufs gütigste und mit der ganzen Noblesse seines Wesens behandelt hat ... Doch – wenn ich mit Ihnen hinaufginge – vielleicht tue ich's doch – so hätten wir die schönste Differenz fix und fertig. Ich habe in die Rezepte hineingesehen, es steht eine Kamphereinspritzung darin, – daß der Doktor das Schlimmste befürchtet, habe ich daraus entnommen. Gott, so schrecklich können Sie doch das Seelchen nicht quälen! – Ich kenne das. Es hilft ja doch nichts! Es verlängert nur. Herr Geheimrat, so stehen Sie ihr doch bei! Wer ist denn um des Himmels willen mit ihr?«

      »Soviel ich weiß, nur eine grämliche Engländerin, die ich eines Abends in einem für eine prinzeßliche Duenna höchst eigentümlichen Zustande wanken gesehen habe, einem Zustand, der uns, die wir mitten im akademischen Leben stehen, nicht so ganz unbekannt ist.«

      Harro murmelt: »Die Herrschaften haben ein so unbegreifliches Pech mit den Britinnen ... Ich verstehe nicht ... Und sonst niemand?«

      »Ein brauner Lakai und ein sehr zuverlässig aussehendes


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