Geistesgegenwärtig führen. Daniel Zindel
eine Kultur überleben, wenn alle ihre Beziehungen nur kommerzieller Natur sind?« So fragte Jeremy Rifkin Anfang dieses Jahrhunderts. Wir fragen: Kann eine Organisation überleben, wenn sie sich ausschließlich auf ihren Leistungsausstoß und ihre Produkte konzentriert? Nein, ist unsere Antwort, dann glichen wir dem Bauern, der die Gans schlachtet. Wir zerstörten die Produktionsgrundlagen, wenn wir sie auf das Leistungsmäßige, Mechanische reduzieren wollten. Eine »bloße« Arbeitsgemeinschaft, die rein mechanisch funktioniert, ist auf Dauer kaum überlebensfähig und verliert vor allem ihre Berechtigung als christliche Organisation.
Selbst in nichtreligiösen Organisationen wird diese Tatsache heute sehr ernst genommen. »Sinn entfaltet sich nur, wenn die metaphysische Dimension in unseren Köpfen genauso wichtig genommen wird wie die profitträchtige ›brainpower‹ (Denkkraft), die wir als Mitarbeiter und Chefs zu Markte tragen. Der Hunger nach Sinn kreist um die ›added values‹ (zusätzlichen Werte) der menschlichen Existenz, um Ziele jenseits des Profits, um Werte, die den immateriellen Glanz in die materielle Produktewelt bringen. Das kühle Wort ›Beziehungsmanagement‹ beweist, dass wir davon wissen. Wir reden seit einigen Jahren auch im Management über diese offenen Optionen, die den Mitarbeitern und den Kunden zeigen, dass ihre Firma nicht nur zweckgerichtet, sondern sinnorientiert mit Menschen umgeht. Achtung und Wertschätzung, Vertrauen und Spielfreude bestimmen die Teams in Unternehmen, die den Traum vom Sinn zu ihrer Motivationsquelle gemacht haben. Eine solche Teamkultur ist der Gegenentwurf zur Kommerzialisierung aller Beziehungen.«5
Die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler stellt die These auf, dass die Stiftung von Gemeinschaft und Sinn Kernkompetenzen für Führungskräfte von morgen sind: »Führung ist die Sinn-Agentur der Zukunft.«6 Leiter sind »Sinn-Macher«. Ich übernehme die Aussagen Höhlers gerne, wenn sie den Auftrag für Unternehmen nicht nur in der Wertschöpfung, sondern auch in der Sinnschöpfung sieht.
Allerdings bezweifle ich, dass Sinn letztlich »gemacht« werden kann. Sinn kann nur empfangen werden, wie wir uns auch sonst die wichtigsten Dinge im Leben wie etwa die zärtliche Liebe eines Partners oder die Geburt eines gesunden Kindes nur schenken lassen können. Gott ist der Sinn-Macher. Der Manager, der für seine Organisation die Rolle des Sinnstifters übernehmen will, wird sich letztlich überfordern. Wir können allerdings als Leitende selber an der Quelle, die Sinn stiftet, leben und im Berufsalltag auf sie hinweisen. »Wer durstig ist, der soll kommen. Jedem, der es haben möchte, wird Gott das Wasser des Lebens schenken.«7 Der Schöpfer ist die Quelle der Sinnschöpfung!
3. Investition in die Produktionskapazität und das Produkt
Leiten ist die Kunst und die Knochenarbeit, die Balance zwischen Produktionskapazität und Produkt zu halten. Die beiden sollen in optimalem Wirkungsgrad zueinander stehen. Wo christliche Organisationen krank werden oder eingehen, liegt die Ursache oft darin, dass die Akzente falsch gesetzt sind.
Richard Rohr erzählt von einem Netzwerk amerikanischer Basisgemeinschaften, das aus etwas 15 christlichen Organisationen bestanden hat, von denen im Verlaufe von nur wenigen Jahren alle bis auf zwei aufgelöst worden sind. Er sagt dazu: »Immer, wenn ich mit Jim Wallis darüber spreche, ist das sehr schmerzvoll für uns, und wir zerbrechen uns den Kopf darüber und fragen uns: Warum haben so viele Gemeinschaften angefangen und sind wieder eingegangen? Die plausibelste Antwort, die ich bisher gefunden habe, lautet: Sie haben sich selbst zu Tode gequält. Aber ich denke auch, dass sie sich schwer getan haben, Spiritualität und Engagement für die Fragen sozialer Gerechtigkeit zu integrieren. Einige von ihnen entwickelten sich zu sehr zu therapeutischen Gemeinschaften und sind implodiert.«8 Andere Gemeinschaften hätten sich, so Rohr, mit ihrem Idealismus gegenseitig aufgerieben, weil sie mehr in ihre Ideale als in die Wirklichkeit verliebt waren.
Gibt es ein Rezept für die richtige Balance von Glaube, Leben und Leisten? In welchem Verhältnis sollen sich Geistlichkeit, Gemeinschaft und Leistung zueinander verhalten? Wer bestimmt, welches Maß richtig ist?
