Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn


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und in ein gelbes Handtuch gehüllt aus dem Bad kam. Mühsam richtete er sich auf.

      »Ich fahre dich zum Flughafen«, sagte er und hatte für einen Moment die Hoffnung, dass sie ohne ihn gar nicht abfliegen würde.

      Sie küsste ihn flüchtig auf den Mund und ging dann zum Kleiderschrank, um sich anzuziehen.

      »Dieser Mann in Bordeaux«, sagte sie, das Gesicht von Schiller abgewandt, »er lebt jetzt meistens in Tel Aviv … Er heißt Marcel … Wir hatten vor langer Zeit mal etwas miteinander, und ich glaube, er denkt, es könnte wieder anfangen.«

      Sie hatte sich einen weißen Pullover und eine schwarze Jeans angezogen. Sie schaute ihn an.

      »Und?«, fragte er. »Könnte wieder etwas anfangen?«

      Einen Moment regte sie sich gar nicht, als würde sie den Atem anhalten. »Nein, wohl nicht«, sagte sie leiser und tastender. »Ich habe mich in einen notorisch unzuverlässigen Polizisten verliebt, der nach Kaffee und manchmal auch nach richtigem Feuer riecht. Seinetwegen habe ich sogar eine Kugel abbekommen.«

      Schiller dachte mit einem Schauer daran, dass Nadine bei seinem letzten großen Fall angeschossen worden war. In der Nacht hatte er die Narbe – einen schmalen weißlichen Streifen auf ihrer Haut – gesehen. Zum Glück hatte die Kugel sie nur gestreift und sie nicht gefährlich verletzt.

      »Was macht dein neuer Fall?«, fragte sie, während sie ein paar Sachen in einen Rucksack stopfte. Anscheinend hatte sie noch nichts gepackt.

      In wenigen Worten erzählte Schiller, was vorgefallen war und was sie wussten.

      »Deshalb hast du gerochen, als hättest du stundenlang an einem Lagerfeuer gesessen. Geht es um Prostitution? Wurde die Frau deswegen aus Rumänien nach Deutschland gelockt?«

      Er stand auf und zog sich an. »Vermutlich. Wir werden uns in den einschlägigen Bordellen umsehen müssen.«

      Nadine zog die Augenbrauen in die Höhe. »Auch im Pascha? Ich wollte da immer schon mal hinein. Das ist doch auch eine Art Theater, oder nicht?«

      Das Pascha war das mit Abstand größte Bordell Kölns, eine Legende geradezu. Elf Etagen und fast hundertfünfzig Zimmer.

      »Frauen wie du werden da nicht gerne gesehen«, sagte er in einem leicht spöttischen Tonfall. Im nächsten Moment erschrak er, als er auf sein Smartphone sah und das Datum las. Der Todestag seiner Eltern – Therese hatte ihm gestern noch vorgehalten, dass er an diesem Tag in Urlaub hatte fahren wollen.

      Einen Augenblick später, als hätte sie sein Erschrecken bemerkt, erklärte Nadine: »Ich nehme mir ein Taxi zum Flughafen. Du musst arbeiten, und ich habe keine große Lust auf eine Abschiedsszene. Ich bin ja auch in vier Tagen zurück.«

      Vor der Tür verabschiedeten sie sich mit einem Kuss, der wenig von der Leidenschaft der Nacht hatte, als wären sie beide von dem überrascht, was mit ihnen geschehen war.

      Es war kurz nach acht Uhr, als Schiller in seinem alten Golf saß. Er wählte Therese an, die jedoch nicht an ihr Telefon ging. Niemals kam es vor, dass die alte Frau länger als bis sieben Uhr schlief. War sie um diese Zeit schon unterwegs und suchte diese Julika? Von dem Schal, den sie im Haus gefunden hatten, wusste sie noch nichts. Die alte Hebamme begleitete zwar keine Hausgeburten mehr, aber sie kümmerte sich noch um alleinerziehende Frauen, die nach der Geburt nur notdürftig von einem Pflegedienst betreut wurden.

      Nach seinem dritten Anruf, als er bereits am Südfriedhof angekommen war, schrieb er ihr eine Nachricht. »Bin am Grab der Eltern. Schade, dass wir nicht gemeinsam hingehen konnten. Jan«. Dann schickte er auch Nadine noch einen kurzen Gruß, den sie jedoch nicht sofort beantwortete.

      Auf dem Friedhof fiel es ihm jedes Mal schwer, die richtige Abzweigung zu finden und sich nicht in dem Gewirr von Gängen zu verirren. Er kam zu selten her. Eine Gärtnerei pflegte das Grab.

