Aufregend war es immer. Hugo Portisch

Aufregend war es immer - Hugo Portisch


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Gegenforderungen: Wenn schon Überwachung, dann sollte das ein Gremium der vier Siegermächte sein, und jedes Land müsste auch selbst darüber entscheiden können, was mit den Gütern geschieht, so sie einmal geliefert sind. Die USA wiesen diese Forderungen zurück. Daraufhin verließ Molotow die Konferenz in Paris.

      In Prag jedoch beschloss die tschechoslowakische Regierung, dem Marshallplan beizutreten. Doch da beorderte Stalin den tschechischen Ministerpräsidenten Klement Gottwald und Außenminister Jan Masaryk zum Rapport nach Moskau, wo er ihnen verbot, am Marshallplan teilzunehmen. Ungarn und Polen zogen daraufhin auch ihre Teilnahmepläne zurück.

      In Österreich löste das einen Schock aus. Regierung und Bevölkerung setzten große Hoffnungen auf die Hilfe aus Amerika. Doch wie sollte man sich jetzt verhalten? Auch ich verfolgte das damals mit Unbehagen und teilte die Sorge, eine Zusage Österreichs könnte die Teilung des Landes zur Folge haben. Doch wieder einmal zeigte sich die österreichische Regierung mutig und entschlossen. Der Antrag auf Teilnahme am Marshallplan kam im Ministerrat zur Abstimmung.

      In diesem Ministerrat saß noch immer ein Kommunist, Karl Altmann, Minister für Elektrifizierung und Energiewirtschaft. Da die Kommunisten bei der Novemberwahl 1945 nur fünf Prozent der Stimmen erhalten hatten, hätte man sie bei der Regierungsbildung übergehen können. Mit Absicht aber lud man sie zur Teilnahme an der Regierung ein, nicht um die Kommunisten, sondern um die Sowjets nicht zu verstimmen. Wie würde sich Altmann nun verhalten? Die österreichische Verfassung sieht vor, dass alle Beschlüsse der Regierung einstimmig zu erfolgen haben, Altmann könnte also ein Veto einlegen. Nach der brüsken Absage aus Moskau war das zu befürchten. Zum Erstaunen und zur Erleichterung der Regierung und der Öffentlichkeit stimmte Altmann der Teilnahme am Marshallplan zu.

      Dann gab es aber doch noch einen Rückschlag. Die Sowjets erklärten, dass sie amerikanische Kontrollen in ihrer Zone nicht zulassen würden. Sollte die Hilfe also jetzt nur den Westzonen zugutekommen und galt das Verbot auch für Wien als gemeinsam verwaltete Vierzonenstadt? Aber da geschah, was niemand geglaubt hätte, der die Unantastbarkeit der amerikanischen Kongressbeschlüsse kennt. Beide Häuser, Abgeordnete und Senatoren, beschlossen eine Ausnahmeklausel für Österreich: In der österreichischen Sowjetzone sei es gestattet, die ERP-Kontrollen nicht von Amerikanern, sondern von Österreichern vornehmen zu lassen. Das sowjetische Veto wurde damit hinfällig.

      Nirgendwo ließ sich die triste Wirtschaftslage, in der sich Österreich damals befand, besser beurteilen als in dem dafür zuständigen Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. Die mit dieser Wirtschaftsplanung beauftragte Sektion wurde von einer tüchtigen Wirtschaftsexpertin geleitet, Margarethe Ottillinger. Das schilderte sie mir so: »Zu diesem Zeitpunkt war ich Chef der Planungssektion und habe mit meinen Fachleuten bereits die Pläne für den Wiederaufbau Österreichs fix und fertig gehabt. Doch die Situation in dieser Zeit war: keine Hilfsmittel, wenig Güter, konfiszierte Industrien, zwar Fachkräfte vorhanden, aber kein Groschen Geld. Es war also der Marshallplan in diesem Augenblick wie ein Rettungsanker, der da plötzlich vor uns auftauchte. Nach heutigem Geld (1982) waren das einhundert Milliarden Schilling, das war eine ungeheure Summe in einer Zeit, in der wir über keinen Cent an Devisen verfügten, fast keinen Export hatten, nicht wussten, woher etwas verdienen. Es war für uns auch die einzige Möglichkeit, den Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft in so kurzer Zeit zu bewerkstelligen. Ohne diese Geldmittel und ohne die Ausrüstungen, die wir dann erhielten, wäre der Wiederaufbau nicht möglich gewesen.«

      Für den 12. Juli 1947 luden Großbritannien und Frankreich 22 europäische Staaten zur weiteren Besprechung des Marshallplans nach Paris ein. Aber acht Länder sagten nun ab: die kommunistisch regierten Länder Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Albanien, aber auch Finnland. Die Absagen waren noch nicht in Paris eingetroffen, als der sowjetische Rundfunk die Meldungen bereits verbreitete. Dazu gleich die sowjetische Erklärung: Der Marshallplan sei ein Instrument der USA, die Europäer zu kolonialisieren und ihnen das kapitalistische Gesellschaftssystem aufzuzwingen. Das war nach Molotows Exodus zu erwarten. Enttäuschung gab es über die Absage auch Finnlands. Im Gegensatz zu Österreich hatte man in Helsinki nicht riskiert, die Sowjetunion zu provozieren.

