Camillas Zimmer. Fanny Hedenius

Camillas Zimmer - Fanny Hedenius


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Marianne erwischte Loulou am Arm und zog sie auf ihren Schoß. Dann legte sie ihre Hand auf Loulous Mund. Loulou zappelte und wand sich, aber sie kam nicht los, weil Marianne sehr stark ist. Das Wasser in der Schüssel schwappte auf den Fußboden. Loulou erwischte den Spüllappen mit dem Fuß. Auf einmal flog er an die Decke und landete dann auf Davids Kopf. Er nahm ihn ganz ruhig herunter und machte dann am Herd weiter. Dann wischte er den Boden um Mariannes Fußbad auf und kehrte die Haare zusammen.

      Kenneth setzte sich neben Marianne. Sein Blick tastete mich wie mit einem Scheinwerfer ab, von oben bis unten. Bei den gelben Stoffschuhen hörte er auf. Aber er sagte nichts und schenkte sich ein Glas Wein ein. Er war groß, sah gut aus, schien aber nicht sonderlich gesellig zu sein. Er sah fast zu jung aus, um zu Marianne zu gehören.

      Marianne ist eigentlich noch nicht so alt, aber sie sieht verbraucht aus, weil sie so viel arbeitet. Doch das gibt sie nicht zu. „Auf der Post ruhe ich mich von den Sorgen aus, beim Putzen habe ich Zeit zum Denken, aber wenn ich nähe, dann nähe ich“, hat sie einmal zu meiner Mutter gesagt, als die sie gefragt hat, wie sie das alles schafft.

      „Es ist halb zehn, müssen die da jetzt nicht bald ins Bett?“ fragte Kenneth leise und mit finsterem Gesicht. Mehr habe ich ihn nicht sagen hören. David drehte sich um, und er und Loulou schauten sich einen Moment lang an.

      „Camilla! Kannst du nicht über Nacht hierbleiben?“ sagte Loulou und schaute mich beschwörend an.

      Sie versucht normalerweise nicht, mich an sich zu ziehen, deshalb war ich ziemlich überrascht. Aber genau wie ich froh war, als Marianne mich bat, ihr Wein einzuschenken, freute ich mich über das, was Loulou sagte, denn es war der Beweis dafür, daß es in ihrer komischen Küche, in der ich mich eigentlich gar nicht zu Hause fühlte, einen Platz für mich gab. Ich war ja nur zufällig auf meiner rasenden Fahrt hier gelandet, und die nächste Station hieß offenbar: Bei jemandem übernachten. Deshalb sagte ich sofort ja.

      „Aber du mußt zu Hause anrufen, damit deine Eltern wissen, wo du bist“, sagte Marianne.

      „Ruf lieber du an, Mama, sonst darf sie bestimmt nicht. Sag, daß wir Englisch lernen.“

      „Wegen so was lüge ich nicht.“

      Marianne ging in ihr Zimmer, dort steht das Telefon. Ich hatte den Eindruck, daß sie ziemlich lange redete. Ich kam mir feige und mies vor, weil ich mich nicht getraut hatte, selbst anzurufen. Aber ich konnte einfach nicht. Ich konnte aber auch nicht nach Hause gehen und Mama und Papa Sachen erklären, die ich selbst nicht verstand.

      „Alles in Ordnung“, sagte Marianne, als sie zurückkam. „Aber ich hatte doch eine kleine Diskussion mit Bi. Hast du zu Hause Krach gehabt, Camilla?“

      Ich wurde rot. Ich werde so schrecklich leicht rot. Und nicht nur im Gesicht, sondern auch am Hals und an den Armen, überall, bestimmt auch auf dem Rücken.

      „Weswegen gab es denn Krach? Willst du darüber reden?“

      Ich konnte nicht darüber reden. Loulou und David waren noch nie im Ausland. Die würden denken, daß ich total bekloppt bin. Das fand ich ja auch, wenn ich mich mit ihren Augen anschaute. Aber es gibt eben noch meine eigenen Augen. Und die sehen auch etwas. Von innen, und sie sehen anders. Und im Moment sahen sie einen Zorn, der sich nicht ersticken ließ. Er blieb. Er grummelte immer noch, wenn auch gedämpft. Und er war absolut wahr, auch wenn niemand ihn verstehen konnte, auch ich nicht. Er hatte mich auf meiner rasenden Fahrt gelenkt, und es gab keine richtigen Begründungen, die ich hätte vorzeigen können. Ich kam mir überrumpelt und blöd vor. Und ich ärgerte mich.

      „Nein, diesen Krach kann ich euch nicht erklären“, sagte ich kurz.

