Resi Trautners Lebensroman. Anny von Panhuys

Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys


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als Pflegetöchterchen, es soll bei uns gut behütet werden und eine Heimat finden.“

      Plötzlich stand der grosse, brutale Mann im Zimmer. Er begriff schnell und rief dröhnend: „Wenn Sie tausend Mark auf den Tisch legen, ist das Wurm Ihr Eigentum.“

      Die Frau schrie auf. „Das wäre Sündengeld. Wenn ich Resl hergebe, will ich keinen Pfennig, dann geschieht es nur, damit das Kind aus dem ewigen Jammer hier herauskommt.“

      Er lachte. „Sei froh, wenn du den Balg los wirft und noch Geld dafür siehst.“ Er streckte die Hand aus. „Tausend Mark für den Grasaff, dann können Sie mit ihm glücklich werden.“

      „Ich gebe Ihnen zunächst zweihundert Mark, und erst, wenn wir zusammen beim Notar gewesen und Sie beide notariell auf das Kind Verzicht geleistet haben, erhalten Sie die grössere Restsumme.“

      Doris lächelte verklärt. Wunderschön, wie eine gnadenspendende Madonna sah sie aus mit dem Kinde im Arm.

      Am nächsten Tage schon führte Doris ein hübsches, kleines Mädelchen an der Hand, das in guten neuen Kleidern einem blonden Püppchen glich.

      Gustav Faber war sich nicht ganz klar, ob es klug gewesen, dieses fremde Kind dem gewohnten Boden zu entreissen, aber eigentlich war es zu spät, darüber nachzudenken, Resl Trautner war jetzt sein Pflegetöchterchen.

      Auf der Heimfahrt befand sich Doris in strahlendster Stimmung, sie liess das Kind nicht aus den Augen, und so war diese Reise, wenn auch in anderem Sinne als gedacht, für sie von Erfolg gewesen, sie ward wieder zu der heiteren jungen Frau von früher, und ihr Mann atmete wieder ruhig und froh, denn Doris legte bald die düsteren Trauergewänder ab.

      Die Leute in der Kleinstadt schüttelten die weisen Häupter: Ein so junges Ehepaar darf kein fremdes Kind annehmen, das gibt nur böses Blut, wenn eigene Kinder kommen.

      Der alte Doktor aber lächelte, als ihm Faber alles erzählte: „Ein Mädelchen aus dem Paradiesgarten in Konstanz, wo es einstens so guten Dürkheimer Feuerberg gab? Eigen ist’s. Sehen Sie, Verehrtester, wenn ich Ihnen den Gruss nicht aufgetragen hätte, würde Sie Ihr Weg vielleicht niemals dort vorbeigeführt haben. Wollen an eine Vorsehung glauben, an eine Vorherbestimmung.“ —

      Ein Jahr später ward Doris Mutter eines gesunden Töchterchens, und von dem Augenblick an musste Resl zurückstehen. Da glaubte Faber nicht mehr an Vorsehung und Vorausbestimmung, wie es der gute, dicke Doktor tat, und wünschte zuweilen, er hätte dem sentimentalen Wunsch des Doktors lieber nicht Folge geleistet und niemals den Paradiesgarten in der schmutzigen engen Gasse von Konstanz gesehen.

      II.

      Als Therese Trautner zehn Jahre alt war, fragte sie zum ersten Male: „Sage, Mutti, weshalb heisse ich nicht Faber wie du, der Vater und wie Schwester Erna?“

      Frau Doris nahm das Köpfchen der Fragerin sanft zwischen beide Hände. „Du bist nicht Vaters Kind, nicht das meine, wenn wir dich auch genau so lieb haben, als wärest du es.“

      Thereses Augen wurden starr und dunkel. „Du und Vater, ihr seid nicht meine Eltern, aber weshalb bin ich denn bei euch, weshalb bin ich denn nicht da, wo ich geboren bin?“ Der kleine, schmale Körper zitterte, und das Mündchen stand leicht offen, fieberte der Antwort entgegen.

      Doris Faber war längst auf solche Fragen gefasst gewesen und hatte längst die Antwort bereit. „Meine liebe Resi, du bist weit von hier geboren, auf einer Reise führte uns ein Zufall dorthin. Deine Eltern waren eben gestorben, und weil ich kurz zuvor mein Töchterchen verlor, nahm ich dich mit mir, so wurdest du unser Kind, ein Jahr vor Ernas Geburt.“

      Resis Gesicht war wie von einer Wolke verhängt. „Ich kann kaum begreifen, dass ihr eigentlich nicht richtig zu mir gehört oder ich nicht zu euch.“

      Doris Faber sagt ein bisschen streng: „Was ist dabei zu begreifen, du gehörst doch zu uns.“

      Resi wagte an dem Tage keine weitere Frage mehr, so viele ihr plötzlich auch noch im Herzen brannten.