      Anatol Koloschin, damals der Chefkameramann der Sowjetarmee in Österreich, erzählte mir, dass in Führungskreisen Moskaus Jahre später offen zugegeben wurde, es wäre ein Fehler gewesen, den Marshallplan zurückzuweisen. Gerade die durch den Krieg schwer zerstörte Wirtschaft der Sowjetunion hätte den Wiederaufbau nur mit dieser Hilfe geschafft. So hinkte besonders die Konsumgüterindustrie der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten weit hinten nach. Aber man wusste auch, weshalb man damals Nein gesagt hatte: Stalin befürchtete, und damit hatte er wahrscheinlich recht, dass die Teilnahme an einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Zwang, die Hilfsgüter nicht unkontrolliert verteilen zu können, das gesamte sowjetische Gesellschaftssystem zum Einsturz bringen könnten.

      Daran musste ich in den 1990er-Jahren immer wieder denken. Denn letzten Endes hat der Marshallplan auch ohne Teilnahme des Ostblocks das Gleiche bewirkt: Mehr als alles andere waren es der wirtschaftliche, vom Marshallplan bewirkte Wohlstand und die funktionierende Zusammenarbeit der westlichen Demokratien, die das sowjetische Imperium zur Aufgabe zwangen und die Wende herbeiführten. Und das wirkt auch noch nach. Beim Konflikt in und um die Ukraine war die Absicht der Ukrainer, sich der Europäischen Union zuzuwenden, der Auslöser für Russlands aggressives Eingreifen.

      Wir lesen uns etwas vor Angekommen in der »Tageszeitung«

      Am 2. Januar 1948 betrat ich das Redaktionszimmer der Wiener »Tageszeitung«, das für die nächsten vier Jahre mein berufliches Zuhause sein würde. In diesem einen Zimmer war die gesamte Auslandsredaktion der Zeitung untergebracht. Es war nicht sehr groß, und doch standen hier drei Schreibtische und zwei Schreibmaschinen-Tischerl. Begrüßt wurde ich von zwei Damen und zwei Herren. Die Herren hießen Karl Polly und Hans Dichand, die Damen Prerovski und Smoliner.

      Polly war der Chef, ein Herr mittleren Alters. Von dem schweren Schicksal, das er hatte, erfuhr ich erst im Laufe der Zeit. Im Jahre 1938 hatte sich Polly als Legitimist (Monarchist) im Widerstand gegen Hitler und gegen den »Anschluss« betätigt. Von der Gestapo aufgespürt, wurde er vor Gericht gestellt, verurteilt und verbrachte die sechs Jahre bis zum Kriegsende in einem Münchner Gefängnis. Befreit und heimgekehrt, arbeitete er wieder als Redakteur und leitete jetzt in dieser Zeitung das Ressort Auslandspolitik.

      Hans Dichand, bedeutend jünger als Polly, kam aus Graz, wo er beim Britischen Nachrichtendienst untergekommen war, dem Pressedienst der britischen Besatzungsmacht in der Steiermark. Er war daher hier schon als ausgebildeter Redakteur anerkannt. Ich nicht. Mir stand nur der im Kollektivvertrag für Journalisten vorgesehene Einstiegstitel zu: »Redaktionseleve im ersten Jahr«. Kein Witz, das hieß so. Die beiden Damen waren Sekretärinnen, jedoch nur mit der Aufgabe betraut, die Schreibarbeiten für die drei Redakteure zu erledigen. Wie sich herausstellte, war das für mein weiteres Journalistenleben von größerer Bedeutung. Denn zu meiner Überraschung schrieb keiner der beiden anderen Herren seine Berichte und Kommentare selbst auf der Schreibmaschine, sie diktierten sie einer der beiden Sekretärinnen. Und das wurde auch von mir so erwartet. Das aber setzte voraus, wie mir schnell bewusst wurde, dass man alle seine Gedanken schon parat haben musste, ehe man zu diktieren begann, sonst musste man lange Gedankenpausen einlegen, was Zeit kostete und ein wenig peinlich war. Aber das war trainierbar, wie mir Herr Polly klarmachte, und – wie ich merkte – tatsächlich erlernbar.

      Dichand und ich betrieben auch bald ein Training anderer Art. Wir lehrten uns gegenseitig Journalismus. Denn im Grunde genommen hatten wir ja beide sehr wenig Erfahrung auf diesem Gebiet. Dichand war ein gelernter Buchdrucker. Dieses Handwerk hatte er von der Pike auf gelernt, er war Lehrling, wurde nach der Art der Buchdrucker durch »Gautschen« – bei diesem Brauch wurde man in ein Fass von Wasser getaucht – zum Gesellen befördert. So erzählte er es mir mit Freude und Stolz. Dichand war ein guter Erzähler, seine Geschichten waren spannend und unterhaltsam. Er hatte für sein Alter schon viel erlebt, wurde ganz jung zur deutschen Marine eingezogen, doch aufgrund seiner Italienischkenntnisse als Verbindungsmann auf einem italienischen Zerstörer eingesetzt. Seine historische Tat in dieser Zeit setzte er, als Italien 1943 kapitulierte und er


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