In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt
machen konnte. Da hat mir der Weidenhofbauer ein Katzenfell gegeben. Er hat nämlich seinen alten Kater totgeschossen, weil er ihm immer in den Taubenschlag kletterte, und das gute Fell von diesem bösen Kater hat mir mein Rheuma weggenommen.
So machte ich mich denn des Morgens früh auf den Weg, den Rosenkranz in der einen Hand und den dicken Kreuzdornstock in der anderen und das linke Knie mit dem warmen Katzenfell umwickelt. Kaum hatte ich meine Wallfahrt angetreten, da kam Jungfer Reh mir entgegen und fragte, ob sie mitgehen dürfe. Sie ist fromm von Natur und auch schweigsam, darum erlaubte ich es ihr gern. Als aber Frau Häsin sich zu uns gesellte, musst ich ihr erst eine ernste Vermahnung geben, denn sie ist schwatzhaft.
Meister Igel schloss sich auch an, und das war mir eine Beruhigung; er hält nämlich sehr auf Ordnung, und jedes Mal, wenn Frau Häsin anfangen wollte zu plappern, piekte er sie mit seinen Stacheln. Frau Amsel saß auf dem Nest, als wir vorbeikamen. »Wie gerne ginge ich mit!«, rief sie, »aber ich muss brüten. Ich will meinen Mann rufen, dem wird eine Wallfahrt guttun.« Aber Herr Amsel war ausgegangen. Wir waren schon weit, da hörten wir Frau Amsel immer noch rufen und schelten, ohne dass eine Antwort kam.
»Ja, diese Männer!«, seufzte Frau Häsin und fügte »Au! Au!« hinzu, denn Meister Igel hatte sie gepiekt. Unsere Prozession wurde immer größer, denn von allen Seiten schlossen sich die Tierlein und Vöglein an, Frau Eichhörnchen und das Rotkehlchen, Meister Maulwurf und zwei junge Frösche und viele andere. Auch die dicke Frau Hummel flog mit und spielte unterwegs die Orgel, sodass es recht feierlich wurde. Meister Grimbart, der Dachs, hatte keine Lust; er sagte, er fühle sich zu schwach von seinem strengen Fasten. Meister Specht war natürlich auch dabei und lachte ein paarmal in unpassender Weise.
Aber ich bin daran gewöhnt, und es stört mich weiter nicht. Ich betete einen Rosenkranz nach dem anderen, und die Tierlein zogen sittsam hinter mir her. So kamen wir zu dem Kapellchen, und da wurden die Tierlein mäuschenstill. Die liebe Schmerzensmutter saß so traurig da und hielt den blutigen Leichnam ihres Sohnes auf den Knien. Der Efeu, der an dem Gemäuer hochgekrochen war, zitterte vor Mitleid und weinte blanke Tränen.
Da erzählte ich den Tierlein von dem bitteren Leiden und Sterben des Heilandes, und sie sperrten Schnäuzlein und Schnäbelchen auf und horchten.
»Du bist ja dabei gewesen, gutes Rotkehlchen!«, sagte ich.
»Ach ja«, seufzte das Rotkehlchen, »ich wollte ihm die bösen Nägel aus den Händchen ziehen, aber es ging nicht. Seht, meine Brust ist noch ganz rot von Blut.«
Meister Igel richtete all seine Stacheln auf und brummte: »Dieser Judas! Das war ein böser Mann! Wenn ich den einmal tüchtig pieken könnte!«
»Waldbruder«, sagte Frau Eichhörnchen und wischte sich mit dem dicken Schweife die Tränen aus den Augen, »was ist denn aus den dreißig Silberlingen geworden, die Judas bekommen hatte?«
Ich dachte nach und sagte: »Er hat sie in den Tempel geworfen, und dann haben die Hohenpriester von dem Töpfer einen Acker dafür gekauft, den Blutacker, auf dem man die Selbstmörder begraben hat. Mehr weiß ich nicht, denn mehr steht nicht im Buche.«
»Ich weiß es ganz genau«, sagte eine Stimme. Sieh, da kam ein altes gebücktes Mütterlein herangehumpelt, das hinter dem Kapellchen gesessen hatte mit seinem Rosenkranz. Es war steinalt und ganz runzelig. »Wer seid Ihr denn Mütterlein?«, fragte ich.
