Resi Trautners Lebensroman. Anny von Panhuys

Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys


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ein Mensch, der irgend etwas in sich betäuben muss. Warum, sie wusste es nicht. Sie wusste auch nicht, weshalb es ihr Enttäuschung und Schmerz bereitet, dass sich der Professor so auffallend Erna widmete.

      Wie gerne hätte auch sie sich mit ihm unterhalten! So manches hätte sie ihn fragen mögen, es musste schön sein, sich von ihm, dem berühmten Mediziner, Fachfragen beantworten zu lassen.

      Doch gleich schüttelte sie den Gedanken wieder ab. Martin Ernstmann stand zu hoch, war zu klug, um mit einer in der Medizin herumpfuschenden Dilettantin Fachfragen zu beantworten. Zudem schien er, heute abend wenigstens, an alles andere eher zu denken als an seine Wissenschaft.. Ernas Liebreiz hatte ihn in Bande geschlagen, ihre süsse, bestrickende Blondheit hatte es ihm angetan. Es war ja nicht zu verwundern, gar nicht zu verwundern, denn so schön wie Erna gab es keine Zweite.

      In Resis Augen war die Schwester äusserlich der Inbegriff alles Reinen und Holden; dass ihr Innerstes nicht auch so rein und hold war, das hatte sie ja leider neulich bei der Kleiderfrage bewiesen. Resi fühlte Schmerz, sobald sie daran dachte. Und während ihr all diese Gedanken in bunter Unordnung durch den Kopf zogen, tanzte sie, tanzte, ohne recht zu wissen, was sie tat.

      Sie bemerkte nicht, dass ihr mancher verwunderte Blick folgte, bemerkte nicht, dass auch Erna wieder tanzte und der Professor, etwas abseits stehend, dem Spiel der Tanzenden folgte. Er sah Resi mit geröteten Wangen und flimmernden Augen, und unwillkürlich sann er, weshalb gerade dieses Mädchen, das ihm vorher so hoheitsvoll und stolz gedünkt, fast bacchantisch der Tanzlust frönte. Ein Aufhören, eine Pause schien es für sie gar nicht zu geben.

      Wie sehr vermochte das Aeussere eines Menschen zu täuschen! Die blonde Sechzehnjährige, die er für einen übermütigen, leichtsinnigen Backfisch gehalten, besass dagegen den Ernst und das Streben eines gereiften Weibes. Wie lieb sie das gesagt hatte: „Namentlich würde ich mich um die Kinder kümmern, und deshalb am liebsten Kinderärztin werden, reizt mich. Den armen Kleinen zu helfen, das ist doch eine hohe und schöne Aufgabe!“

      Der Satz klang in ihm nach und liess ihn nicht mehr frei. Aber er mochte sich das süsse Lockenköpfchen gar nicht über dicke Buchfolianten gebeugt vorstellen. Es passte nicht zu ihr, und ihre feinen, kleinen Händchen konnte er sich wohl schmeichelnd und streichelnd denken, aber nicht bei einer Sektion.

      Er verabschiedete sich früh, sonst vergass er über Erna Fabers Lieblichkeit, dass er ein würdiger Professor war, der über anderes nachzugrübeln hatte als über junge Mädchen.

      V.

      In ihrem gemeinsamen Schlafzimmer waren Resi und Erna damit beschäftigt, sich zur Ruhe zu begeben.

      Die Aeltere half der Jüngeren, deren Kleid sehr umständlich zu öffnen war. Sie fragte dabei: „Wie gefiel es dir heute abend, warst du zufrieden?“

      Erna lachte. Ein kleines, halb verstohlenes Silberlachen. „Natürlich war ich zufrieden und habe auch allen Grund dazu. Hast doch sicher ebenso wie alle anderen bemerkt, wie mich der Professor auszeichnete.“

      „Ja, das hat Professor Ernstmann getan,“ erwiderte Resi langsam und begriff nicht, weshalb sie schon wieder Neidgefühl auf die Jüngere empfand.

      In Erna waren noch die Geister des Schaumweins wach, und übermütig sagte sie: „Wenn ich es darauf anlege, kann ich Frau Professor werden, der Professor hat sich vollständig in mich vergafft.“

      „Aber Erna, was sind das für Ausdrücke, und in welchem Ton sprichst du von dem berühmten Mann?“ wehrte Resi entsetzt.

      Die Jüngere bog sich vor Lachen. „Ach, spiele doch nicht den Tugendbolzen, hast ja getanzt wie eine Mänade. Im übrigen lockt es mich vielleicht, schon mit sechzehn Jahren Braut zu heissen, alle Freundinnen würden sich giften.“

      Resi löste den letzten Haken an Ernas Kleid und wandte sich dann ab.

