Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон

Gesammelte Werke von Cicero - Марк Туллий Цицерон


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sich mit einer Mässigung der Fehler begnügt. Ich kann bei dieser Eintheilung wohl die Sache billigen, aber die richtige Form fehlt. Er mag dies Bedürfnisse der Natur nennen und den Namen der Begierde für die Fälle aufsparen, wo er vom Geize, von der Unmässigkeit und den grössten Lastern spricht, um sie auf Tod und Leben anzuklagen. (§ 28.) Indess spricht er hierüber angebundener und öfter, was ich zwar nicht tadeln kann, da ein so grosser und bedeutender Philosoph seine Aussprüche auch muthig vertheidigen muss; allein er geräth doch dadurch, dass er die Lust, welche alle Welt darunter versteht, vorzugsweise lebhaft in Schutz zu nehmen scheint, mitunter in grosse Verlegenheit, und es scheint, dass er, wenn die Menschen es nicht erführen, selbst das Schlechteste der Lust wegen zu begehen bereit wäre. Wenn er dann erröthet, denn die Macht der Natur ist gar gross, so hilft er sich damit, dass er bestreitet, die Lust des Schmerzlosen könne gesteigert werden. Und wendet man ein, dass diese Schmerzlosigkeit nicht Lust genannt werden könne, so antwortet er: Ich will auf den Namen nicht bestehen. – Wie aber, wenn die Sache eine durchaus andere ist? – Ich werde, antwortet er, dann Viele, ja Unzählige finden, die nicht so spitzfindig und lästig sind, wie Ihr seid, und die ich leicht von Allem, was ich will, überzeugen kann. – Aber kann man zweifeln, dass, wenn die Schmerzlosigkeit die höchste Lust ist, die Lustlosigkeit der höchste Schmerz ist? Weshalb zieht er nicht diesen Schluss? – Weil das Gegentheil des Schmerzes nicht die Lust, sondern die Schmerzlosigkeit ist.

      Kap. X. (§ 29.) Wie muss man sich wundern, dass dieser strenge und ernste Philosoph nicht einsieht, dass diejenige Lust, die er näher als die bezeichnet, welche durch den Gaumen, durch die Ohren und Anderes genossen werde, was man nicht nennen kann, ohne »mit Respect zu vermelden« vorauszuschicken; dass also diese Lust, welche er für das alleinige Gut anerkennt, nach seiner eigenen Lehre nicht einmal begehrenswerth ist, weil es zur höchsten Lust genügen soll, dass man frei von Schmerzen sei. Was sind dies für Widersprüche! (§ 30.) Hätte er definiren und eintheilen gelernt, hielte er den Sinn der Rede und den Sprachgebrauch fest, so würde er niemals in solche Schwierigkeiten sich verwickelt haben. Nun sehe man, wie er sich hilft! Was kein Mensch Lust nennt, das heisst bei ihm so; was zwei Dinge sind, macht er zu einem. Diese Lust in Bewegung, wie er jene sanfte und gleichsam süsse Lust nennt, verdünnt er mitunter so, dass man den Manius Curius zu hören glaubt, und mitunter lobt er sie wieder so, dass er erklärt, kein Gut neben ihr zu kennen. Solche Reden sind nicht von dem Philosophen, sondern von dem Censor zu unterdrücken; denn der Fehler liegt nicht blos in den Reden, sondern auch in der Gesinnung. Er tadelt die Schwelgerei und Verschwendung nicht, sobald sie nur frei von Furcht und schrankenloser Begierde ist. Er scheint hier Schüler zu suchen, die, um Wüstlinge werden zu können, zuvor Philosophen werden wollen. (§ 31.) Der Ursprung des höchsten Guts wird, glaube ich, von dem ersten Entstehen der lebenden Wesen entnommen. Jedes Geschöpf erfreut sich mit seiner Geburt an der Lust, begehrt danach, als dem Guten, und verabscheut den Schmerz als das Uebel. Epikur meint nun, dass man das Gute und das Uebel am besten bei den Geschöpfen kennen lernen könne, die noch nicht verdorben sind. Auch Du hast Dich so ausgesprochen, und es sind dies Eure Worte. Aber wie vieles Falsche steckt nicht darin! Nach welcher Lust von beiden, nach der in Ruhe oder in Bewegung, wird der wimmernde Knabe über das höchste Gut und Uebel entscheiden? Denn wir müssen ja, so Gott will, von Epikur das Reden lernen! Soll es nach der Lust in Ruhe geschehen, so will allerdings die Natur, dass sie sich erhalte, und ich gebe dies zu; soll es nach der in Bewegung geschehen, was Ihr doch sagt, so darf auch die schlechteste Lust nicht vorbeigelassen werden, und gleichzeitig soll jenes kaum geborne Geschöpf sich auch nicht von jener höchsten Lust abwenden, die von Dir in die Schmerzlosigkeit gesetzt wird. (§ 32.) Allein Epikur hat diesen Beweisgrund gar nicht von den kleinen Kindern oder Thieren hergenommen, die er für die Spiegelbilder der Natur hält; denn er sagt nicht, dass diese unter Führung der Natur nach dieser Lust der Schmerzlosigkeit verlangen; denn diese Schmerzlosigkeit kann in der Seele kein Begehren erwecken, noch ihr einen Anstoss geben. Deshalb verfällt hier auch Hieronymus in denselben Fehler. Nur das treibt, was den Sinn durch Lust erweicht; deshalb benutzt Epikur auch immer nur diese Lust, wenn er beweisen will, dass die Lust von der Natur begehrt werde; es ist aber nur die Lust in Bewegung, welche die kleinen Kinder und die Thiere an sich lockt, aber nicht jene Lust in Ruhe, welche nur in der Schmerzlosigkeit besteht. Wie vereinigt es sich, von der einen Lust die Natur ausgehn zu lassen und in die andere das höchste Gut zu setzen?

