Resi Trautners Lebensroman. Anny von Panhuys

Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys


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      In der kleinen Faberschen Villa brannten alle Lüster. Taghell erleuchtet waren die Räume, darin sich beinahe dreissig Personen zusammengefunden hatten. Man hatte längst gegessen und stand nun in plaudernden Gruppen herum.

      Es sollte gleich getanzt werden. Das grösste Zimmer war zu diesem Zweck ausgeräumt, und die jungen Mädchen wippten schon ungeduldig mit den Füssen.

      Erna sah bildhübsch aus in dem neuen, lichtgrünen Seidenkleid, das Haar in hohem Scheitelknoten wob goldene Gloriole um das süsse Gesicht mit den meist sanft blickenden hellblauen Augen. Frau Doris hatte sich ein rehfarbenes neues Seidenkleid geleistet. Fast schlicht erschien zwischen den beiden Resi in dem schneeigen Tüllgewand. Schlicht und doch unendlich vornehm.

      Wie eine junge exotische Fürstin, die inkognito hier weilt! dachte Professor Martin Ernstmann, der jüngste Sohn des alten Doktors, der, einer Bitte seines Vaters folgend, die Einladung Frau Fabers angenommen hatte. Er weilte für kurze Zeit auf Besuch bei seinem Vater und liebte dergleichen Vergnügungen eigentlich wenig. Sein Auge folgte Resi, aber zuweilen musste er auch Erna bewundern. Zwei bildschöne Mädchen waren die Schwestern, jede in ihrer Art schön. Er war nach kurzer, kinderloser Ehe Witwer geworden und hatte bisher niemals daran gedacht, wieder zu heiraten. Wenn er jetzt aber Erna anblickte, empfand er so eine warme, innige Zärtlichkeit, die sich mitteilen wollte. Lieb musste es sein, so ein zierliches Elfenbeinpüppchen in den Arm nehmen zu dürfen, ihm tausend kosende Worte ins kleine Ohr zu flüstern. Er lächelte über seine Gedanken. Narr, der er war! Das blonde Dingelchen war sechzehn Jahre, er zweiundvierzig, also zu alt für sie, viel zu alt, so zarte, junge Blümchen waren nicht für ihn erblüht — und dann, er wollte einsam bleiben, seine Arbeit nahm ihn völlig in Anspruch. Er hatte seine Studenten, die hingen an ihm, er hatte seine Bücher und sein Werk, daran er arbeitete. Die Wissenschaft musste ihm völlig ersetzen, was er einmal nur kurz besessen: Weib und Liebesglück!

      Seine schlanke Gestalt machte einen äusserst vorteilhaften, jugendlichen Eindruck, und sein ein wenig eckiges Gesicht mit den klugen dunklen Augen übersah man nicht so leicht. Professor Martin Ernstmann war schon in verhältnismässig jungen Jahren eine Kapazität geworden, und die Medizinstudierenden kamen von weither, um bei ihm zu hören. Er zählte zugleich zu den bedeutendsten Chirurgen Deutschlands.

      Erna hatte wohl bemerkt, dass ihr die Männerblicke häufig folgten, und plötzlich musste sie denken, dass „Frau Professor“ eigentlich ein klangvoller Titel war. Drollig, wenn ihre Jugend sich schon mit solchem Titel hätte schmücken dürfen.

      Sie konnte hinreissend kindlich und süss lächeln, und zog damit den Mann an sich, als hätte sie ein grelles Flackerlicht aufgestellt, um eine Motte anzulocken. Was er nicht für möglich gehalten, geschah, er, der seit langen Jahren nicht mehr getanzt hatte, forderte sie zum Walzer auf.

      „Von den modernen Tänzen verstehe ich natürlich nichts, Fräulein Faber,“ lächelte er, „aber einen Walzer will ich immerhin noch wagen.“

      Erna schlug schwer und langsam die Lider hoch. Es war das eine besondere Spezialität von ihr, die sie lange und oft vor dem Spiegel im verschlossenen Zimmer geübt hatte.

      „Ich mache mir nicht viel aus den neuen Tänzen, aber es gehört nun einmal mit dazu, sie zu lernen, und man tut das, ohne sich viel dabei zu denken.“ Sie sah ihn verschämt an. „Ich freue mich jetzt auf den Walzer mit Ihnen, Herr Professor.“

      Herrgott, war das ein süsses Weiberexemplarchen!

      Professor Martin Ernstmann stieg das Blut zu Kopf. Er tanzte ziemlich schwerfällig, aber mit dem blonden Mädelchen im Arm schien es ihm ein Schweben hoch im Aether.

      Resi stand abseits und sah die beiden tanzen. Ein ungleiches Paar. Wie ein luftiges, loses Flöckchen hing Erna im Arm des hochgewachsenen Mannes, dessen Körper nur schwer dem ungewohnten Tanzschritt nachgab. Weich und schwärmerisch sang ein Wiener Walzer den wiegenden Dreivierteltakt, nach dem sich die Paare drehten.

