In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt
und schnatternd in den Wald.
Am anderen Morgen pickte sie an mein Fensterlein.
»Den Speck her, Waldbruder!«, rief sie, »ich weiß es jetzt.«
»Erst das Geheimnis«, sagte ich.
»Nein, erst den Speck«, und sie hackte gleich hinein.
»Er ist ein bisschen ranzig«, bemerkte sie, »und wo ist die Käserinde?«
»Nichts da, Frau Elster«, sagte ich. »Ihr wollt mich betrügen, Ihr wisst nichts.«
Da wippte sie feierlich mit dem langen Schwanz und flüsterte geheimnisvoll: »Nun, dann passt gut auf. In dem Wall hinter dem Waldteich ist ein großes Loch. Da hat Meister Lampe sein Lager. Es ist ganz voll von Ostereiern, und es sind richtige Eier, ich habe selbst eins probiert. Nun aber erst die Käserinde!«
Ich holte sie. Frau Elster griff danach und flog auf den nächsten Baum. »Holla«, rief ich, »wo kriegt er die Ostereier denn her?«
»Fragt ihn selbst«, lachte sie und flog weiter.
Frau Elster ist eine unzuverlässige Person, aber etwas wusste ich nun doch. Ich beschloss, selbst nachzuforschen, und ging in der Abenddämmerung zum Waldteich. Ich fand das Loch erst nach langem Suchen, denn es lag gut versteckt unter Farnkräutern. Verwundert schlug ich die Hände zusammen, denn da lagen wohl an die hundert Ostereier, schön bemalt in allen Farben, rot und gelb und blau. Gerade kam Frau Elster heran, um wieder eins zu probieren, aber ich trieb sie fort, so viel sie auch schimpfte. Dann versteckte ich mich hinter einem Wacholderstrauch und wartete. Nicht lange, da kam Meister Lampe leise herbeigehuscht. Er stutzte und schnüffelte herum.
»Da ist einer gewesen«, murmelte er, »na, wahrscheinlich ist der Waldbruder hier vorbeigetrampelt mit seinen plumpen Füßen.« Dann fing er an, die Eier zu zählen, und er war noch nicht damit fertig, als ein heller Schein durch den Wald flog. Meister Lampe setzte sich auf die Hinterfüße und machte ein artiges Männchen. Zwei wunderschöne, schneeweiße Engel kamen von oben durch die Wipfel und trugen einen großen Korb zwischen sich, der ganz voll war von bunten Ostereiern.
»Langsam«, rief der eine, »sonst fallen die Eier heraus.«
»Der Korb ist so schwer«, sagte der andere, »der Arm wird mir ganz lahm.«
Da lachte der erste: »Ach, Bruder, er ist doch lange nicht so schwer wie der große Stein, den wir damals vom Grabe weggewälzt haben.«
Ich merkte nun, dass es die beiden Osterengel waren, die bei der Auferstehung erschienen, und dachte, wo sie die Eier wohl herhätten.
»Meister Lampe«, rief der eine wieder, »jetzt hast du wohl bald genug. Mutter Annas Hühner legen ja fleißig, aber die heilige Martha hat Pech gehabt, sie hat so viele Hähne bei der letzten Brut gehabt.«
Meister Lampe verneigte sich artig und sagte: »Ein paar Dutzend muss ich doch noch haben, sonst komme ich nicht aus.«
Sie packten die bunten Eier aus. Dann sagte der zweite Engel: »Gut, wie bringen morgen noch einen Korb voll. Dann ist es genug. Wir haben schon seit acht Tagen keinen Eierkuchen mehr bekommen im Himmel. Die kleinen Engel wollen schon verdrießlich werden.«
Dann befahlen sie ihm, die Eier ganz vorsichtig wegzutragen und in den Gärten zu verstecken. »Aber bloß, wo artige Kinder sind. Bedenke wohl, wenn du keins zerbrichst, dann wird dich das ganze Jahr kein Jäger treffen mit seinem Mordgewehr.«
Husch, weg waren sie mit dem leeren Korb. Meister Lampe bog vorsichtig das Farnkraut über die Höhle und hoppelte nach Hause. Nun wusste ich Bescheid, und ihr wisst es auch, aber sagt es nicht weiter. Sonst bin ich euch böse, ich, euer Waldbruder.
