Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn


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ihr tauchte plötzlich ein weißer Golf auf. Offenbar hatte Nele auch Jan Bescheid gegeben. Im Rückspiegel beobachtete sie, dass er ausstieg, mit düsterer Miene, und er war nicht allein. Therese, die alte Hebamme, stieg auf der Beifahrerseite aus. Birte stellte gleichfalls den Motor ab.

      »Therese kann uns vielleicht weiterhelfen«, sagte Jan statt einer Begrüßung.

      Birte nickte der alten Frau zu, die sie freundlich, aber mit erschöpfter Miene anlächelte. Sie schien ihren blauen abgewetzten Wollmantel niemals auszuziehen.

      »Er wollte gar nicht herkommen«, sagte sie mit ihrer schrillen Mädchenstimme. »Weil er in Urlaub fahren will, aber ich habe ihn gezwungen. Ich suche Julika, ein Mädchen aus Rumänien.«

      Jan schaute sich um, ohne Thereses Worte weiter zu erklären. »Was für ein trostloser Ort«, sagte er.

      Vor einem der Häuser tauchte ein uniformierter Polizist auf und winkte sie zu sich. Beim Näherkommen roch Birte das Feuer, das hier gebrannt haben musste.

      »Ein Spaziergänger hat uns angerufen«, erklärte der Polizist. »Sein Hund hat ihn hierhergelockt.« Er verzog das Gesicht und deutete hinter sich.

      Ein schmaler Flur, der mit Scherben übersät war, führte in das Haus. Der Geruch von Rauch und verbranntem Fleisch wehte ihnen entgegen. Therese stöhnte auf. In einem Raum, der vielleicht einmal die Küche gewesen war, jedenfalls gab es noch ein altes Spülbecken und einen Wasserhahn, der aus der Wand ragte, lag ein verkohlter Leichnam auf dem nackten rissigen Betonboden. Von dem Gesicht war nichts mehr zu erkennen; es war völlig verbrannt, doch Birte hatte sofort den Eindruck, dass da der Körper einer Frau vor ihnen lag, die jemand mit Benzin übergossen und in ihrer Kleidung, die auf der Haut geschmolzen war, angezündet hatte.

      »Oh, wie schrecklich!«, stieß Therese aus, während Jan zwei Schritte näher trat und sich über den Leichnam beugte. Ein Taschentuch hielt er sich dabei vor den Mund.

      »Da werden Schultke und seine Leute von der Technik viel Arbeit haben«, sagte er. »Und die Rechtsmedizin obendrein. Sieht aus, als hätte man die Frau in einer Daunenjacke verbrannt. Ein paar Fetzen sind noch zu erkennen und …« Er stockte. »Sogar die Hände. Sie gehören einer Frau, ganz sicher, das sind die Hände einer Frau.«

      Therese stöhnte wieder auf, während Birte das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Der Geruch von verbrannter Haut verursachte ihr Übelkeit.

      Als ein Smartphone summte, griff sie in ihre Tasche. Max, dachte sie schuldbewusst, er schickte ihr eine SMS. In letzter Zeit fiel es ihm schwer, Verständnis dafür aufzubringen, dass sie von einem Moment auf den nächsten einen Einsatz haben konnte.

      Aber es war Thereses Smartphone, das gesurrt hatte. Birte beobachtete, wie Therese auf das Display blickte.

      Hinter ihren dicken Brillengläsern kniff sie die Augen zusammen, als fiele es ihr schwer, den Text zu lesen.

      »Hat sich die verschwundene Rumänin gemeldet?«, fragte Birte.

      Therese blickte auf und hielt ihr das nagelneue Smartphone hin.

      »Liebe Therese«, stand da, »tut mir leid bin nach Hause. Vater krank Überraschung. Dank für immer Deine Julika.«

      »Na, das ist doch eine gute Nachricht.«

      Vor dem Haus konnte Birte endlich wieder durchatmen, obwohl der Brandgeruch immer noch sehr stark war. Sie sah, wie zwei Vans der Spurensicherung von der Straße abbogen und langsam auf das Haus zurollten.

      »Nein«, sagte Therese leise und nachdenklich. »Das ist gar keine gute Nachricht. Die Nachricht stammt nicht von Julika. Sie hat keine Eltern mehr, nur noch Großeltern. Deshalb war sie ja in Sibiu geblieben. Nun beginne ich mir erst recht Sorgen zu machen. Kann man mein altes Telefon nicht orten? Geht so etwas nicht?«

      4

      Schiller sah die Verzweiflung in ihrem alten faltigen Gesicht. Du kannst nicht morgen irgendwohin in den Süden fliegen, sagten ihre Augen. Diese verschwundene junge Frau … Falls sie es ist, die da angezündet wurde, musst du ihren Mörder finden.