Sie hockte sich auf die Betbank nieder und stützte sich mit zitternden Händen auf den Stock. »Ich heiße Legende«, sagte sie und lächelte freundlich, sodass man den einzigen Zahn sehen konnte, den sie noch hatte. »Hört zu, ich will euch von den dreißig Silberlingen erzählen.«
Nach einer kurzen Pause hob das Mütterlein Legende an zu erzählen. »Es war Blutgeld, und der Fluch Gottes ruhte auf diesen dreißig Silberlingen. Ihr wisst, Judas hat sich erhängt, und der Töpfer, der das Geld bekam, hat es ebenso gemacht. Er war ein böser, geiziger Mann und geriet in Verzweiflung, als ihm sein Geld gestohlen wurde. Die Diebe haben das Geld vertrunken in einem Wirtshause und sind dabei in Streit geraten, sodass einer erstochen wurde. Der Wirt hat viele Leute unglücklich gemacht, denn in seiner Schenke herrschte ein wüstes Leben. Seine Tochter hat sich für dreißig Silberlinge ein seidenes Kleid gekauft, und dann ist sie in die weite Welt gelaufen und verdorben. Der reiche Kaufmann, von dem sie das seidene Kleid gekauft hatte, war ein verschwenderischer Mann; er fiel in die Hände eines Wucherers und wurde ganz arm. Der Wucherer hatte das Geld ausgeliehen auf Wucherzinsen und eine arme Witwe damit unglücklich gemacht. Die arme Witwe hatte sich Brot dafür gekauft. So kam das Geld in die Hände eines Bäckers, der die Leute immer betrogen hatte mit viel zu kleinen Brötchen. Der Sohn des Bäckers, der die dreißig Silberlinge geerbt hatte, hat sie vergeudet, und nun sind sie in der ganzen Welt zerstreut. Wo sie hinkamen, haben sie das andere Geld angesteckt mit ihrem Fluche. Einige Stücke kamen in eine fromme Hand. Sie wurden eingeschmolzen für ein Weihrauchfass und dienen nun der Ehre Gottes, und der Fluch ist von ihnen genommen. Ein paar Stücke wurden als Almosen gegeben, sie sind durch die gute Tat gereinigt. Aber die anderen verbreiten immer noch Fluch, und kein Mensch, der Geld annimmt, weiß, ob nicht etwas von diesem Blutgelde dabei ist. Seht, das ist die Geschichte von den dreißig Silberlingen.«
Das Mütterlein schwieg, und die Tierlein horchten noch immer.
Da rief das Rotkehlchen: »Wie gut ist es doch, dass wir kein Geld brauchen! Es ist ein hässliches und unheimliches Ding!«
Und ich, liebe Kinder, freue mich auch, dass ein Waldbruder arm sein muss und kein Geld in seinem Sacke hat. Leider können die anderen Menschen es nicht so gut entbehren wie euer Waldbruder.
Das Geheimnis des Osterhasen
Als ich noch in der Welt war, liebe Kinder, habe ich mir oft den Kopf zerbrochen über das Geheimnis des Osterhasen. Ich konnte es nicht recht glauben, dass ein Hase Eier legen könne und dazu so schöne bunte. Jetzt, da ich im lieben Walde wohne und mit den lieben Tierlein so vertraut bin, wollte ich gern dahinterkommen und das Geheimnis ergründen. Zuerst wandte ich mich an die Frau Häsin, denn ihr traute ich das Eierlegen noch eher zu als dem Meister Lampe, ihrem Manne.
Eines Morgens, als sie gerade den Kohl in meinem Gärtchen besichtigte, ging ich zu ihr hinaus. »Guten Morgen, Frau Häsin«, sprach ich sie an, »hat Ihr gut geschlafen?«
Sie legte die langen Löffel auf den Rücken, wischte sich mit der Pfote durch die Augen und seufzte: »Ach, Waldbruder, ich kann es immer noch nicht vergessen, dass Reineke zu Fasnacht meine beiden Kinderchen abgemurkst hat. Wir haben ja eine zahlreiche Familie, und es wird schon wieder Nachwuchs kommen, aber diese beiden waren so allerliebst und auch so begabt. Das eine hieß Mümmelpeter und das andere Hoppelfritz. Die Klugheit hatten sie von dem Papa und die Schönheit von mir.«
Ich tröstete sie, so gut es ging, und kam dann auf die Ostereier zu sprechen.
»Damit habe ich nichts zu tun«, sagte sie kurz. Ich fragte, ob Meister Lampe, ihr Mann, vielleicht die Ostereier lege. Sie strich ihren Schnurrbart, denn beim Hasengeschlecht haben auch die Damen einen Schnurrbart, aber einen kleinen, feinen, der sehr niedlich aussieht.
»Dass er sie selbst legt, glaube ich nicht«, antwortete Frau Häsin, »im Übrigen ist das sein Geheimnis. Ich habe ihn einmal danach gefragt, und da hat er mir einen hinter die Löffel gehauen. Fragt ihn selbst, Waldbruder!«
Damit hoppelte sie in den Wald. Sie hatte ihre Schürze voll Kohl und wahrscheinlich ihr Bäuchlein auch. Ich hörte sie noch seufzen: »Ach, Mümmelpeterchen, ach, Hoppelfritzchen!« Und sie war verschwunden.
Meister Lampe wollte ich lieber gar nicht fragen. Ich suchte Frau Elster auf, die über alles Bescheid weiß, was im Walde passiert.
»Waldbruder«, plapperte sie in ihrer geschwätzigen Art, »er hat damit etwas zu tun, das ist sicher, aber ich kann ihm noch nicht hinter die Schliche kommen. Dass er die Ostereier selbst legt, glaube ich nie und nimmer. Dazu sind die Mannsleute viel zu dumm. Vielleicht stiehlt er sie. Was gebt Ihr mir, wenn ich es herausbringe?«
Ich versprach ihr ein Stück Speck.
»Gut«,