Bekenntnisse eines Häretikers. Roger Scruton

Bekenntnisse eines Häretikers - Roger  Scruton


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was es uns schenken, sondern daraufhin, was wir ihm geben können. Vermittels des Schönen reinigt die Kunst die Welt von unserer zwanghaften Selbstbezogenheit.

      Es ist unmöglich, unser menschliches Bedürfnis nach Schönheit abzustellen und unsere Menschlichkeit dennoch zur Entfaltung zu bringen. Das Bedürfnis nach Schönheit entspringt unserer Moralität. Wir können auf der Erde umherwandern, befangen in Entfremdung, in unguten Gefühlen, voller Argwohn und Misstrauen. Oder wir können sie zu unserem Zuhause machen, mit uns selbst ins Reine kommen und mit anderen zu einem harmonischen Zusammenleben finden. Die Erfahrung der Schönheit leitet uns auf diesen zweiten Weg. Sie bedeutet uns, dass wir in dieser Welt tatsächlich zu Hause sind, dass sie sich in unserer Wahrnehmung bereits als einen Ort zu erkennen gibt, der für Lebewesen unserer Art der geeignete ist. Eben das sehen wir in Corots Landschaften, in Cézannes Äpfeln oder Van Goghs aufgeschnürten Schuhen.

      Ein wahres Kunstwerk ist nicht auf dieselbe Weise schön wie ein Tier, eine Blume oder eine Landschaft. Es ist ein bewusst gestaltetes Ding, mit dem das menschliche Bedürfnis nach Form über die Beliebigkeit der Sachen triumphiert. Unser Leben ist bruchstückhaft und wirr, in unseren Gefühlen kommt vieles auf, was nicht zur Erfüllung findet. Sehr wenig enthüllt sich uns mit solcher Klarheit, dass wir seine Bedeutsamkeit ganz erfassen können. In der Kunst schaffen wir ein Reich der Vorstellungskraft, in dem jeder Anfang zu einem Schluss führt und jede Einzelheit Teil eines bedeutsamen Ganzen ist. Das Thema einer Bach’schen Fuge scheint sich aus ihrem Akkord heraus zu entwickeln, es entfaltet und füllt einen musikalischen Raum und bewegt sich logisch auf einen Schluss zu. Das aber macht aus ihr keine mathematische Fingerübung. Jedes Thema bei Bach ist aufgeladen mit Gefühl und geht zusammen mit dem Rhythmus der inneren Welt ihres Hörers. Bach führt uns in einen imaginierten Raum und beschenkt uns in diesem Raum mit dem Bild unserer eigenen Erfüllung. In gleicher Weise zeigt Rembrandt vermittels der Hauttönungen eines alternden Gesichts, wie in jeder einzelnen etwas eingefangen ist vom Leben, das darin steckt, sodass in der formalen Harmonie der Farben die Person als ganze und vollständige erscheint. Wir erleben bei Rembrandt den organischen Zusammenhalt eines Charakters in einem verfallenden Körper. Und sind zutiefst bewegt davon.

      Formale Vollendung ist nicht zu erreichen ohne fundiertes Wissen, Disziplin und Aufmerksamkeit bis ins Detail. Langsam aber sicher fangen die Leute an, das zu begreifen. Die Illusion, dass Kunst einfach aus uns herausströmt und der einzige Sinn und Zweck einer Kunsthochschule darin besteht, die Schleusentore zu öffnen, lässt sich nicht länger halten. Die Zeiten, in denen man Furore damit machen konnte, wie Christo ein Gebäude in Polystyrol zu hüllen, oder vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden still vor einem Flügel zu sitzen wie John Cage, sind vorbei. Um wirklich modern zu sein, müssen wir Kunstwerke schaffen, die das moderne Leben in all seiner Zerrissenheit aufnehmen und es zu etwas Vollständigem und Entschiedenem werden lassen, was etwa Philip Larkin in seiner großen Dichtung The Whitsun Weddings getan hat. Es ist schön und gut, dass ein Komponist seine Stücke mit dissonanten Klängen und Clustern spickt wie Harrison Birtwistle; aber ohne die geringste Ahnung von Harmonielehre und Kontrapunkt wird das Ergebnis keine Musik sein, sondern schlichter Lärm. Man mag mit Farben herumklecksen wie Jackson Pollock, aber ein wirkliches Wissen um Farbe wird durch das Studium der natürlichen Welt erworben, durch die Entdeckung, wie sich unsere Gefühle in geheimnisvollen Farbschattierungen widerspiegeln, was Cézanne Frieden und Trost im Anblick eines Apfelkorbes finden ließ.