      Wenn Therese Kummer hatte, wurde sie schweigsam und fahrig. Sie zupfte dann an allem herum, mit zusammengepressten Lippen und starrem Gesichtsausdruck.

      Als er vor ihrem Bungalow in Seeberg abbremste, griff er nach ihrer Hand. »Ich werde nicht fliegen«, sagte er. »Wir werden diese Rumänin finden. Ich bin sicher, dass ihr nichts passiert ist. Und diese verbrannte Leiche … Die Rechtsmedizin wird bald Genaueres herausfinden. Deine Julika ist es bestimmt nicht.«

      Therese seufzte. Er spürte, wie sich ihre Hand unter seiner entspannte. »Du fährst nicht? Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest. Ich würde dich auch nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.«

      Er nickte.

      »Es ist noch etwas anderes«, sprach sie weiter. »Morgen? Du weißt, was morgen für ein Tag ist?«

      »Ja«, sagte er einsilbig und stieg aus.

      Der Vorwurf, der in ihrer Stimme lag, gefiel ihm nicht. Es war der Todestag seiner Eltern. Achtundzwanzig Jahre war es nun her, seit sie bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen waren. Und an diesem Tag wolltest du durch Bordeaux laufen, mit einer neuen Frau? Dieser stumme Vorwurf hatte in ihrer Stimme mitgeschwungen.

      Ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen, nachdem Therese die Tür aufgeschlossen hatte. Es war stickig und warm. Schon in dem schmalen Flur standen die ersten Kartons. Kleidung quoll daraus hervor. Therese bedachte irgendwelche Heime oder einzelne Familien mit allem, was sie irgendwo auftrieb. Er hatte noch nie erlebt, dass sie etwas nicht gebrauchen konnte.

      Auch in der Küche, die wie immer völlig überhitzt war, weil sie selbst im Sommer die Heizung nicht ausschaltete, türmten sich Kartons. Auf dem Tisch lagen Ordner, Zeitungen, aufgeschlagene Bücher – und auf einem Stück Plastik ein toter Vogel, der aussah, als schliefe er.

      »Meine treue Amsel«, sagte Therese beiläufig, »hat sechs Jahre in meinem Garten gewohnt, muss ich nun begraben.«

      Auf der winzigen freien Fläche des Tisches standen zwei Tassen und zwei Teller.

      »Ich sollte mal wieder aufräumen.« Therese schaute sich um, dann lächelte sie. »Julika hat es hier gefallen. Sie hat kein Wort über die Unordnung verloren. Geschlafen hat sie in den zwei Nächten, die sie hier war, hinten in meinem Bügelzimmer, und gewaschen hat sie sich auf der Gästetoilette. Wollte sie so.«

      Während Therese einen Tee zu kochen begann, ging Schiller in den Flur zurück, um in den hinteren Teil des Bungalows zu gelangen. Er warf einen kurzen Blick in das Wohnzimmer, das eher wie ein Möbellager aussah. Von dem Fernseher, der, umringt von etlichen Büchern, in einer Schrankwand stand, war er nicht sicher, ob er überhaupt noch sendete, und wenn, dann möglicherweise nur schwarz-weiß. Vermutlich nahm Therese sich auch nie die Zeit, fernzusehen. Wenn sie sich entspannen wollte, hörte sie Musik. Mozart – sie liebte Mozart, und einmal im Monat, wenn eine Generalprobe mittags umsonst war, ging sie in die Philharmonie und hörte mit geschlossenen Augen zu.

      In dem Bügelzimmer, in dem sich ein altes Sofa und tatsächlich auch ein Bügelbrett befanden, schaute Schiller sich um. Gab es irgendetwas, das die Rumänin zurückgelassen hatte? Eine schwarz-gelb gemusterte Decke lag auf dem Sofa, daneben ein Kissen, und über dem einzigen Stuhl hing ein Schal, rot, aus Wolle, der so neu wirkte, dass er kaum Therese gehören konnte. Wenn sie Glück hatten und die Rumänin ihn häufig genug getragen hatte, würde man in der Kriminaltechnik genug DNA-Spuren finden, und vielleicht war es sogar möglich, einen Abgleich mit der verbrannten Leiche zu machen.

      Schiller streifte sich einen Latexhandschuh über und steckte den Schal vorsichtig in eine Plastiktüte. Dann besah er sich das winzige Bad eine Tür weiter. In einem Kamm, der auf der Ablage vor dem Spiegel lag, entdeckte er ein paar lange dunkelblonde Haare.

      Als er den Kamm in eine andere Tüte versenkte, summte sein Smartphone.

      Es war kurz nach zwanzig Uhr. Nadine hatte nun ihre Sachen gepackt und wunderte sich,


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