Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
unterwerfen, auf das er durch seine Heirat mit Constanze Anspruch hatte, beides fast aussichtslose Unternehmungen. Bedenkt man, dass alle Könige die Erblichkeit der Krone, wenn auch meist nur im einzelnen Falle, angestrebt hatten, und dass immer mehr von Fürsten und Papst gemeinsam der Grundsatz der Erblichkeit heftig bekämpft wurde, erscheint es wie ein Wunder, dass auf einem Hoftage zu Würzburg im Jahre 1196 der junge Kaiser die Annahme desselben durchsetzte. Wahrscheinlich verzichtete er schon bald danach auf den erlangten Erfolg, um die Stimmen widerstrebender Fürsten für die Wahl seines Sohnes zu gewinnen; eine Erbmonarchie in Deutschland hätte auf die Dauer wohl weder die Eifersucht der Stämme noch die geografische Beschaffenheit Deutschlands gelitten. Auch in Unteritalien erreichte er, was er wollte: nach grausamer Unterdrückung des Widerstandes musste sich Sizilien unterwerfen. Mit den ungeheuren Reichtümern, die ihm aus dem Schatz der normannischen Könige zufielen, sicherte er sich die Anhängerschaft der deutschen Fürsten und Ritter. Eine zweite außerordentliche Einnahme verschaffte ihm die Gefangenschaft von Richard Löwenherz, der sich nur durch ein großes Lösegeld die Freiheit erkaufen konnte. Den Papst gewann er dadurch, dass er das Kreuz nahm, vermutlich ohne die Absicht, selbst den Kreuzzug anzutreten. Die nüchterne Art, wie er, einzig den politischen Nutzen im Auge, die Gebote der Ritterlichkeit und zuweilen auch die der Ehre und Menschlichkeit beiseite ließ, missbilligte mancher Zeitgenosse; etwas Unheimliches lag in seiner Verbindung mit der Fremden, die Mutter seines Sohnes war und als Vertreterin ihres Volkes ihn hasste und, wie es hieß, ihn vergiftete. Wenn die trotzigen deutschen Fürsten keinen Widerspruch gegen ihren schneidigen Herrn wagten, wenn die Sizilianer sich unterwarfen und selbst das Glück an ihn gefesselt schien, der Tod blies gleichgültig das stolze Licht aus.
In Deutschland überwog noch die Anhänglichkeit an die staufische Dynastie; aber in Italien war das Aufschnellen des Widerstandes umso heftiger, je straffer die Zügel gespannt gewesen waren. Nachdem die Staufer nahe daran waren, eine Erbmonarchie in Deutschland zu errichten, und Sizilien erobert hatten, waren die Päpste entschlossen, sie zu vernichten. Zu diesem Zweck verbanden sie sich mit den lombardischen Städten. Wären die deutschen Könige Herren im Süden, Herren in der Lombardei und dazu noch Herren in der Toskana durch den Besitz der Mathildischen Güter, so konnte Rom, von allen Seiten eingeschlossen, ihnen nicht entgehen; sie waren dann in Wahrheit Könige von Italien. Das Gefühl, Rom zu sein, Italien zu sein, erfüllte die Päpste mit der Energie nationaler Leidenschaft. So wenig wie einst die Langobarden wollten sie jetzt die Deutschen in Rom und Italien dulden, wie einst der Frankenkönig musste jetzt ein Fürst gewonnen werden, um Italien zu befreien. Der tragische Widerspruch, dass der Papst schicksalsmäßig Nachfolger der Cäsaren geworden war und doch kein Schwert führte, vielmehr durch sein Amt zum Friedensfürsten bestimmt war, macht das Dämonische seines Wütens gegen die Kaiser, die er selbst gerufen und gesalbt hatte, verständlich. Ohnmächtig im weltlichen Sinn konnte er nur durch Fluch und Bann, durch das Gift der Verleumdung wirken.
