Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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der ihm die Ge­mü­ter ge­wann; es ist merk­wür­dig, wie sich die­se Gabe vie­le Jahr­hun­der­te hin­durch in sei­ner Fa­mi­lie er­hal­ten hat. Ein­mal kam der Kö­nig, so wird er­zählt, in Ba­sel mit ei­nem Ger­ber ins Ge­spräch, der, schlecht ge­klei­det, über sei­ner schmut­zi­gen Ar­beit war. Im Ver­lau­fe der Un­ter­hal­tung lud der Mann den Kö­nig auf den nächs­ten Tag zum Mit­ta­ges­sen ein, und Ru­dolf sag­te zu, in der Mei­nung, ei­ner ar­men Hüt­te kö­nig­li­che Gna­de zu er­wei­sen. Je­doch emp­fing ihn in ei­nem statt­li­chen, ge­schmack­voll ein­ge­rich­te­ten Hau­se ein fein­ge­klei­de­ter Mann mit ei­ner schö­nen Frau, die ihn zu ei­ner reich be­stell­ten, mit kost­ba­rem Ge­schirr ge­schmück­ten Ta­fel führ­ten. Der über­rasch­te Kö­nig frag­te den Ger­ber, warum er denn, da er au­gen­schein­lich ein wohl­ha­ben­der Mann sei, ein so schmut­zi­ges, übel­rie­chen­des Ge­wer­be trei­be, wor­auf der Mann zur Ant­wort gab, eben die­sem Ge­wer­be ver­dan­ke er sei­nen Wohl­stand, und des­halb blei­be er da­bei.

      Nach­dem die Ar­beit des hö­rig ge­wor­de­nen Bau­ern der Ver­ach­tung an­heim­ge­fal­len war, bil­de­te sich in der Stadt eine neue Wert­schät­zung der Ar­beit und des frei­en Ar­bei­ters. Der Hand­wer­ker, einst ein Ab­hän­gi­ger, Wehr­lo­ser, wur­de Haus­be­sit­zer, hat­te sein ei­ge­nes Recht, wur­de Mitherr an der Stadt, ver­tei­dig­te sei­ne Stadt mit ei­ge­nen Waf­fen. Wie groß auch im­mer die Kluft zwi­schen Ar­men und Rei­chen, zwi­schen dem Re­gi­ments­fä­hi­gen und dem Un­ter­tan war, die Stadt­luft war doch ein Ele­ment der Frei­heit für alle, für das neu ent­ste­hen­de Volk der Wohl­ha­ben­den und Ge­bil­de­ten. Wenn die Frem­den da­mals und künf­tig die Herr­lich­keit des Rei­ches prie­sen, so dach­ten sie da­bei haupt­säch­lich an die Städ­te, von de­nen jede ihr be­son­de­res Ant­litz, ihre be­son­de­re Schön­heit, ihre be­son­de­re An­zie­hungs­kraft hat­te. Nicht nur die Kai­ser, auch die Fürs­ten, welt­li­che wie geist­li­che, hiel­ten sich gern in den großen Städ­ten auf, be­sa­ßen dort wo­mög­lich ein Ab­stei­ge­quar­tier. Dort ent­wi­ckel­te sich eine neue Art von Fröm­mig­keit, die von der Kirch­lich­keit un­ab­hän­gig war, sich so­gar mit Feind­se­lig­keit ge­gen die Kir­che ver­trug. Sie war nicht mehr nur Ma­gie, son­dern sie wur­de Le­bens­deu­tung, Durch­drin­gung des Le­bens mit sitt­li­chen Ge­dan­ken. Der Gold­grund des Drü­ben lös­te sich lang­sam auf, wur­de dün­ner und dün­ner und ließ die blen­den­de Wirk­lich­keit hin­durch­strah­len; auf die greif­ba­ren Zie­le des tä­ti­gen Men­schen rich­te­te sich der Blick.

      Es ist kein Blatt in der Ge­schich­te der Mensch­heit so tra­gisch und ge­heim­nis­voll wie die Ge­schich­te der Ju­den. Ein­zig ihre Stel­lung un­ter den Völ­kern als das aus­er­wähl­te, aus wel­chem der her­vor­ging, der für das Abend­land den Mit­tel­punkt und die Grenz­schei­de der Völ­ker bil­det, des­sen Name und Wort das Höchs­te, das Ver­eh­rungs­wür­digs­te be­zeich­net; ein­zig zu­gleich als das ver­fluch­te, das ihn ans Kreuz schlug. Wa­ren sie aus­er­wählt, weil in kei­nem an­de­ren Vol­ke eine so lei­den­schaft­li­che Span­nung zwi­schen dem Gu­ten und dem Bö­sen be­stand? Und warum konn­ten sie, nach­dem der Gott­mensch in ih­rer Mit­te Fleisch ge­wor­den war, nach­dem sie auf­ge­löst und in alle Tei­le der Erde zer­streut wa­ren, nicht un­ter­ge­hen? Soll­te ih­nen die ir­di­sche Uns­terb­lich­keit zu­teil wer­den, weil sie an die jen­sei­ti­ge nicht glau­ben woll­ten? Soll­te das Göt­ter- und Sün­der­blut er­hal­ten blei­ben als ein Trop­fen bald heil­sa­men, bald töd­li­chen Gif­tes für sei­ne Nach­barn?