      Als er den rötlichen Grabstein entdeckte, atmete er auf. Gleichzeitig trat ihm der Tag des Unglücks wieder vor Augen. Zum ersten Mal war er verliebt gewesen – in Sarah, das hübscheste Mädchen der Klasse. Sie hatte ihn bisher nie beachtet, ihr Vater war Arzt, sie spielte Geige und hatte ein eigenes Pferd, nun aber hatte er sie dazu gebracht, mit ihm ins Kino zu gehen. Die Rauchschwaden hatte er schon von Weitem gesehen, ohne sich etwas dabei zu denken. Als er jedoch vor dem Haus stand, stob der schwarze Rauch genau aus den zwei Zimmern ihrer Wohnung in der zweiten Etage. Ein Defekt an einem Elektroofen, hatte es später geheißen; Genaueres hatte man nie herausgefunden. Sein Vater und seine Mutter waren erstickt. Die Leichen hatte man ihm nicht gezeigt.

      Er spürte, dass sein Smartphone summte, als er sich dem Grab näherte. Im Präsidium fragte man sich gewiss, wo er abgeblieben war. Ein alter Mann stand vor dem Grab, in der Hand hielt er eine rote Rose. Schiller beobachtete, wie der Mann sich verbeugte, dann legte er die Blume vor dem Grabstein ab. »Elisabeth und Johannes Schiller«, stand in filigranen goldenen Buchstaben da, unter einem zart in den Stein gemeißelten Kreuz.

      Als Schiller an ihn herantrat, drehte der Mann sich um. Er mochte siebzig oder achtzig Jahre alt sein, er war hager und ungewöhnlich groß, sicherlich fast einen Meter neunzig. Sein graues Haar stand wirr vom Kopf ab, als hätte er sich nur nachlässig gekämmt oder als wäre er soeben erst aufgestanden.

      »Kenne ich Sie?«, fragte Schiller.

      Der Mann kniff die Augen zusammen, er war auch nicht rasiert, graue Stoppeln bedeckten seine Wangen. Plötzlich lächelte er. »Wohl nicht«, sagte der alte Mann. »Aber ich kenne dich. Du bist Jan, nicht wahr? Deine Mutter hat mir damals viel von dir erzählt.«

      »Wer sind Sie?« Schiller nahm den Greis genauer in Augenschein. Ein Verwandter konnte es nicht sein. Sein Vater hatte keine Angehörigen mehr gehabt und seine Mutter lediglich eine Schwester in Bad Godesberg, die vor einem Jahr gestorben war und zu der er kaum Kontakt gehabt hatte.

      Der Mann streckte die Hand vor. »Ich bin Friedbert. Ich hätte mich längst schon mal vorstellen sollen. Damals, nach dem Unglück, wollte ich unbedingt mit dir sprechen, aber Therese … Sie hat das …« Er zögerte und verzog das Gesicht. »Ja, sie hat das verhindert. Bedroht hat sie mich geradezu.«

      Zögernd ergriff Schiller die Hand des Mannes. »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Therese hat verhindert, dass ich Sie treffe?«

      Die Augen des Mannes blitzten auf. »Genau, sie wollte das nicht. Deine Mutter und ich … Nun, wir haben uns geliebt. Wir wollten zusammen sein, deshalb hat dein Vater ja dieses Unglück angerichtet. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Elisabeth ihn verlassen wollte. Elisabeth und ich …«

      Schiller rang nach Luft. Was erzählte der Mann da? Sein Vater hatte das Unglück herbeigeführt? »Ich glaube, Sie sind irre«, stieß er hervor. »Meine Mutter und mein Vater hatten damals Probleme, aber …«

      Sanft schüttelte der Mann den Kopf. »Nein, keine Probleme, es war eigentlich alles geklärt. Nur dir hatten sie noch nichts gesagt. Mit Elisabeth und mir, das war etwas Besonderes. Sie ist ein Jahr vorher zu mir in den Chor gekommen, wir haben zusammen gesungen. Deine Mutter hatte eine wunderbare Altstimme, und dann nach einiger Zeit …«

      »Sie sind dieser Chorleiter?«, fragte Schiller überrascht. Sein Smartphone summte wieder. Er erinnerte sich vage, dass seine Mutter an zwei Abenden der Woche zu ihren Chorproben gegangen und jedes Mal regelrecht euphorisch zurückgekehrt war.

      »Ganz recht«, sagte der Mann. »Ich war Musiklehrer, mittlerweile pensioniert, aber den Chor leite ich immer noch. Vielleicht können wir darüber einmal ausführlich sprechen, und wenn dein Vater sie nicht umgebracht hätte, wären Elisabeth und ich bestimmt seit vielen Jahren verheiratet.«

      Schiller hob die Hand und ballte die Faust. Er war kurz davor, zuzuschlagen. »Reden Sie nicht so!«, zischte er. »Mein Vater hat bestimmt niemanden umgebracht. Und seine eigene Frau schon gar nicht.«

      Dann wandte er sich ab und eilte zu seinem Wagen.

      7

      Vladan war überaus freundlich zu ihr. Er brachte sie auf ihr Zimmer, indem er sie sanft am Ellbogen


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