      Kap. XI. (§ 33.) Den Thieren kann ich überdem kein Urtheil hier zugestehn; denn wenn sie auch nicht verdorben sind, so können sie es doch werden. Mancher Stab ist absichtlich gebogen oder gekrümmt, mancher aber von Natur so; also ist die Natur der wilden Thiere nicht durch schlechte Zucht, aber von selbst schlecht geworden. Auch treibt die Natur das Kind nicht, dass es nach der Lust verlange, sondern nur, dass es sich selbst liebe und sich unversehrt und gesund erhalte. Jedes Geschöpf liebt gleich mit seiner Geburt sich und alle seine Theile; die beiden wichtigsten, die Seele und den Körper, bewahrt es vor Allem; dann auch die Theile von beiden. In der Seele und in dem Körper ist Manches hervortretend, mit dessen oberflächlicher Erkenntniss beginnt es zu unterscheiden, verlangt nach dem, was von Natur das erste Begehrenswerthe ist, und verabscheut dessen Gegentheil. (§ 34.) Ob in diesen ersten natürlichen Regungen schon die Lust enthalten sei, wird viel bestritten. Meint man aber, dass es ausser der Lust nichts gebe, keine Glieder, keine Sinne, keine Bewegung der Gedanken, keinen unverletzten Körper, keine Gesundheit, so kann ich dies nur für die grösste Unwissenheit halten. Von dieser Hauptsache muss aber nothwendig die ganze Lehre vom Guten und Uebel ausgehn. Polemo und schon vor ihm Aristoteles haben jene oben erwähnten natürlichen Regungen für das Erste gehalten. Daraus ist die Ansicht der ältern Akademiker und Peripatetiker hervorgegangen, wonach ihnen ein Leben nach der Natur für das höchste Gut galt, d.h. ein Leben, wo man unter Innehaltung der Tugend das erste Naturgemässe geniesst. Kallipho verband mit der Tugend nur die Lust, Diodor aber die Schmerzlosigkeit. Von allen diesen Männern ist das höchste Gut hiernach folgerecht bestimmt worden, dagegen gilt dem Aristipp als solches nur die einfache Lust und den Stoikern die Uebereinstimmung mit der Natur, was nach ihnen das tugendhafte, d.h. einfache Leben ist, und was sie näher dahin bestimmen, dass es ein Leben sei, wobei man die Vorgänge kennt, welche naturgemäss erfolgen, und das wählt, was der Natur entspricht, das Entgegengesetzte aber zurückweist. (§ 35.) So giebt es drei Endziele ohne Sittlichkeit: eins bei Aristipp, ein anderes bei Hieronymus, ein drittes bei Karneades; ferner drei Ziele, wo das Sittliche noch mit etwas Anderem verbunden ist, nämlich bei Polemo, Kallipho und Diodor. Ein Ziel, das von Zeno, ist einfach und besteht lediglich in dem Geziemenden, d.h. dem Sittlichen; denn Pyrrho, Aristo und Herillus sind schon längst verlassen. Alle Andern bleiben folgerecht, und ihr Letztes entspricht ihrem Anfange; so galt dem Aristipp die Lust, dem Hieronymus die Schmerzlosigkeit und dem Karneades die Befriedigung der Grundtriebe der Natur für das Letzte und Höchste.

      Kap. XII. Allein da Epikur als das erste Empfehlenswerthe die Lust angenommen hat, so hätte, wenn er die Lust des Aristipp gemeint, dasselbe höchste Gut wie dieser festhalten sollen, und hätte er die Lust des Hieronymus gemeint, so hätte er diese auch als erstes Empfehlenswerthe aufstellen sollen. (§ 36.) Denn wenn er sagt, dass durch die Sinne selbst die Lust für ein Gut und der Schmerz für ein Uebel erklärt werde, so räumt er den Sinnen mehr ein, als die Gesetze uns gestatten, wenn wir Richter in Privatstreitigkeiten sind. Denn wir dürfen da über nichts urtheilen, wozu wir nicht ermächtigt sind, und es ist nutzlos, dass die Richter bei dem Eröffnen ihres Spruches zuzusetzen pflegen, »insofern dies zu meiner Entscheidung gehört«. Denn wenn dies auch nicht dazu gehörte, so bliebe es auch ohne diesen Zusatz eine Entscheidung. Worüber urtheilen denn die Sinne? Ueber süss und bitter, glatt und rauh, über nah und fern, über stehn und gehn, über viereckig und rund. (§ 37.) Einen richtigen Ausspruch wird daher erst die Vernunft verkünden, indem sie dabei zunächst die Kenntniss der göttlichen und menschlichen Dinge benutzt, welche man wahrhaft die Weisheit nennen kann, und dann die Tugenden hinzunimmt, welche die Vernunft für die Herrscher von allen Dingen erklärt, während Du sie nur als Diener und Begleiter der Lust willst gelten lassen. Der Ausspruch von Allem diesem wird zunächst über die Lust dahin ergehn, dass sie nichts enthalte, um ihr allein den Sitz im höchsten Gute einzuräumen, was wir suchen, und dass sie auch nicht der Art sei, um sie der Sittlichkeit hinzuzufügen. Ebenso wird der


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