1870/71. Tobias Arand
bewirkt werden.
Im Krimkrieg, den von 1854 bis 1856 Frankreich, Großbritannien, das Osmanische Reich und Sardinien-Piemont gegen Russland führten, hatte sich Österreich ungeschickt verhalten. Es war zwar nicht Kriegspartei, band jedoch durch Truppenbewegungen und eine unklare Haltung russische Truppen an der Grenze. Dazu hatte es Russland durch ein Ultimatum gezwungen, sich den englischen und französischen Friedensbedingungen zu unterwerfen. Nachdem 1849 ein ungarischer Aufstand mithilfe russischer Truppen unterdrückt und nur so die Habsburgermonarchie gerettet worden war, zeigte man sich beim Zaren mehr als verstimmt über so viel Treulosigkeit. Die ›Heilige Allianz‹ des Jahres 1815, in der sich die Monarchen von Russland, Preußen und Österreich geschworen hatten, in Europa gemeinsam die vorrevolutionäre Ordnung zu bewahren, hatte sich überlebt. Russland würde Österreich in einem Krieg gegen Preußen sicher keine Hilfe leisten. Preußen hatte sich im Krimkrieg herausgehalten und so keine der Kriegsparteien verärgert.
Auch in den ›Sardischen Krieg‹, der 1859 zwischen Frankreich, Sardinien-Piemont auf der einen und Österreich auf der anderen Seite geführt wurde, hatte sich Preußen nicht eingemischt. Unbeeindruckt ließ es Preußen geschehen, dass die einstigen Waffengefährten der Napoleonischen Kriege von Frankreich und Sardinien-Piemont besiegt wurden und Österreich die Lombardei abtreten musste. Mit Frankreich hatte man es sich wegen dieser Frage zumindest nicht ›verscherzt‹.
Als schließlich im Januar 1863 in Russisch-Polen ein Aufstand ausbricht, lässt Bismarck mit dem Zaren einen Beistandspakt aushandeln, der allerdings nicht militärisch umgesetzt wird. In Russland wird ihm das hoch angerechnet. In Preußen jedoch, wo viele Liberale große Sympathien für die polnische Unabhängigkeitsbewegung hegen, gilt die sogenannte ›Alvenslebensche Konvention‹ – benannt nach dem preußischen Unterhändler General Gustav von Alvensleben – nur als weiterer Beleg für Bismarcks rettungslos reaktionären Geist.
In den Beschlüssen von Bad Gastein legt Bismarck dann die Zündschnur, die mit dem richtigen Feuer das Pulver des Krieges gegen Österreich zur Explosion bringen wird. Nach dem Sieg gegen Dänemark kommt es sofort zu Streitereien zwischen den Gewinnern, wie mit den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauenburg künftig zu verfahren sei. Preußen will die Eingliederung in sein Territorium, Österreich den Erhalt der eigenständigen Herzogtümer im ›Deutschen Bund‹. Am 18. August 1865 einigt man sich in einem Grandhotel im Alpenkurbad Gastein darauf, dass Schleswig preußisch und Holstein österreichisch verwaltet werden. Allerdings soll die Verwaltung in wechselseitiger Abstimmung in Form eines ›Kondominiums‹ erfolgen. Lauenburg wird Österreich abgekauft. Kiel, in Holstein gelegen, wird Bundeshafen unter preußischer Verwaltung.
Die Pflicht zur gemeinsamen Abstimmung der verwalteten Gebiete bei Streitfragen sorgt für reichlich Konfliktstoff. Außerdem betreibt Preußen die Einverleibung des eigentlich nur verwalteten Schleswigs in das eigene Territorium. Im Februar 1866 betrachten sowohl der preußische als auch der österreichische Kronrat – ein Gremium, bestehend aus Monarch, Ministern und engsten Beratern – das Konfliktpotenzial als so gewichtig, dass beide Seiten einen Krieg für unausweichlich halten. Anders als Österreich, bereitet sich Preußen ganz gezielt darauf vor. Am 8. April 1866 unterschreibt Preußen mit Italien, dem nur noch das österreichische Venetien und der Kirchenstaat zur Vollendung der Einheit fehlen, ein Geheimabkommen. Darin verpflichtet sich Italien, bis zum 8. Juli des Jahres einen gemeinsamen Krieg gegen Österreich zu beginnen! Mit diesem Vertrag bricht Preußen Bestimmungen des Deutschen Bundes. Ziel des Vertrags ist es, österreichische Truppen an der Südgrenze zu binden, um den Rest leichter im bereits geplanten Krieg schlagen zu können.