      Marianne holte eine Matratze aus dem Schrank und brachte sie in Loulous Zimmer. Sie gab mir eine Decke und eine gelbe Zahnbürste:

      „Das ist die Gästezahnbürste.“

      Aber da nahm ich doch lieber Loulous. Sie war lieb. Sie war richtig lieb und freute sich, daß ich über Nacht bleiben wollte. Bevor wir ins Bett gingen, wollte sie meine Haare kämmen, und sie sagte, daß sie so weich wären. Ich machte ein paar Rollen vorwärts über die Matratze auf dem Boden, und Loulou machte in ihrem Bett Purzelbäume. Dann kam noch David aus seinem Zimmer und machte uns vor, daß er so lange auf dem Kopf stehen konnte, ohne sich abzustützen, daß es schon fast langweilig wurde.

      Als wir uns hingelegt und das Licht ausgemacht hatten, fragte ich: „Ist Kenneth nett?“

      „Zu mir schon“, sagte Loulou und seufzte.

      „Und warum seufzt du dann?“

      „Weil er so gemein zu David ist. Nur weil David Mamas allerliebster Herzpinkel ist. Da wird er eifersüchtig und fängt dauernd Krach mit David an. Ich traue mich selbst fast nicht mehr, mit ihm zu streiten, nur weil Kenneth so gemein zu ihm ist. Aber er zieht bald wieder aus, glaube ich.“

      „Warum?“

      „Mama hat keine Zeit für Männer. Wenn sie nicht nächtelang nähen kann soviel sie will, wird sie nervös und schmeißt sie raus. Sie will immer nur arbeiten. Und ich bin auch froh, wenn er wieder weg ist.“

      „Und warum?“

      Loulou antwortete lange nicht. Aber sie seufzte noch lauter. Schließlich sagte sie: „Ist es dir auch schon mal passiert, daß du Sachen willst, die du eigentlich nicht willst?“

      Ich dachte sehr lange und gründlich nach. Dann sagte ich: „Ich will manchmal nicht, was ich eigentlich will. Manchmal, wenn ich keine Lust habe, die Hausaufgaben zu machen, dann will ich, daß ich sie machen will. Aber genau dann will ich natürlich nicht. Es wäre doch praktisch, immer Lust zu haben, die Hausaufgaben zu machen, wenn man sie doch machen muß. Da müßte man dann nicht so viel mit sich selber streiten. Man kann nicht wollen, daß man will. Das Wollen kommt von außen, bei mir jedenfalls.“

      „Du denkst immer nur an die Hausaufgaben.“

      „An was denkst du?“

      Loulou antwortete nicht, aber sie sprang aus dem Bett und warf den Bettüberwurf über das Videogerät.

      Als sie wieder im Bett war, machte ich das Licht an und schaute sie an. Sie hatte die Bettdecke ganz fest in beide Hände genommen und sie hoch bis zu ihrem spitzen Kinn gezogen. Der Mund war nur noch ein Strich und die Nasenlöcher wie zwei kleine Apfelkerne. Nur die Augen waren besonders groß und weit aufgerissen. Aber sie schaute mich nicht an, sie starrte zur Decke. Loulou hat was, daß man sie manchmal fast nicht fragen kann, was los ist. Ich hielt also meinen Mund und machte das Licht wieder aus.

      „Nicht ausmachen!“

      „Warum nicht?“

      „Ich hab Angst.“

      Sie streckte ihre Hand nach mir aus. Sie mußte ganz an den Rand von ihrem Bett rutschen, weil ich ja auf der Matratze auf dem Boden lag. Ihre Hand war eiskalt und feucht. Und dann kam sie plötzlich zu mir heruntergekrochen.

      „Hast du Angst vor Kenneth?“

      „Ach, der!“

      „Aber du zitterst ja am ganzen Körper.“

      „Ich will hier bei dir bleiben. Ich trau mich nicht, zu Mama und Kenneth ins Zimmer zu gehen. Und David wird nur sauer, wenn ich komme. Er ist der Meinung, daß ich selbst schuld bin. Ich störe ihn nämlich fast jede Nacht.“

      Ich nahm sie in den Arm, und sie hörte auf zu zittern. Ich war so müde, daß ich schon fast nicht mehr wußte, wo ich war. Ich hatte das Gefühl, daß ich zu Hause auf dem Boden vor dem offenen Kamin lag. Er leuchtete schwach, und meinen Arm hatte ich um Beelzebub gelegt. Ich fragte mich, wo Moses wohl war, weil er nicht neben mir lag. Gerade als ich dachte, daß ich ihn suchen gehen muß, flüsterte Loulou mir ins Ohr:

      „Ich habe Angst einzuschlafen.“

      „Hm, was?“ murmelte ich.

      „Bist du schon mal nachts aufgewacht, weil du etwas geträumt hast, das so schön war, daß du mitten in der Nacht hellwach geworden bist – dich aufgesetzt hast und dein


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