Lothar von Segni, der als Innocenz III., erst 37 Jahre alt, Papst wurde, erklärte seinen Standpunkt, indem er sagte, dem Fürsten werde die Macht auf Erden, dem Priester aber auch die Gewalt im Himmel verliehen, jenem nur über den Leib, diesem auch über die Seele. So viel die Würde der Seele die des Leibes überrage, ebenso überrage die Würde des Priestertums die des Königtums. Einen Einfluss auf die Königswahl habe der Papst zu beanspruchen, weil das Reich ihm seinen Ursprung und seine Vollendung verdanke, den Ursprung, weil er das Reich von Griechenland nach Rom verpflanzt habe, die Vollendung, weil er dem König die Kaiserkrone verleihe. Die Staufer nannte er ein Geschlecht von Verfolgern der Kirche; er würde, wenn er einen Staufer kröne, einem Räuber Waffen gegen sich selbst in die Hand drücken. Die Fürsten indessen, geistliche wie weltliche, bestritten dem Papst in bestimmten Ausdrücken das Recht zur Einmischung in die Wahl, und Heinrichs Bruder Philipp, ein liebenswürdiger und beliebter Mann, hatte sich allgemeine Anerkennung erkämpft, als er von Otto von Wittelsbach, der sich von ihm beleidigt glaubte, ermordet wurde. Otto, Heinrichs des Löwen Sohn, den Innocenz als Angehörigen einer der Kirche ergebenen Familie unterstützt hatte, trat als unbestrittener Kaiser sofort in den unentrinnbaren Gegensatz ein, indem er mit Nachdruck die Reichsrechte auf Italien geltend machte und sich zur Eroberung Siziliens anschickte. »Es reut mich, den Menschen gemacht zu haben«, sagte Innocenz mit den Worten Gottes. Ungefährlicher als der rücksichtslose Welfe kam ihm der jugendliche Friedrich vor, Heinrichs VI. Sohn, der als sein Mündel in Sizilien aufgewachsen war und mit dem er in gutem Einvernehmen stand. Als der Achtzehnjährige ins Reich aufbrach und durch Rom kam, begegneten sich der mächtige Papst und der stolze Staufer zum ersten und einzigen Male. Innocenz starb vier Jahre später; vorher hatte er die Genugtuung, auf einem Konzil im Lateran den aufsässigen Welfen abzusetzen. In der Kirche hat er das monarchische Prinzip, das er im Reich so schneidend bekämpfte, gestärkt und in allen Ländern außer Frankreich die Bischöfe von sich abhängig gemacht.
Im 7. und 8. Jahrhundert wiesen es die Päpste streng zurück, wenn sie als allgemeine Bischöfe angeredet wurden, weil sie dadurch den übrigen Bischöfen, ihren Brüdern, zu nahe träten. Sie wollten nicht mehr sein als die anderen, nur wenn einer sich vergangen hätte, wollten sie sie zurechtweisen und in Fällen des Streites oder der Ungewissheit entscheiden dürfen. Innocenz III. beschränkte ihre Rechte, bis sie nicht viel mehr als Beamte des Papstes waren. Der Geist Roms richtete sich gebieterisch auf. Wozu einzelne Päpste den Grund gelegt hatten, das stand nun hüllenlos massiv da: die römische Weltherrschaft in der Hand der Päpste. Wiedergekommen war die Vergötterung der Cäsaren, die einst die christliche Kirche als Blasphemie der Heiden verdammt hatte. Innocenz III. sagte, er sei weniger als Gott und mehr als die Menschen und legte den Ton mehr auf das Erhobensein des Sterblichen in die Nähe der Allmacht als auf den Zwischenraum, der ihn noch von Gott trennte. Dasselbe Ziel verfolgte Gregor IX. in anderer Art. Innocenz war ein großer Organisator, umsichtig, immer seiner Zwecke bewusst und seine Mittel beherrschend mit der ruhigen Sicherheit des reifen Mannes. Gregor war alt, als er zur Regierung kam, und das Alter milderte seine Leidenschaft nicht, sondern steigerte sie zu äußerstem Ungestüm. Er musste große Taten in eine kurze Spanne zwingen, musste mit dem Feuer des Geistes die Gebrechlichkeit des Körpers ersetzen. Der Stil der päpstlichen Kurie, der von jeher eine Mischung spätrömischen Pompes und frommer Rührung gewesen war, schwoll grell an. Gregor entzündete einen roten apokalyptischen Himmel über