Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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Ge­bäu­de der Kir­che er­rich­te­te, be­wun­derns­wert aber auch der ger­ma­ni­sche Geist, dem es nicht Ge­nü­ge gab, der es mit sei­ner ei­ge­nen Fröm­mig­keit er­fül­len woll­te. An den Ge­gen­sät­zen ent­brennt das Feu­er der Ge­schich­te. Si­cher­lich nicht alle, die sich der Kir­che wi­der­setz­ten, wur­den dazu von ei­nem schöp­fe­risch gläu­bi­gen, frucht­bar zwei­feln­den Drang be­wo­gen. Vie­le nah­men An­stoß an der welt­li­chen Herr­schaft, dem welt­li­chen We­sen der Kir­che. Es war leicht, der Ar­mut des Herrn, der nicht hat­te, wo­hin er sein Haupt le­gen konn­te, den welt­li­chen Pomp der Kir­chen­fürs­ten mit dem Papst an der Spit­ze ent­ge­gen­zu­set­zen und da­mit den gan­zen Cha­rak­ter der Kir­che zu ver­wer­fen. Si­cher­lich war das kei­ne Nach­fol­ge Chris­ti; aber es war ein über dem Gra­be Chris­ti auf­ge­rich­te­tes Reich, das wach­sen und einst die Welt be­herr­schen soll­te, alle Stu­fen und Sphä­ren des Le­bens der Völ­ker um­fas­send. Wäre ohne ein sol­ches macht­vol­les Reich das Wort Chris­ti er­hal­ten wor­den? Wie be­rech­tigt auch der­ar­ti­ge An­grif­fe ein­zel­ner wa­ren, wie etwa ei­nes Ar­nold von Bre­s­cia, sie konn­ten zu­nächst die herr­schen­de Kir­che nicht er­schüt­tern. An­de­re schei­nen von dem weit­ver­brei­te­ten Hang be­seelt ge­we­sen zu sein, sich durch ir­gend­wel­che Ab­son­der­lich­kei­ten her­vor­zu­tun, wie jene Ket­zer, die Hein­rich III. un­ter all­ge­mei­ner Zu­stim­mung auf­hän­gen ließ, die den Fleisch­ge­nuss ver­war­fen. Über­haupt war das nie­de­re Volk mehr für ge­walt­sa­mes Ver­fah­ren ge­gen Ket­zer als der Kle­rus, ob­wohl die Ket­zer meist aus den un­te­ren Volks­schich­ten stamm­ten. Der Kle­rus ging ohne Un­ter­su­chung und ge­naue Fest­stel­lung hä­re­ti­scher Irr­tü­mer nicht vor, wäh­rend der Pö­bel be­reit­wil­lig um­brach­te oder Hin­rich­tung for­der­te. Hun­dert Jah­re spä­ter tra­ten in Köln Ket­zer auf, die im Ge­gen­satz zur ka­tho­li­schen Pries­ter­schaft, de­ren be­que­me Welt­lich­keit sie als un­christ­lich ver­ur­teil­ten, arm leb­ten. Der hohe Kle­rus war ih­nen ge­gen­über zur Mil­de ge­neigt, er­laub­te ih­rem Bi­schof so­gar, mit ei­nem Geist­li­chen zu dis­pu­tie­ren; da­ge­gen ver­lang­te das auf­ge­brach­te Volk, dass die üb­li­che Stra­fe des Feu­er­to­des ge­gen sie an­ge­wen­det wer­de. Der Mut, mit dem sie, ih­rer Über­zeu­gung ge­treu, in den Tod gin­gen, er­reg­te Be­wun­de­rung. Ein Bür­ger bat ein schö­nes Mäd­chen frei; aber als sie den Füh­rer der Ket­zer in den Flam­men zu­sam­men­bre­chen sah, ver­hüll­te sie das Ge­sicht und warf sich über ihn, um mit ihm zu ster­ben. Eine neue Wel­le von Ket­ze­rei er­hob sich am Ende des 12. Jahr­hun­derts im Ge­fol­ge des Pe­trus Wal­dus, ei­nes Bür­gers von Lyon, der be­son­ders in der Lom­bar­dei, aber auch in Deutsch­land viel An­hän­ger hat­te. Die Wal­den­ser wa­ren die ers­ten Ket­zer, die dem Dog­men­lehr­ge­bäu­de der Kir­che mit Be­wusst­sein die