Resi Trautners Lebensroman. Anny von Panhuys

Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys


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      Anny von Panhuys

      Resi Trautners Lebensroman

      Roman

      Saga

      Resi Trautners Lebensroman

      © 1924 Anny von Panhuys

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711570319

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      I.

      Frau Doris Faber beweinte ihr totes Kindchen, ihr blondes, süsses, zweijähriges Mädelchen. Ihr feines Gesichtchen hob sich von Tag zu Tag schmaler und blasser aus dem schwarzen Tüllgefältel der Halsrüsche, den stumpfen Kreppschleiern, die schwer und lastend von dem kleinen Hut niederfielen.

      Doch reizvoll war die blutjunge Doris Faber auch in ihrer Trauer, unendlich reizvoll. Aber ihrem Manne schnitt der Anblick der immer bleicher werdenden geliebten Frau ins Herz, und er sann auf Mittel und Wege, Doris zu zerstreuen, ihre trüben Gedanken abzulenken, ihren Wangen die Rosenfarbe zurückzugeben.

      Er besprach sich mit dem Arzt.

      Der schlug eine Reise vor, eine weite Reise in eine Natur die anders, ganz anders war als die der Mark Brandenburg.

      „Gehen Sie an den Bodensee, in den Schwarzwald, reisen Sie ein paar Wochen herum, lieber Freund,“ riet er, „Ihr Frauchen ist, wie Sie sagen, aus dem Flachland noch nicht herausgekommen, zeigen Sie ihr ein Stückchen unserer schönsten deutschen Heimat. Am Bodensee grüssen die schimmernden Alpen aus der Schweiz herüber, gewichtig und ernst grüssen dort die Vorarlsberge Oesterreichs, die Schwarzwaldtannen wollen den Himmel stürmen, und von den Bergen jagen Wildbäche in schäumendem, rasenden Lauf zu Tal.“

      Die Züge Dr. Ernstmanns strahlten. „Hab’ vor dreissig Jahren meine Hochzeitsreise dorthin gemacht. Herrlich war es, göttlich schön.“ Er seufzte. „Seither hat’s nicht mehr gelangt, das liebe Geld, so weit fortzugehen. Söhne kosten zuviel.“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Aber die Erinnerung, die haftet und steigt empor, wenn der graue Alltag in unserem lieben, engen märkischen Städtchen mich wie dichter Nebel einzwängt, dass ich gleich vielen meiner lieben Mitbürger nicht weiter vor mich sehen kann, als meine Nase lang ist. Ja, dann steigt sie empor, die Erinnerung, und zieht in farbenprächtigen Bildern an mir vorüber und“ — er lachte plötzlich — „und ich sehe alles, alles wieder so lebendig vor mir wie damals auf meiner Hochzeitsreise. Ich bin vielleicht zu bescheiden, dass ich mit der Erinnerung im Herzen noch heute glücklich bin, aber ich bin’s.“

      Er legte Gustav Faber die Hand auf die Schulter. „Sehen Sie, Verehrtester, wenn ich manchmal des Abends ein ruhiges Stündchen mit meiner Frau zusammensitze, und sie redet mir zuviel von den teuren Fleischpreisen und der Dienstbotennot, dann brauche ich nur ein paar Worte zu sagen, nur den leisen Anschlag bringen: Weisst du noch? Dann wird aus meiner behäbigen, grauhaarigen Frau ein junges, dunkellockiges Weibchen, Reisezauber umspinnt uns beide, und wir wandern über Berg und Tal oder fahren über den gleissenden, tiefen Bodensee, sehen Firnen glühen und vergessen unsre Alltagsnot. Und deshalb, lieber Faber, folgen Sie meinem Rat, ziehen Sie mit Ihrem trauernden Frauchen in die wundervolle Gotteswelt hinaus, gönnen Sie ihr und sich die Reise, ich denke und hoffe, draussen wird die kleine Frau gesund.“

      Gustav Faber blickte nachdenklich vor sich hin. „Ich bin durchaus kein reicher Mann, Herr Doktor, wenn wir auch ein paar tausend Mark liegen haben, ein Maschineningenieur —“

      Er konnte nicht weitersprechen, denn der Doktor unterbrach ihn ziemlich schroff: „Haben Sie Ihre Frau lieb oder nicht?“

