Der Heidekönig. Max Geißler

Der Heidekönig - Max Geißler


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ein grosses Modell des Parthenontempels herzustellen. An diesem Werke wollte er Giebel, Skulpturenschmuck, Zellafries und Metopen — — — halt, halt!

      Lukas ter Meulen warf mit schweren Weisheiten nach Matheis Maris, mit so schweren Weisheiten, dass dem Maris zumute wurde, als würde er gesteinigt. Vom Parthenon selber hatte er wohl eine dunkle Ahnung. Aber bei den Worten Zellafries und Metopen vergingen ihm die Sinne. Wie den bösen Feind starrte er ter Meulen an. Nach der Folter dieser Nacht, nach quälerischen Wochen erschien ihm der Dichter als das Werkzeug eines gehässigen Schicksals, das darauf ausging, ihm den Rest an Mut und Selbstvertrauen zu rauben. „Skulpturenschmuck, Zellafries und Metopen!“ prasselte es über ihn dahin. Einen Augenblick dachte er an Flucht. Spornstreichs über die Heide wollte er rennen — wie er gestern dem selbstgewählten Leben entflohen war. Denn davon hörte er längst nichts mehr, dass Lukas ter Meulen schalt: in zähem Fanatismus habe Gerbrand van Aken fast ein Menschenalter an jener Sache gearbeitet und darüber fast alle Fäden zwischen seiner Kunst und dem Leben seiner Zeit zerschnitten.

      Der kluge ter Meulen gedachte ja nur, seinen langen Freund van Aken auf den richtigen Weg zu führen und zugleich Matheis Maris vor ähnlichen spintisierenden Irrtümern zu bewahren!

      Einmal sah er Maris in die Augen und erkannte, dass dieser unmächtig sei, ihm zuzuhören. Der hatte seinen ungefügen Gehstock vor sich in den Sand gestochen und hatte Mühe, sich daran aufrecht zu halten; denn das leuchtende Bild der Morgenerde verschwamm vor seinen Augen in Finsternis.

      Sie setzten sich also auf einen Hügel und Matheis Maris erzählte, wie er die Nacht und die Tage vorher verbracht hatte. Das redete er daher mit jener gelassenen Selbstverständlichkeit, die die Frucht tiefster Erkenntnis ist — oder die Folge krankhafter Teilnahmlosigkeit. Wahnsinn sei es gewesen, behauptete Maris, sich in eine Welt zu wagen, für die er nach all seinen Ausmassen zu klein geraten war. Der armselige Jan van Moor mit seiner Fibelweisheit hatte sich zugetraut, durch diese Welt hindurch den Weg zur Sonne zu finden! Und wenn gar vor ihm zwei vom Parthenon in Athen sprachen, von Zellafries und Metopen als von lächerlich geläufigen Dingen, die man im Nachtkaffee herausholt wie eine billige Zigarre aus der Tasche, da stürzte der Himmel über dem Bauernbuben ein! Er hatte nicht einmal eine Ahnung, dass eine venezianische Bombe zweitausend Jahre nach der Errichtung des Parthenon das Dach dieses vollkommensten Denkmals menschlichen Schöpfergeistes zerwetterte in dem ausgesuchten Augenblick, in dem es die Türken als Pulvermagazin benutzten ... Stückweis hatte Matheis Maris dies bisschen Wissen darüber aus dem Gespräche ter Meulens und des Bildhauers aufgelesen — trotz seiner Erdrücktheit ...

      Es war all die Zeit her so mit ihm gewesen. Er dachte, er müsste die gesamte Weisheit der Menschen in sich hineinstapeln, um ein Maler werden zu können! Heisshungrig im Geiste rannte er in seinen Tagen umher. Er verschlang alle Bücher, deren er habhaft werden konnte. So eiferte er in der Nacht und suchte am Tag in den Gassen der grossen Stadt nach dem Leben seiner Zeit. Und merkte gar nicht, dass sein Geist und Gemüt wurden wie kleine Wimpel, die an hohen Masten flattern im Sturm! Er merkte das nicht, bis er unter der Föhrenkussel der nächtlichen Heide erwachte und dachte, er sei gestorben, weil es so erlöst und himmelstill um ihn war.

      Und nun kam seine Absage an sich selbst: „Ich kann nichts! Ich bin nichts! Ich will nichts mehr! Ich werde nie ein Kerl sein! Ich bin der verlorenste Dummkopf, der dem lieben Gott je geraten ist!“

      „Aha!“ sagte Lukas ter Meulen. Er sah ihn aus den Winkeln der Augen an, dabei so von oben herunter und voller Spott — ein nichtswürdiger Blick. Dann dirigierte er den misshandelten Rest seiner Virginia von Steuerbord nach Backbord und predigte dem sonderbaren Herrn Gerbrand van Aken wieder das Evangelium. — Nicht einmal wert einer Randglosse erachtete er den Matheis Maris.

      Dieser hielt das für sehr in der Ordnung. Was konnte einem Menschen wie Lukas ter Meulen an dem entgleisten Gärtnerburschen liegen, der einen Winter lang den Verstand verloren hatte und nun wieder dahin zurücksickern wollte in Scham und Reue, wo die Wildkaninchen und Kiebitze einmal im Jahre vom Wandertritt eines Heidegängers geschreckt wurden?