      Der Professor lächelte vor sich hin, sein ernstes, eckiges Gesicht war förmlich verschönt von dem Lächeln.

      In Resi erwachte ein eigenes, ihr völlig unverständliches Gefühl. Es war, als ob sie die Schwester um den Tänzer beneidete, und sie begriff doch nicht, weshalb sie neidisch hätte sein sollen. Sie machte sich doch gar nichts aus dem Tanzen, und ausserdem waren Tänzer genug für sie da. Sie hatte den Walzer überschlagen, wie sie am liebsten jeden ferneren Tanz auch überschlagen hätte, denn in ihr war Traurigkeit, seit ihr Erna neulich vorgeworfen, sie habe hier nicht die gleichen Rechte wie sie.

      Weh hatte das getan, unsagbar weh!

      Die blonde, süsse Schwester, die sie vergöttert hatte, war roh gewesen, hatte ihr mit grob zupackender Hand weh getan. Fast weher als die Mutter kurz vorher, die gesagt, sie habe Erna tausendmal lieber als sie.

      Waren beide deshalb so lange gut und still gewesen, um sie nun, wo ihr Herz hier wurzelte, wo sie in den Pflegeeltern Vater und Mutter, in der Pflegeschwester die Schwester liebte, hundertfach damit zu quälen, dass sie es sie fühlen liessen, du gehörst nicht zu uns?

      Resi litt und hatte doch niemanden, dem sie ihr Leid hätte klagen können. Dem alten Doktor? Nein, dazu war sie zu stolz, niemand sollte wissen, mit was für Gedanken sie sich herumschlug.

      Ihre Augen folgten wieder dem Professor, der gewichtig und langsam den lockenden Walzerklängen gehorchte. Neben ihm glitt in weit verträumtem Spiel der Glieder ein Elfenprinzesschen, eine junge Märchenkönigin, dahin. Blondlockig, im grünen, schillernden Kleide. An Undine musste Resi denken, Undine, die Seelenlose, konnte man sich so vorstellen wie die Schwester.

      Der Tanz war zu Ende. Der Professor wollte mit einer Verneigung zurücktreten.

      Erna lächelte ihn an. „Wollen ein bisschen plaudern, am Tanzen liegt mir nicht viel.“

      „Erzählen Sie mir von Ihrem Beruf, Herr Professor, er interessiert mich. Denken Sie, ich hatte schon zuweilen den Wunsch, Medizin zu studieren.“

      Er blickte erstaunt in das feine Mädchengesicht. „Sie, Medizin, aber nein, das wäre dann wohl nur, um modern zu scheinen. Die jungen Mädchen von heutzutage meinen ja alle, ohne Universitätsstudium ginge es nicht.“

      Erna schritt an seinem Arm ins Nebenzimmer, wo bequeme Sitze zum Ausruhen einluden. Beide nahmen Platz.

      Erna schüttelte mit drollig wichtiger Ernsthaftigkeit den Kopf. Sie wusste genau, welche Bewegungen sie kleideten.

      „Nein, Herr Professor, die Medizin zieht mich an, weil ich es mir wunderschön denke, Aerztin zu sein, um arme Kranke gesund zu machen. Namentlich würde ich mich um die Kinder kümmern. Kinderärztin zu werden, reizt mich. Den armen Kleinen zu helfen, das ist doch eine hohe und schöne Aufgabe.“

      Er blickte sie erstaunt und bewundernd an und ahnte nicht, dass ihm in dem noch so jungen Mädchen eine schon äusserst geschickte Komödiantin gegenübersass, die kluge, warme Worte nachsprach, die sie einmal von Resi gehört und belacht hatte.

      Mit Freude bemerkte sie, welche Wirkung ihr geschickter kleiner Schwindel erzielte. Sie konnte wahrlich ausserordentlich mit sich zufrieden sein, der berühmte Professor zappelte schon in ihrem Netz. Es war doch ein wohltuendes Gefühl, wenn man es mit sechzehn Jahren verstand, solch eine Respektsperson an die Strippe zu legen.

      Sie wollte einmal sehen, ob sie ihn weiter festhielt. Jung heiraten war gar nicht so übel, noch dazu einen Mann mit Titel und Einfluss. Einer jungen Frau stand die Welt ganz anders offen wie einem jungen Mädchen. All die vielen „Das darf man nicht“ fielen weg.

      Ernas sechzehn Jahre hatten schon heimlich zu viel übermoderne Romane verschlungen, in denen vom Ausleben der Individualität die Rede war, als dass ihr die Gelegenheit, einen Mann zu finden, der sie aus der Enge und Bravheit der Kleinstadt hinausführte, nicht erwünscht gewesen wäre. Der Professor war ja gerade kein Adonis, ein wenig jünger hätte er allenfalls auch sein dürfen, aber schliesslich, alles Gute war nie beisammen.

      So zog sie denn ihr reines, süsses Lächeln über das Gesicht, dies Lächeln, das wie ein klarer, durchsichtiger Schleier war, und redete


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