Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
neuen Geldquelle für Zwecke der Akkumulation gelangen können. Diesen Einfall schiebt er natürlich mit einer Handbewegung auf die Seite: "Es darf aber nicht vergessen werden, daß der wirklich gezahlte normale Arbeitslohn (der ceteris paribus die Größe des variablen Kapitals bestimmt) keineswegs aus Güte der Kapitalisten gezahlt wird, sondern unter gegebnen Verhältnissen gezahlt werden muß. Damit ist diese Erklärungsweise beseitigt."59 Selbst auf versteckte Methoden der "Ersparnisse" beim variablen Kapital - Trucksystem, Fälschungen usw. - geht er ein, um zum Schluß zu bemerken: "Es ist dies dieselbe Operation wie sub 1, nur verkleidet und auf einem Umweg exekutiert. Sie ist also hier ebensosehr zurückzuweisen wie jene."60 Auf diese Weise sind alle Versuche, aus dem variablen Kapital eine neue Geldquelle für Zwecke der Akkumulation herauszuschlagen, resultatlos: "Mit 376 II v ist also zu dem erwähnten Zweck nichts anzustellen."
Marx wendet sich dann an den Geldvorrat der Kapitalisten II, den sie zur Zirkulation ihrer eigenen Konsumtion in der Tasche haben, um nachzusehen, ob sich hier nicht ein Geldquantum für Zwecke der Kapitalisierung erübrigen ließe. Er nennt aber diesen Versuch selbst "noch bedenklicher" als den früheren: "Hier stehn sich nur Kapitalisten derselben Klasse gegenüber, die die von ihnen produzierten Konsumtionsmittel wechselseitig aneinander verkaufen und voneinander kaufen. Das zu diesem Umsatz nötige Geld fungiert nur als Zirkulationsmittel und muß bei normalem Verlauf zu den Beteiligten zurückfließen, in dem Maß, wie sie es der Zirkulation vorgeschossen haben, um stets von neuem dieselbe Bahn zu durchlaufen." Dann folgt noch ein Versuch, der natürlich in die Kategorie jener "Ausflüchte" gehört, die Marx rücksichtslos zurückweist: die Bildung von Geldkapital in den Händen der einen Kapitalisten II durch Beschwindelung der anderen Kapitalisten derselben Abteilung zu erklären, nämlich beim gegenseitigen Verkauf von Konsummitteln. Es erübrigt sich, auf diesen Versuch einzugeben.
Darauf noch ein ernstgemeinter Versuch:
"Oder aber, ein in notwendigen Lebensmitteln sich darstellender Teil von II m wird direkt in neues variables Kapital innerhalb Abteilung II verwandelt."61
Wie uns dieser Versuch aus der Schwierigkeit heraushelfen, d.h. die Akkumulation in Fluß bringen soll, ist nicht ganz klar. Denn 1. hilft uns die Bildung von zusätzlichem variablem Kapital in der Abteilung II noch nicht weiter, da wir ja noch nicht das zuschüssige konstante Kapital II zustande gebracht haben und gerade dabei waren, es erst zu ermöglichen; 2. handelte es sich diesmal bei der Untersuchung um die Aufdeckung einer Geldquelle in II zum Ankauf zuschüssiger Produktionsmittel von I nicht darum, das eigene überschüssige Produkt von II irgendwie in der eigenen Produktion unterzubringen; 3. soll der Versuch bedeuten, daß die betreffenden Lebensmittel "direkt", d.h. ohne Vermittelung des Geldes, in der Produktion von II wieder als variables Kapital verwendet werden können, wodurch die entsprechende Geldmenge aus dem variablen Kapital frei würde für Akkumulationszwecke, so müßten wir den Versuch ablehnen. Die kapitalistische Produktion schließt unter normalen Bedingungen die direkte Entlohnung der Arbeiter in Lebensmitteln aus; die Geldform des variablen Kapitals, die selbständige Transaktion zwischen dem Arbeiter als Warenkäufer und den Produzenten der Konsummittel ist eine der wesentlichsten Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft. Marx betont selbst in einem anderen Zusammenhang: "Wir wissen: das wirkliche variable Kapital besteht aus Arbeitskraft, also auch das zusätzliche. Es ist nicht der Kapitalist I, der etwa von II notwendige Lebensmittel auf Vorrat kauft oder aufhäuft für die von ihm zu verwendende zusätzliche Arbeitskraft, wie es der Sklavenhalter tun mußte. Es sind die Arbeiter selbst, die mit II handeln."62 Das Gesagte trifft auf die Kapitalisten II genauso zu wie auf die Kapitalisten I. Damit ist der obige Versuch von Marx erschöpft.