Aprilscherze
Schnell herein, schnell herein in meine Klause! Da kommt schon wieder ein Schauer. April tut, was er will. Er ist ein wetterwendischer Herr. Hört ihr? Nun prasseln die Graupeln ans Fensterchen, dass es nur so klirrt, und man könnte meinen, der gestrenge Herr Winter habe das Regiment wieder genommen. Aber es ist nicht so. Herr Winter ist abgereist zum Nordpol, wo er sein Sommerschloss stehen hat, ganz aus blankem Eise erbaut. Dort fährt er auf dem Schnee spazieren, und zwei zottige Eisbären ziehen den Schlitten. Ich glaube aber, der junge Frühling ist ein wenig eingeschlafen, und nun treibt der April einen Schabernack.
Vielleicht hat der Frühling auch sein Pläsier an diesen Neckereien, der April ist nämlich ein Hofnarr. Ich weiß es sicher, denn ich bin ihm neulich begegnet. Er trug ein weißrotgestreiftes Kleid und eine Narrenkappe mit Schellen daran. Mit dem einen Auge weinte er, und mit dem anderen schaute er spitzbübisch blinzelnd in die Welt.
Ich war gerade aufgestanden und schaute gähnend durchs Fensterlein in den frischen Morgen. Es war mir noch etwas steif in den Gliedern, und ich musste niesen.
»Gesundheit!«, rief es draußen, und als ich um die Ecke schaute, da stand der närrische April da in seiner ganzen Fastnachtsherrlichkeit. »Danke schön!«, sagte ich höflich und nahm eine Prise und bot ihm auch eine an, denn auch ein alter Waldbruder zeigt noch gern, dass er Lebensart hat. Der April griff mit spitzen Fingern zu und schnupfte – und Hussa! Er nieste, dass die dunkle Wolke, die gerade über meiner Waldklause stand, kopfüber hinter die Bäume purzelte und der ganze blaue Himmel lachte.
»Starker Tabak, Waldbruder«, sagte der April, »so recht etwas für unsereinen. Wollt Ihr nicht ein bisschen spazieren gehen? Die Sonne scheint so prächtig, Ihr könnt den Mantel zu Hause lassen.« Dann machte er noch ein freundliches Kompliment und verschwand. Ich machte mich also auf den Weg. Aber ich war noch keine hundert Schritte gegangen, da prasselte mir ein kalter Regen um die Ohren, dass mir Hören und Sehen verging.
»Liebe Tante Tanne«, rief ich, »sei so gut und nimm mich unter deinen grünen Regenschirm!«
»Komm her, komm her!«, sagte die gute Tante und spannte so eilig ihren Schirm auf, dass sie mir mit den spitzen Nadeln fast die Augen ausstach.
Ich kauerte mich nieder, so gut es ging, und ehe ich mich versah, hatte ich einer Spitzmaus auf das Schwänzlein getreten. Es war mir sehr peinlich, denn Spitzmäuse sind feine Damen; sie sind nahe verwandt mit den Haselmäusen, und die sind schon vom Adel.
»Bitte sehr, mein Herr!«, piepte die Spitzmaus in aller Entrüstung.
»Exkusez, Madame«, sagte ich, so fein und zierlich, wie ich es nur herausbringen konnte.
Als sie hörte, dass ich Französisch sprach, wurde sie gnädig gestimmt und knüpfte ein gebildetes Gespräch mit mir an über die neueste Literatur. Sie schwärmte für den Dichter Waldemar Bonsels und fand ihn »himmlisch süß«.
»Er ist dem steifen Goethe bedeutend überlegen«, piepte sie. Es wurde mir etwas unbehaglich, und ich freute mich, als ein kleiner Sonnenstrahl hereintanzte und lachte wie ein Spitzbube.
»Das grelle Licht verdirbt die zarte Hautfarbe«, sagte die Spitzmaus und zog sich zurück.
Ich ging meiner Wege. Da stand der bunte Geck, der April, in den triefenden Sträuchern und lachte: »Wünsche, wohl geruht zu haben!«
»Du Schelm!«, drohte ich um und wandte ihm den Rücken. Da blies er mir mit vollen Backen einen Wind nach, dass meine Kutte sich aufblähte wie ein Ballon. Auf ein Haar wäre ich über alle Bäume geflogen. Für den Spott brauchte ich nicht zu sorgen.
Der rote Fuchs grinste über den Wall und schrie: »Waldbruder, was kommt Euch an? Wollt Ihr das Fliegen lernen?«
Im Augenblick war es wieder ruhig in der Luft, und Frau Sonne guckte durch ein Wolkenloch mit ihrem breiten Gesichte. Es wurde mir warm auf dem Rücken, und ich dachte: Es ist doch gut, dass ich den Mantel zu Hause gelassen habe!
Da – was war das? Prrrr – klirrte es mir um die Ohren, dass ich meine Kapuze nicht schnell genug hochziehen konnte. Ein Hagelschauer prasselte nieder, und die Eiskörnlein hüpften und sprangen um