      Ein paar Jahre später fragte sie, worüber sie schon Stunden und Tage gegrübelt: „Wer waren meine Eltern, und wie sahen sie aus, habt ihr kein Bild von ihnen?“

      Doris kam ihrem Manne, der ausweichend antworten wollte, zuvor. „Deine Eltern waren Bauern im Schwarzwald, arme Bauern, die Haus und Hof verloren und jung starben. Bilder von ihnen fanden sich nicht vor.“

      Gustav Faber begriff seine Frau nicht. Weshalb sollte Resi nicht die Wahrheit erfahren? Man konnte doch nie wissen, ob nicht der Zufall eines Tages die Wahrheit enthüllte. Aber vor den warnenden Augen seiner Frau schwieg er.

      Er war bequem geworden und scheute jede unnütze Gemütserregung. Schliesslich war die Geschichte auch wohl lediglich Frauensache Er ging lieber in seinen Kegelklub.

      Ein anderes Mal sagte Resi: „Seit ich weiss, ich bin nicht euer Kind, möchte ich gern die Gräber der Eltern sehen, dort beten, ihnen Blumen bringen.“

      Frau Doris lächelte wie über eine Kinderei. „Sei froh, dass es dir gut geht, du gehörst zu uns, und wenn du uns deinen Dank beweisen willst, dann sprichst du nie mehr von den Toten und denkst auch nicht mehr daran. Da du sie nicht kanntest, müssen sie dir doch Fremde sein.“

      Resi presste die Lippen fest aufeinander. Wie einfach und selbstverständlich die Mutter das sagte. Ihr aber war gar nicht so einfach und selbstverständlich zumute, sie hätte wer weiss was dafür gegeben, wenn sie gewusst hätte, wie ihre Eltern ausgesehen.

      Sie wuchs zu einem ernsten, stillen Mädchen heran, und wenn die junge Schwester draussen umherflitzte, mit Mädeln und Buben tollte, sass sie über irgendein ernstes Buch gebeugt und las und lernte.

      Gustav Faber war Oberingenieur der Maschinenfabrik geworden, und da er Tüchtiges leistete, erhielt er gutes Gehalt. Aber allmählich mit dem Heranwachsen der Töchter wurde der Hausstand immer teurer, denn Frau Doris war eitel wie die Jüngste, und Erna durfte nur das Schönste und Kleidsamste tragen. Sie war ein blondes, süsses Geschöpf, ward der Mutter immer ähnlicher, und wenn Gustav Faber auch zuweilen über die Verschwendung seiner Damen zankte, im Grunde zürnte er ihnen niemals ernstlich. Der kleine Hausstand wurde auf grossem Fusse geführt und Gäste waren stets willkommen.

      Der Weltkrieg, der so vielen, so unzähligen Familien das heilige Kreuzeszeichen des Schmerzes in die Herzen gebrannt, bereitete in der kleinen Villa niemandem persönliches Weh. Oberingenieur Faber war unabkömmlich, und nahe Verwandte, die hinausgezogen waren in Not und Tod, besass weder er noch Doris. So floss die grosse Blutwelle, die beinahe ganz Europa überflutete, an ihrem Heim vorbei.

      Gustav Faber hatte den alten Doktor einmal gebeten, niemals ein Wort an Resi über ihre Herkunft zu verlieren, und er hatte es gelobt. Resi war viel im Doktorhause. Die wissenschaftlichen ärztlichen Bücher lockten sie, und ihre Sehnsucht war es, Aerztin zu werden.

      Frau Doris lachte, als sie davon hörte, laut hinaus. „Bist du verrückt, Therese, wie kommst du nur auf so eine ausgefallene Idee? Junge Mädchen sind zum Heiraten da und nicht zum Quacksalbern. Du wirst an dem neuen Tanzkursus von Fräulein Rettenhof teilnehmen mit Erna zusammen, damit dir schwerblütigen Grillen etwas vergehen. Der Krieg ist aus, die Jugend darf sich wieder ihrer Jugend freuen.“

      „Therese schüttelte den Kopf. „Lass das, Mutter, ich mag nicht tanzen, es ist nicht die Zeit dazu.“

      Frau Doris erwiderte unmutig: „Du bist bereits neunzehn Jahre, und es ist nötig, dass du ein anderes Wesen annimmst, sonst würdest du ein Altjüngferchen werden. Erna ist nicht so schwerfällig wie du, um die braucht mir nicht bange sein.“

      Mutterstolz leuchtete in ihren Augen.

      Therese schwieg und dachte, dass Mutterliebe doch fast immer blind ist, sonst hätte es der Mutter nicht verborgen bleiben können, dass Erna tausend kleine Heimlichkeiten trieb und immer neue Ausreden ersann, um von Haus wegzuwitschen. Verstohlene Rendezvous, postlagernde Briefchen gehörten zu Ernas Lebensbedarf. Einmal fand sie so einen Brief bei Erna und sagte ernst: „Auf solche Korrespondenz darfst du dich nicht einlassen, das schadet deiner Ehre!“


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