Ich erkannte in der »Dosierungsfrage« ein erhebliches Konfliktpotenzial in der Organisation, die ich leite. Wir erfüllen mit unseren Institutionen staatliche Leistungsaufträge in den Bereichen Sonderschulung, Fremderziehung und Ausbildung. Mit der Seminarhotellerie stellen wir uns einem äußerst schwierigen Markt. Qualität und Professionalität müssen gewährleistet sein. Im Alterszentrum werden in der Pflege die Standards nicht von uns definiert, und hohe Qualität muss gewährt sein. Geht das auf Kosten der Gemeinschaft oder der gemeinsamen Spiritualität? Wie viel an Zeit und Kraft investieren wir jeweils in die verschiedenen drei Bereiche? Geschieht »Geistliches« allein in der Freizeit, dominiert ein Bereich die beiden anderen?
Der Konflikt bestand darin, dass wir Mitarbeitenden innerhalb der Stiftung mit recht unterschiedlichen, unausgesprochenen und nicht aufeinander abgestimmten Vorstellungen über die Gewichtung der drei Ebenen lebten. Zudem arbeiteten wir in drei Generationen zusammen. Die Köpfe der Alten und der Jungen unterschieden sich nicht nur in Bezug auf Grautöne und Haarmenge, sondern vor allem bezüglich der inneren Bilder, wie in unserer Stiftung dem Glauben, dem gemeinschaftlichen Miteinander und dem Arbeiten Ausdruck gegeben werden sollte. Für die einen war die Organisation eine Art Glaubensgemeinschaft wie ein evangelischer Orden. Andere definierten ihren Platz von ihrer professionellen Mitarbeit her, die sie aus einer christlichen Grundhaltung heraus tun wollten. Für die dritten lag der Anlass, bei uns zu arbeiten, in der Tatsache, dass man auf dem gleichen Areal wohnte und in kibbuzähnlichen Verhältnissen leben konnte. Wieder andere suchten innerhalb der Gemeinschaft betreutes Wohnen und Geborgenheit, die sie stützen sollte. Hier musste Klärung geschaffen werden, oder permanente Enttäuschungen und Konflikte waren systemimmanent vorprogrammiert.
Jede andere christliche Organisation ist mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Gibt es einen Schlüssel für die »richtige« Gewichtung der drei Ebenen der Pyramide?
Es ist meine Überzeugung, dass es keine allgemeingültige Formel gibt. Jede Organisation muss ganz spezifisch ihr eigenes Maß finden. Wovon hängt die angemessene Dosierung ab? Ich nenne einige prägende Faktoren: Die spezifische Aufgabe und Berufung der Organisation, ihre innere und äußere Entwicklungsphase, die etwas mit dem Alter zu tun hat, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das fachliche und gesellschaftliche Umfeld, die Akzente, welche die einzelnen Mitarbeitenden und die Leitung selber setzen. Eine Gemeinschaft muss sich die für sie angemessene Gewichtung von Gott zeigen lassen und sie muss sie immer wieder neu anpassen.
Es gibt Modelle, die ganz aus der Kontemplation und dem Gebet heraus entsprungen sind. »Nichts soll dem Gebet vorgezogen werden«, sagt Benedikt von Nursia und bringt damit zum Ausdruck, dass dem Spirituellen absolute Priorität eingeräumt wird. Die Präzision und Sorgfalt, mit der er den geistlichen Bereich minutiös ausgestaltet und durchreguliert, zeigt deren Wichtigkeit.
Es gibt Modelle von Organisationen, deren Ansatz die Gemeinschaft ist. Jean Vanier begründete 1964 die »Arche«, ein heute weltweit gespanntes Netz von Gemeinschaften, in denen das Zusammenleben mit geistig Behinderten verwirklicht wird. Seinen gemeinschaftlichen Ansatz beschreibt er im Buch »In Gemeinschaft leben«, das Henri J. M. Nouwen in seinem Vorwort so zusammenfasst: »Dies ist kein Buch der Gefühle. Im Gegenteil, ein Buch vom täglichen Kampf, gut miteinander umzugehen, mit einem Herzen, das in Gott verwurzelt bleibt und das sich den anderen hinhält, besonders den Armen.« Vanier beschreibt die Gemeinschaft als Ort der Zugehörigkeit, der Öffnung, der gegenseitigen Liebe, der Heilung, des Wachstums und der Vergebung. »In Gemeinschaft zu leben heißt, das Geheimnis des eigenen Menschseins in seiner Einzigartigkeit zu entdecken und zu lieben. Auf diese Weise werden wir frei. Wir leben nicht mehr nach den Wünschen der anderen und nach einer Rolle, sondern aus dem Anruf aus der eigenen Tiefe. Damit werden wir frei, die anderen so zu lieben, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie haben möchten.«9
Es gibt aber auch christliche Organisationen, die stark fachlich orientiert sind und Leistungsaufträge der öffentlichen Hand erfüllen. Am Anfang steht nicht das kommunitäre Zusammensein, aus dem heraus sich dann Aufgaben entwickeln, sondern zu Beginn steht klar ein von Gott erkannter