Bi­bel ent­ge­gen­stell­ten. Deut­sche Über­set­zun­gen ein­zel­ner Tei­le der Bi­bel gab es da­mals schon; sie wa­ren aber, wie alle Bü­cher, nur den Geist­li­chen be­kannt. Es gab kein Ver­bot der Bi­bel von Sei­ten der Kir­che; aber es mach­te sich fühl­bar, dass die Bi­bel zwar als Hei­li­ges Buch der Chris­ten galt, aber nur des­halb, weil die Kir­che sie als sol­ches an­er­kann­te. Die Kir­che be­trach­te­te sich als un­mit­tel­bar von Gott ge­stif­tet, als In­ha­be­rin der Wahr­heit und der Macht von Gott be­ru­fen, die Völ­ker zu leh­ren. Die Mei­nung, dass es eine Quel­le gött­li­cher Of­fen­ba­rung gebe, die ei­nem je­den mit Um­ge­hung der Kir­che zu­gäng­lich sei, war neu und un­er­hört. Aus der Hei­li­gen Schrift hauch­te das Wort Got­tes den Hö­rer un­mit­tel­bar an. Der Deut­sche ver­nahm es wie das Rau­schen sei­ner Wäl­der und sei­ner Mee­re, einen wun­der­ba­ren Ge­sang voll ge­ahn­ter Be­deu­tung. Hier han­del­te es sich nicht um Ge­bets­for­meln, Fas­ten, Zehn­ten, son­dern um sitt­li­che Ge­bo­te, die im Her­zen wi­der­klan­gen, um Ein­sich­ten, die als gol­de­ne Frucht vom Baum des Le­bens fie­len. Man fühl­te den Un­ter­schied zwi­schen Men­schen­wort und Got­tes­wort und fühl­te sich mit dem Got­tes­wort frei und un­be­sieg­bar. Das Men­schen­wort, ob man es ver­stand oder nicht ver­stand, reiz­te zum Wi­der­spruch, das Got­tes­wort in sei­nem un­er­gründ­li­chen Dun­kel riss hin, er­schüt­ter­te, über­zeug­te. Die­je­ni­gen Wal­den­ser, die nicht le­sen konn­ten, wuss­ten große Stücke aus der deut­schen Bi­bel aus­wen­dig; die Schön­heit der Lie­der, die sie san­gen, fiel auch den Geg­nern auf. Die Mu­sik ver­band sich mit dem re­li­gi­ösen Auf­schwung und drang auch in die Kir­che ein; meis­tens wur­de der Got­tes­dienst mit ei­nem ge­mein­sam ge­sun­ge­nen deut­schen Lie­de be­en­digt. Das nie­de­re Volk, von dem man so we­nig ver­nimmt, tritt in die­ser ers­ten großen Ket­zer­be­we­gung aus sei­nen müh­sal­vol­len Hüt­ten her­vor: hin­ge­bungs­voll, red­li­chen Sin­nes, be­reit den gött­li­chen Ge­bo­ten zu fol­gen und da­für zu ster­ben, viel­leicht zu­wei­len ge­ho­ben in der stol­zen Zu­ver­sicht, dass Gott die Ar­men und Ver­ach­te­ten zu Jün­gern der Voll­kom­men­heit er­wählt habe. Von dem Propst Hein­rich Min­ne­ke von Gos­lar, dem vie­le Non­nen an­hin­gen, und der auf ei­ner Synode als Hä­re­ti­ker ver­ur­teilt und dann ver­brannt wur­de, weiß man nichts Nä­he­res. Si­cher­lich gab es ne­ben auf­rich­ti­ger Fröm­mig­keit man­cher­lei un­or­dent­li­che, ab­ge­schmack­te und auch un­sau­be­re Schwär­me­rei. Es gab Ket­zer, die Ma­te­rie für sünd­haft er­klär­ten und des­halb für je­der­mann über­trie­be­ne As­ke­se ver­lang­ten, an­de­re, die, weil sie glaub­ten, ohne pries­ter­li­che Ver­mitt­lung mit Gott eins und hei­lig wer­den zu kön­nen, sich al­les, auch jede Aus­schwei­fung er­laub­ten. Gute und Böse, Ge­schei­te und Dum­me schlos­sen sich der Be­we­gung an, und es wäre nicht zu ver­wun­dern, wenn die Fa­na­ti­ker und die To­ren in der Über­zahl ge­we­sen wä­ren.