      Der andere nickte bestürzt. „Aber gewiss, Herr Doktor, sehr, sehr lieb sogar.“

      Dr. Ernstmann putzte seinen Kneifer, setzte ihn energisch auf und blitzte den Ingenieur durch die scharfen Gläser an. „Na also, was wollen Sie weiter? Können Sie dann überhaupt noch zögern, wenn Ihnen die Möglichkeit winkt, Ihre Frau aus dem Schmerz herauszureissen, dem ihre zarte Gesundheit auf die Dauer nicht gewachsen ist?“ Er schnippte mit den Fingern. „Meinetwegen reisen Sie wo anders hin. Thüringen und Harz sind näher, auch die Sächsische Schweiz, ich kann Ihnen keine Vorschriften machen. Ich aber an Ihrer Stelle wäre leichtsinnig, es sollte mir in diesem Falle auf etwas mehr oder weniger Geld nicht ankommen. Ich verspreche mir etwas von der Reise, die ich Ihnen vorgeschlagen, für Ihre Frau. Jedenfalls Medikamente helfen nichts, das Gemüt ist krank, da nützen weder Pillen noch Salben.“

      Gustav Faber war plötzlich mit sich im Reinen, der behäbige Doktor hatte recht, er wollte seinem Rat folgen. Herzlich drückte er dem Aelteren die Hand.

      Der Doktor hielt die Hand einen Augenblick fest. „Ich werde Ihnen die Reise, wie sie am vorteilhaftesten für Sie ist, aufschreiben, dafür müssen Sie mir aber unterwegs einen Gruss ausrichten.“

      Faber verneigte sich. „Gerne, Herr Doktor, wen darf ich von Ihnen grüssen?“

      Der Aeltere lächelte versonnen. „Es ist keine Person, der mein Gruss gilt, sondern es ist eine kleine Weinkneipe, tief drinnen im Gewinkel von Konstanz’ alten Gassen. Der Zufall führte mich mit meinem jungen Frauchen damals dorthin, und wir tranken uns einen seligsüssen Rausch an Dürkheimer Feuerberg.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Auch mein Frauchen hatte einen Schwips, und als wir Arm in Arm die kleine Schenke verliessen, da winkten wir zurück: Auf Wiedersehen!“ Er unterdrückte ein tiefes Atemholen. „Aus dem Wiedersehen wird nichts, bestellen Sie deshalb meinen Gruss. Das Wirtshausschild trug die Aufschrift: ‚Weinstube zum Paradiesgarten‘. Grüssen Sie das Häuschen und trinken Sie dort Dürkheimer Feuerberg.“

      Faber lächelte. „Ich werde Ihre Grüsse ausrichten, Herr Doktor, ganz bestimmt werde ich es tun.“

      Frau Doris wollte anfangs nichts von einer Reise wissen, aber allmählich liess sie sich umstimmen, und nachdem ihr Mann Urlaub erhalten, wurde die Fahrt angetreten. Unterwegs bezeigte Frau Doris wenig Interesse, wohl wurden ihre Augen heller, zeigten Staunen und Bewunderung, als sie neben dem Gatten mit der Höllentalbahn durch den sich eben herbstlich färbenden Schwarzwald fuhr, aber dann versank sie wieder in ihre alte düstere Schwermut.

      Faber jedoch genoss bis ins tiefste Herz, was die Gotteswelt hier in verschwenderischer Fülle bot. Er war ein Kind der Mark, wie seine Frau, und die enge Heimat hatte ihm bisher ebenso wie ihr genügen müssen. Als Sohn einfacher Leute wusste er den Wert des Geldes zu schätzen, und Reisen war teuer.

      Seine Blicke nahmen innig in sich auf, was da draussen an ihm an Naturschönheit vorüberzog, und er versuchte immer wieder aufs neue, Doris zu begeistern.

      Hoch oben fuhr der Zug, und tief drunten lagen die einsamen Gehöfte. Stille, verträumte Schwarzwaldhäuser, niedrig und breit, fast erdrückt von dem weit heruntergehenden Dach. Eine Mühle, um deren Rad weissschäumend die Wasser sprangen, tauchte auf, und noch im leuchtendsten Sommergrün prangende Wiesen, darauf saubere Kühe weideten. Das Läuten ihrer abgestimmten Glocken klang melodisch und traut durch die offenen Fenster des Eisenbahnwagens.

      „Ist es nicht schön hier, Liebste?“

      Faber nahm sanft die Hand seiner jungen Frau, die durchsichtig weiss auf dem kreppumrandeten Kleiderrock lag.

      Sie lächelte traurig. „Ich möchte dir so gern ein frohes Gesicht zeigen, aber ich kann es nicht, unaufhörlich muss ich an Klein-Lisi denken, die in der dunklen Erde liegt. Ich sehne mich nach ihrem Grab.“

      Den Mann durchschauerte es. Immer und immer Klein-Lisi, überall drängte sich das tote Mädelchen vor, hemmte ihm jedes freie Aufatmen und machte seine junge, früher so lustige Frau zur Sklavin.

      War


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