      Indessen redete der Dichter ter Meulen mit seiner klaren klingenden Stimme, wohlig hingestreckt an die lichtatmende Erde, redete ein ganzes Buch aus sich heraus über die Gründlichkeit, mit der van Aken versuchte, den Geist des Altertums zu erfassen in Zeiten, deren Geschmack sich der Renaissance und dem Barock zugewendet hätten. Er redete Geschichte und Kunstgeschichte, als habe er eigens zur Errettung des Herrn Don Quichotte-van Aken dickleibige Werke studiert, um diesem nachzuweisen: in seiner vertrakten Beflissenheit an einem Lebenswerke, das halb Kunst, halb Wissenschaft sei, scharre dieser van Aken seit zehn Jahren unermüdlich an seinem eigenen Grabe.

      Gerbrand van Aken sass währenddem auf dem Heidehügel und stellte ein äusserst komisches Bild; denn von dem Drehpunkt, auf dem er sich niedergelassen hatte, bis zum Deckel seines rauchen Zylinderhutes bildete sein langer Leib einen Schwibbogen von gefährlicher Dünne. Den Gehrock trug er fest zugeknöpft. Aken sah aus, als sei er vor Augenblickes Frist durch eine unsichtbare Macht zur Erde geschleudert worden und hätte noch nicht Zeit gehabt, sich auf eine bequemere Stellung zu besinnen. Der Strich des Knebelbartes, der ihm von der Unterlippe das Kinn hinablief, schien mit dem Lineal und mit Kohle gezogen.

      Matheis Maris begann darüber nachzudenken: dieser sonderbare Heilige war ihm in der Stadt schon hundertmal über den Weg gelaufen. Wobei es ihm eingefallen war, den wunderlichen schwarzen Ritter als die Verkörperung irgendeiner dunklen Macht für eines seiner mystischen Bilder zu verwenden ...

      Ja, daran dachte er nun. Zu anderen Zeiten hätte er die ausgewogenen Weisheiten ter Meulens gierig in seinen dürstenden Geist getrunken. Aber — das waren Dinge, die ihn seit dieser Nacht nichts mehr angingen.

      Aken hingegen benahm sich der eindringlichen Rede ter Meulens gegenüber genau so, wie man ihn durch die Strassen von Amsterdam schreiten sah: zugeknöpft bis oben hin und als sei ausser ihm niemand auf der Welt.

      Matheis Maris — je nun, der folgte dem Gespräche mehr als ihm lieb war und hatte doch beschlossen gehabt, sich allgemach einen felsenfesten Schlaf anzutun — etwa wie ein Leser, der in einem Romane durch Parthenontempel, Zellafries und Metopen sich hindurcharbeiten soll, weil ein unseliger holländischer Bildhauer einmal den verzweifelten Einfall gehabt hatte, das Glück seines Lebens und sein Talent daran zu vernichten. Oh!

      Nun war Lukas ter Meulen nicht nur ein sehr kluger, beredter und vielseitig gebildeter Mann, sondern zugleich ein aufopferungsfähiger Freund, der kein Mittel unversucht liess, die Irrenden unter seinen Freunden seiner klaren Erkenntnis teilhaftig werden zu lassen. Und dennoch: der Dichter ter Meulen war ein wahrhaft Gekreuzigter, an dem das Wort zur Geltung kam wie an keinem vor ihm: »Andern hat er geholfen, sich selber aber kann er nicht helfen«.

      Er war einer von denen, die zu allen Zeiten in der Literatur herumlaufen und für die die Menschen — kurzsichtig und freigebig — den Ehrentitel eines Genies immerzu bereithalten. Lukas ter Meulen, der Kaffeehauspoet.

      Die Einrichtung seines Wohnraums bestand aus einer Kiste, von der er behauptete, dass er sie zu Umzügen benötige. Auf dieser Kiste pflegte ter Meulen zu sitzen, wenn er nicht lieber nebenan auf dem ewig ungemachten Bette lag. Sass er nicht darauf, so stand ein verrosteter Spirituskocher dort mit einem geringen Blechtopfe. Beides hatte er sich von seiner Mietsfrau ausgeliehen, um sich zuzeiten ein Ei zu sieden. Lukas ter Meulen gestand ohne weiteres, dass ihm darüber hinaus in dieser Wohnung nichts einfiele.

      Auf den Fensterstöcken hatte er beschriebene Zettel aufgestapelt, mit flüchtiger, gemeinhin unentzifferbarer Schrift bekritzelt. In der Stadt sagte man, es seien auf diesen Zetteln tüchtige und wohl auch wahrhaft grosse Gedanken in geschliffene Worte gefasst, Gedanken von unerhörter Einmaligkeit, die in der Form, die ihnen Lukas ter Meulen geliehen, Ewigkeitswerts besässen. Vielleicht hatte der Dichter selbst einmal an solche Bedeutsamkeit geglaubt. Oder er hatte vorgehabt, die beschriebenen Zettel als Steinchen und Steine zu einem Bau von geistiger Monumentalität zusammenzufügen. Allein, das war schon lange her. — Inzwischen hatte er sich damit abgefunden, dass er zu jedem Werk von geschlossener Grösse untüchtig sei.

      In Amsterdam galt er nicht für ein Genie — will sagen: für irgendeins unter gleichen — sondern für das Genie schlechthin. Deshalb öffneten


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