      Die Päps­te sa­hen mit Ent­rüs­tung Fein­de den fest­ge­füg­ten Bau der Kir­che un­ter­wüh­len. Es war der Bau, der die eu­ro­päi­sche Welt über­wölb­te, in ih­ren Au­gen eins mit dem Kos­mos. Durch die Sa­kra­men­te band sie den sterb­li­chen Men­schen an die un­s­terb­li­che Gott­heit, hielt sie ihn ein­ge­schal­tet im Um­schwung der Sphä­ren. Riss das Band, so stürz­te er wie ein er­lö­schen­des Licht in das Nichts. Dass ein un­mit­tel­ba­res Band gött­li­cher Strö­mun­gen er­wähl­te Geis­ter zu ei­ner un­sicht­ba­ren Kir­che zu­sam­men­fas­sen kön­ne, kam für die kirch­li­che Auf­fas­sung nicht in Be­tracht. Ne­ben dem selbst­süch­ti­gen Ge­fühl ei­ner Macht, die sich im Ge­nuss ih­rer Herr­schaft be­droht sieht, mö­gen sol­che Be­trach­tun­gen Papst Lu­ci­us III. be­wegt ha­ben, als er den Be­schluss fass­te, die Ket­zer aus­zu­rot­ten, und Fried­rich I. auf­for­der­te, sich mit sei­nen Macht­mit­teln der Kir­che zur Ver­fü­gung zu stel­len. Der Kai­ser war dazu durch­aus be­reit. Es wird ihn kaum ein Zwei­fel an­ge­wan­delt ha­ben, ob das, was die Ket­zer lehr­ten, ver­dam­mens­wert sei: weil sie sich ge­gen die Kir­che auf­lehn­ten, wa­ren sie Re­bel­len und muss­te er, als Schutz­herr der Kir­che, sie stra­fen. Schon vor hun­dert Jah­ren hat­te Ger­hoh von Rei­cher­sperg ge­sagt: hae­re­ti­cum esse cons­tat qui a Ro­ma­na ec­cle­sia dis­cor­dat – Ket­zer ist, wer von der Rö­mi­schen Kir­che ab­weicht. Auch Fried­rich II., ob­wohl er selbst der Ket­ze­rei ver­däch­tigt wur­de, er­klär­te sich mit sei­nem großen Geg­ner Gre­gor IX. ein­ver­stan­den, als die­ser im Jah­re 1231 ein neu­es Ge­setz zur Aus­rot­tung der Ket­zer er­ließ. Das Neue und Be­denk­li­che die­ses Ge­set­zes war, dass künf­tig nicht nur der of­fen­ba­re, ge­wis­ser­ma­ßen an­grei­fen­de Ket­zer zu ver­ur­tei­len war, son­dern dass der Ket­ze­rei nach­ge­spürt wer­den soll­te, wo­durch die ge­mei­nen In­stink­te


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