      Ueber die Schulter hin sprach sie: „Du solltest dich schämen, so oberflächlich über den Professor zu reden. Du bist ja noch unreif bis in Mark, und so ein Mann, der Ansprüche machen kann, steht viel zu hoch, ist viel zu schade, um von deiner törichten Backfischlaune zum Spielball benützt zu werden.“

      Nun hatte sie aber in ein Wespennest gestochen. Das zarte Gesichtchen Ernas färbte sich purpurrot, die sanft scheinenden Augen funkelten katzentückisch.

      „Hast wohl selbst Absichten, Mamsellchen, he? Nun, die lass dir nur vergehen. Ich mache mir im Grunde meines Herzens zwar gar nichts aus dem alten Langweiler, aber sein Titel gefällt mir, und sehr reich soll Professor Ernstmann auch sein, von seiner verstorbenen Frau her. Ich werde dir beweisen, dass ich imstande bin, meiner Backfischlaune Erfüllung zu verschaffen. Dachtest du vielleicht, weil du bei seinem Vater, dem Doktor Ernstmann, jetzt ein- und ausgehst, du könntest dir den feinen Freier kapern? Lass nur, deine Mätzchen verfangen nicht, ich habe dem Professor schon alle deine Lebensziele und Lebensträume als mein Eigentum serviert.“

      Sie stellte sich in Positur, himmelte zur Decke: „Die Medizin zieht mich an, Kinderärztin möchte ich werden, den armen Kleinen zu helfen, ist eine hohe und schöne Aufgabe.“

      Die andere hatte sich ihr wieder voll zugewandt. „Hast du es gewagt, dem Professor eine solche Komödie vorzuspielen?“ fragte sie bebend.

      Erna nickte lächelnd: „Jawohl, habe ich das gewagt, und meine Worte haben auf ihn einen sehr guten Eindruck gemacht, davon kannst du überzeugt sein.“

      Resi war sehr blass geworden. „Schäme dich, Erna, pfui, schäme dich! Der arme Mann darf kein Opfer deiner Intrige werden. Wie kann man in deinem Alter schon so berechnend sein.“ Sie streckte plötzlich beide Arme aus, als wollte sie die Jüngere an sich ziehen. „Verzeih’, Schwester, verzeih’ mir. Nein, du bist nicht berechnend, du machst nur törichte Scherze, willst Neckerei treiben, oder du liebst den Professor. Dein Herz hat sich beim ersten Blick für ihn entschieden, dann stände natürlich alles, alles in einer ganz anderen Beleuchtung da.“

      Fast angstvoll hafteten ihre fragenden Augen auf dem Antlitz der Schwester.

      Die blickte anfangs verblüfft, dann aber machte sie eine ungeduldige Bewegung. „Scheinst ja reichlich sentimental, meine liebe Resi, heutzutage müssen junge Mädchen praktisch denken, mache dir die Weisheit auch zunutze.“

      Ohne noch eine Silbe zu verlieren, kleidete sich Resi aus und legte sich nieder. Sobald auch Erna im Bett lag, drehte sie das elektrische Licht ab. „Gute Nacht!“ sagte sie leise und gewohnheitsmässig.

      Erna kicherte. „Dachtest wohl, der Professor wäre was für dich? Ehrlich zugegeben, würde er vielleicht auch besser zu dir als zu mir passen, aber eigentlich wärest du durch deine Geburt auch nicht standesgemäss für ihn.“

      Resi fuhr im Dunkeln mit der Hand über die Augen, die plötzlich schmerzten, als sässen brennende Tränen dahinter.

      „Ich kenne den Professor kaum und pflege nicht an die Person jeden Mannes, der mir begegnet, gleich Heiratspläne zu knüpfen.“ Sie schluckte ein paarmal. „Weshalb du mir aber meine Geburt vorwirfst, begreife ich nicht. Deine Eltern haben mich aufgenommen, ohne sich daran zu stossen, und ich dächte, es wäre keine Schande, das Kind armer Bauern zu sein.“

      Erna antwortete nur durch unterdrücktes Kichern. Sie musste ja schweigen, hatte es der Mutter gelobt — aber das Schweigen fiel ihr schwer.

      Resi lag noch lange wach. Sie wusste nicht recht, was sie gar so sehr bedrückte. War es die Kluft, die sich seit kurzem immer weiter zwischen ihr und der jungen Pflegeschwester auftat, oder war es Bedauern mit dem Professor, den Erna zum Zielpunkt eines Ränkespiels ausersehen?

      Resi hätte weinen mögen, unaufhaltsam weinen — und unterdrückte doch die Tränen. Was ging sie der Professor an, der fremde Mann? Uebermüdet fand sie erst gegen Morgen den ersehnten Schlummer.

      Sie schlief noch, da sassen der alte Doktor Ernstmann und sein jüngster Sohn sich schon am Frühstückstisch gegenüber.

      Der alte Herr fragte: „Nun, Martin, wie hat es dir denn bei den Fabers gefallen?“ Und ohne Antwort abzuwarten: „Nicht wahr,


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