Zum Schluß verweist er uns auf den letzten Teil des "Kapitals", 21. Kapitel im Band II, den Engels sub IV. als "Nachträgliches" gesetzt hat. Hier finden wir die kürze Erklärung:
"Die ursprüngliche Geldquelle für II ist v + m der Goldproduktion I, ausgetauscht gegen einen Teil von II c; nur soweit der Goldproduzent Mehrwert aufhäuft oder in Produktionsmittel I verwandelt, also seine Produktion ausdehnt, geht sein v + m nicht in II ein; andrerseits, soweit Akkumulation von Geld, seitens des Goldproduzenten selbst, schließlich zur erweiterten Reproduktion führt, geht ein nicht als Revenue ausgegebner Teil des Mehrwerts der Goldproduktion für zuschüssiges variables Kapital des Goldproduzenten in II ein, fördert hier neue Schatzbildung oder gibt neue Mittel von I zu kaufen, ohne direkt wieder an es zu verkaufen."63
So sind wir, nachdem alle möglichen Versuche zur Erklärung der Akkumulation fehlgeschlagen sind, nachdem wir von Pontius zu Pilatus, von A I zu B I, von B I zu B II herumgeschickt worden sind, schließlich bei demselben Goldproduzenten angelangt, dessen Heranziehung Marx gleich zu Beginn seiner Analyse als "abgeschmackt" bezeichnet hatte. Damit endet die Analyse des Reproduktionsprozesses und der zweite Band des "Kapitals", ohne uns die lange gesuchte Lösung der Schwierigkeit gebracht zu haben.
Neuntes Kapitel.
Die Schwierigkeit unter dem Gesichtswinkel des Zirkulationsprozesses
Die Analyse litt u.E. darunter, daß Marx das Problem unter der schiefen Form der Frage nach "Geldquellen" zu beantworten suchte. Es handelt sich aber in Wirklichkeit um tatsächliche Nachfrage, um Verwendung für Waren, nicht um Geldquellen zu ihrer Bezahlung. In bezug auf Geld als Medium der Zirkulation müssen wir hier, bei der Betrachtung des Reproduktionsprozesses im ganzen, annehmen, daß die kapitalistische Gesellschaft stets die zu ihrem Zirkulationsprozeß erforderliche Geldmenge zur Verfügung hat oder sich dafür Surrogate zu beschaffen weiß. Was zu erklären ist, sind die großen gesellschaftlichen Austauschakte, die durch reale ökonomische Bedürfnisse hervorgerufen werden. Daß der kapitalistische Mehrwert, bevor er akkumuliert werden kann, unbedingt die Geldform passieren muß, darf nicht außer acht gelassen werden. Dennoch suchen wir aber die ökonomische Nachfrage nach dem Mehrprodukt ausfindig zu machen, ohne uns weiter um die Herkunft des Geldes zu kümmern. Denn, wie Marx selbst an einer anderen Stelle sagt: "Das Geld auf der einen Seite ruft dann die erweiterte Reproduktion auf der andern ins Leben, weil deren Möglichkeit ohne das Geld da ist, denn Geld an sich selbst ist kein Element der wirklichen Reproduktion."64
Daß die Frage nach der "Geldquelle" zur Akkumulation eine ganz sterile Formulierung des Problems der Akkumulation ist, zeigt sich bei Marx selbst in einem anderen Zusammenhang.
Dieselbe Schwierigkeit beschäftigte ihn nämlich schon einmal im zweiten Bande des "Kapitals" bei der Untersuchung des Zirkulationsprozesses. Schon bei der Betrachtung der einfachen Reproduktion stellt er bei der Zirkulation des Mehrwerts die Frage:
"Aber das Warenkapital, vor seiner Rückverwandlung in produktives Kapital und vor der Verausgabung des in ihm steckenden Mehrwerts, muß versilbert werden. Wo kommt das Geld dazu her? Diese Frage erscheint auf den ersten Blick schwierig, und weder Tooke noch ein andrer hat sie bisher beantwortet."65
Und er geht mit aller Rücksichtslosigkeit der Sache auf den Grund:
"Das in der Form von Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd.St., welches immer seine Umschlagsperiode, sei das zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft, d.h. der Kapitalistenklasse. Der Mehrwert sei 100 Pfd.St. Wie kann nun die ganze Kapitalistenklasse beständig 600 Pfd.St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd.St. hineinwirft?"
Wir sind hier wohlgemerkt bei der einfachen Reproduktion, wo der gesamte Mehrwert von der Kapitalistenklasse zu persönlicher Konsumtion verwendet wird. Die Frage müßte also von vornherein präziser so gefaßt werden: Wie können die Kapitalisten, nachdem sie