Eine weitere treibende Kraft, die den Konflikt schürt, ist der französische Kaiser Napoleon III. Er verspricht sich von einem lang anhaltenden militärischen Konflikt der beiden deutschen Großmächte deren Schwächung und Destabilisierung. Auch gegen den von einem intensiven Bruderkrieg geschwächten Sieger glaubt Napoleon die französischen Ansprüche auf linksrheinische deutsche Gebiete ohne Probleme durchsetzen zu können. Allerdings geht es Napoleon III., anders als häufig behauptet, nicht um die ganze Rheingrenze. Hier sieht er mit Recht die Gefahr, dass er sich mit diesem Ansinnen in der öffentlichen Meinung Europas ins Unrecht setzen würde. Ihm geht es um kleinere Gebietsgewinne zur Arrondierung. Die Schaffung eines neutralen Pufferstaates für den Fall, dass eine der deutschen Großmächte zu stark würde, zieht Napoleon zumindest in Erwägung. Bei seinen Plänen schielt Napoleon vor allem auf die Stimmung in Frankreich, die einen zu starken deutschen Staat fürchtet. Der Kaiser drängt Italien zum Abschluss des Vertrags mit Preußen, das er unbedingt im Krieg mit Österreich sehen will. Constantin Graf Nigra, 1866 der italienische Gesandte in Paris und ein Vertrauter des Kaisers, erinnert sich später an die Zusammenhänge: »Napoleon sagte: ›Es ist ratsam, daß Italien den Vertrag mit Preußen abschließe. Denn erst dann wird Preußen es wagen, den Kampf mit Österreich aufzunehmen. Dann erst sind die Streitkräfte égalisé […]. Während ihr Venedig gewinnt, werde ich erhalten, was ich für notwendig erachte. […] Wenn ich während dieses Kampfes 100 000 Mann in die Rheinlande einrücken lasse, kann ich die Bedingungen des Friedens vorschreiben.‹«20
Bismarck hatte Napoleon bereits 1865 in einem persönlichen Gespräch gewogen gemacht und in seinen Plänen mehr oder weniger direkt bestärkt. Vage Andeutungen Bismarcks, über linksrheinische Gebietszuwächse an Frankreich, zum Beispiel Luxemburg, oder die Schaffung eines Pufferstaats nachdenken zu wollen, wenn Frankreich in einem eventuellen preußisch-österreichischen Krieg neutral bliebe, hatten dafür ausgereicht. Dieses von Bismarck absichtsvoll genährte Trugbild französischer Landgewinne links des Rheins, von denen nach dem Sieg gegen Österreich keine Rede mehr war, sollte eine nicht unerhebliche Rolle beim Beginn des Krieges von 1870/71 spielen. Allerdings hatte der französische Kaiser nicht wirklich Grund, beleidigt zu sein. Napoleon führt gleichzeitig zur Absicherung seiner Pläne Geheimverhandlungen mit Österreich, das er noch sieben Jahre zuvor bekriegt hatte. Er treibt beide deutschen Staaten in den Krieg, denn gleich wer siegt, ihm ist vermeintlich ein Stück des linksrheinischen deutschen ›Kuchens‹ gewiss. Einen wirklich konzisen Plan hat Napoleon dabei jedoch nicht. Allerdings wird sich der Kaiser recht bald als der durch Bismarck betrogene Betrüger wahrnehmen müssen …
Mag den heutigen Leser das hier aufgezeigte Spiel mit Menschen, ihren Schicksalen, mit Ländern und dem Glück ganzer Gesellschaften befremden, so wird ihm Bismarcks Intrigenspiel des Jahres 1866 vielleicht ebenso als zynisch erscheinen. Doch in der Logik ihrer Zeit handeln die Kaiser, Könige und Staatsmänner legitim, halten sie doch Größe und Machtzuwächse ihrer Länder für Ziele, die selbst mit Lügen, Krieg und vielen Toten nicht zu teuer erkauft sind.
Nach dem Abschluss des Geheimvertrags mit Italien und den aus seiner Sicht erfolgreichen Versuchen, Frankreich aus allem herauszuhalten, muss Bismarck nur noch einen plausiblen Kriegsgrund finden und die öffentliche Meinung für sich gewinnen. Die jedoch findet wenig Gefallen an einem deutschen Bruderkrieg. Auch der liberal dominierte Nationalverein, der, das italienische Vorbild vor Augen, Krieg inzwischen durchaus für ein mögliches Mittel zur Gewinnung der Einheit hält, ist noch nicht vollständig davon überzeugt, sich ausgerechnet vom ›Konfliktminister‹ vereinigen lassen zu wollen. Zwei Jahre nach dem Krieg gegen Dänemark halten viele einen neuen Krieg für wenig erstrebenswert; vor allem jene nicht, die dafür Familie, den Hof oder das Kontor verlassen müssen, um ihn auszufechten. Wie bedeutsam gute Begründungen für den Beginn eines Krieges sind, hatte Bismarck mit dem ihm eigenen Sarkasmus bereits in einer Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus im Jahre 1850 betont: »Es ist leicht für einen Staatsmann, […] mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen […] und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zum Kriege umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist.«21
Doch es fehlt an einem überzeugenden Kriegsgrund. Diesen findet Bismarck schließlich in der Schleswig-Holstein-Frage. Ohne wirklich Beweise vorzulegen, beschuldigt Preußen Österreich des Bruchs der Gasteiner Konvention. Nach weiteren preußischen Provokationen überträgt die österreichische Regierung am 1. Juni 1866 die Klärung der Frage dem ›Deutschen Bund‹ und bricht so die Beschlüsse von Bad Gastein. Preußen marschiert als Reaktion