      Eine sa­gen­haf­te Über­lie­fe­rung er­zählt, der Fran­ken­kö­nig Karl habe den Kö­nig von Ba­bel ge­be­ten, ihm einen wei­sen Ju­den zu schi­cken, wor­auf der Rab­bi Ma­chir, ein Mann voll un­ge­wöhn­li­cher Weis­heit, nach dem Wes­ten ge­kom­men sei. Aus Lie­be zu ihm habe Karl ihm den drit­ten Teil der da­mals er­ober­ten Stadt Nar­bonne und den Adel ver­lie­hen, dazu Pri­vi­le­gi­en für die dort woh­nen­den Ju­den. Ge­wiss ist, dass die Ju­den im ka­ro­lin­gi­schen Rei­che un­be­läs­tigt, nicht sel­ten so­gar be­güns­tigt leb­ten, so­dass die Chris­ten über ihre un­ge­rech­te Be­vor­zu­gung klag­ten. Die stol­ze Wel­fin Ju­dith, Lud­wigs des From­men Frau, soll eine ent­schie­de­ne Vor­lie­be für sie ge­habt ha­ben. Wahr­schein­lich ha­ben Ju­den fort­dau­ernd wäh­rend der un­ru­hig be­weg­ten Jahr­hun­der­te der Völ­ker­wan­de­rung in den halb zer­stör­ten, ver­fal­le­nen Städ­ten des Rö­mi­schen Rei­ches ge­wohnt. In Worms wur­de zur Er­klä­rung da­für, dass die Ju­den dort be­son­ders gut ge­stellt wa­ren, an­ge­führt, sie sei­en schon vor Chris­ti Ge­burt hin­ge­kom­men, trü­gen also kei­ne Schuld am Tode Chris­ti. Ein Vor­fahr der Käm­me­rer von Worms, de­ren Name und Gü­ter spä­ter auf die Dal­berg über­gin­gen, soll­te zur­zeit des Au­gus­tus rö­mi­scher Haupt­mann in Pa­läs­ti­na ge­we­sen und spä­ter nach der Pro­vinz Ger­ma­ni­en ver­setzt sein, wo­hin er Ju­den mit­ge­nom­men habe. Die­se Fa­mi­lie rühm­te sich der Ver­wandt­schaft mit der Mut­ter des Er­lö­sers. Zwar war den Ju­den er­laubt, Land zu be­sit­zen, aber da sie kei­ne christ­li­chen Skla­ven hal­ten durf­ten, konn­ten sie grö­ße­re Gü­ter nicht be­wirt­schaf­ten. Dem Hand­werk ha­ben sich Ju­den in ver­schie­de­nen Län­dern mit Glück ge­wid­met, aber im Rö­mi­schen Rei­che be­schäf­tig­ten sie sich haupt­säch­lich mit Fern­han­del, und das war es wohl auch, wes­we­gen sie im All­ge­mei­nen gern ge­se­hen und von den Kö­ni­gen oft ge­braucht wur­den. Uner­müd­lich durch­wan­der­ten sie die al­ten Han­dels­s­tra­ßen nach dem Os­ten und wie­der nach dem Wes­ten, er­war­ben in By­zanz kost­ba­re Stof­fe und Ge­wür­ze, auch die Pel­ze, die von Russ­land dem großen Sta­pel­platz am Schwar­zen Meer zu­ge­führt und am Hofe der frän­ki­schen Kö­ni­ge sehr be­gehrt wur­den, kauf­ten Skla­ven in Böh­men und brach­ten sie nach Spa­ni­en. Da sie über die gan­ze Erde zer­streut wa­ren, hat­ten sie über­all gute Be­zie­hun­gen, auch be­herrsch­ten sie ver­schie­de­ne Spra­chen und be­sa­ßen die Wa­ren­kennt­nis, die für Han­del­trei­ben­de nö­tig ist. Ihre Ver­traut­heit mit frem­den Län­dern war die Ur­sa­che, dass die Kö­ni­ge sie bei Ge­sandt­schaf­ten ver­wen­de­ten. Karl der Gro­ße gab zwei Ge­sand­ten, die dem Ka­li­fen Ha­run al Ra­schid Ge­schen­ke über­brin­gen und viel­leicht auch Han­dels­be­zie­hun­gen an­knüp­fen soll­ten, den Ju­den Isaak mit, der, da die bei­den Fran­ken un­ter­wegs star­ben, als Haupt der Am­bassa­de die Ge­gen­ge­schen­ke Haruns zu­rück­führ­te. Es war ein Ele­fant dar­un­ter, der in Ita­li­en über­win­tern muss­te, weil man ihm nicht zu­mu­ten konn­te, die ver­schnei­ten Al­pen zu über­stei­gen. Von ei­nem an­de­ren Ju­den wird er­zählt, dass er auf den Wunsch des Kai­sers ei­nem Bi­schof, dem er einen Scha­ber­nack spie­len woll­te, eine mit Wohl­ge­rü­chen und Es­sen­zen her­ge­rich­te­te Maus als ein sel­te­nes, in Ju­däa auf­ge­fun­de­nes Tier an­bot und den Leicht­gläu­bi­gen da­hin brach­te, einen Schef­fel Sil­ber da­für zu zah­len. Die jü­di­schen Kauf­leu­te hat­ten Schutz­brie­fe mit Gel­tung für das gan­ze Reich und wa­ren vom Heer­bann und von an­de­ren per­sön­li­chen Dienst­leis­tun­gen be­freit. Die ers­ten Pri­vi­le­gi­en, die die säch­si­schen Kö­ni­ge den ein­hei­mi­schen Kauf­leu­ten für den Be­such ih­rer Märk­te er­teil­ten, wa­ren im­mer zu­gleich mit an die Ju­den ge­rich­tet, oft so, dass die Ju­den den Kauf­leu­ten vor­an­ge­stellt wur­den. Im Üb­ri­gen gal­ten für die Ju­den die ka­no­ni­schen Be­stim­mun­gen, die Gre­gor der Gro­ße fest­ge­setzt hat­te. Die­ser her­vor­ra­gen­de


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