      Wenn wir auf die wahren Apostel des Schönen in der Gegenwart blicken – ich denke an Komponisten wie Henri Dutilleux und James MacMillan, an Maler wie David Inshaw und John Wonnacott, an Dichter wie Ruth Padel und Charles Tomlinson, an Prosaisten wie Italo Calvino und Georges Perec – macht es uns unmittelbar betroffen, in welchem Ausmaß sich die Ausübung ihres Handwerks von harter Arbeit, einsamem Forschen und Aufmerksamkeit bis in kleinste Einzelheiten bestimmt findet. In der Kunst muss Schönheit errungen werden – ein umso schwierigeres Unterfangen, je mehr sich eine allgemeine Beschränktheit breitmacht. Angesichts von Leid, Unzulänglichkeit und der Flüchtigkeit unserer Gefühle und Freuden, fragen wir nach einem »Warum«. Wir brauchen Zuspruch. Und wenden uns an die Kunst um des Beweises willen, dass das Leben in dieser Welt eine Bedeutung hat und Leiden nicht so sinnlos ist, wie es oft genug scheint, sondern notwendiger Teil eines größeren und Erlösung verheißenden Ganzen. Die Tragödie zeigt uns den Triumph der Würde über die Zerstörung, des Mitgefühls über die Hoffnungslosigkeit. Es wird immer rätselhaft bleiben, wie es ihr gelingt, die Moralität wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem sie dem Leiden eine geschlossene Form verleiht. Der tragische Held gelangt durch sein Schicksal zu Vollendung; sein Tod ist ein Opfer und durch dieses Opfer kann die Welt von Neuem erstehen.

      Die Tragödie erinnert uns daran, dass die Gegenwart des Schönen in unserem Leben etwas Erlösendes, Rettendes darstellt: das Angesicht der Liebe inmitten von Trostlosigkeit. Es sollte uns nicht überraschen, dass viele der schönsten Werke der modernen Kunst als Reaktion gegen Hass und Grausamkeit entstanden sind. Die Gedichte der Achmatowa, die Romane von Pasternak, die Musik von Schostakowitsch – Werke wie diese haben Licht in eine totalitäre Finsternis geworfen und Liebe bezeugt inmitten der Zerstörung. Vergleichbares ließe sich zu Eliots Four Quartets sagen, zu Brittens War Requiem, zu Matisses Kapelle in Vence.

      Der Modernismus entstand, weil Künstler, Schriftsteller und Musiker ihrer Vision von Schönheit treu blieben, als einer Erfüllung und Erlösung spendenden Gegenwart in unserem Leben. Und dadurch unterscheidet sich ein wirkliches Kunstwerk von einem vorgetäuschten. Wirkliche Kunst ist ein Werk der Liebe, vorgetäuschte Kunst ist Betrug.

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       Tiere lieben

      Ich lebe auf einem Bauernhof, umgeben von Weideland, in einer Region in England, wo eine dünne Ackerkrume eine darunter liegende Lehmschicht bedeckt. Auf der Krume wächst Gras, aber man kann sie nicht umpflügen, ohne zugleich den Lehm, auf dem nichts gedeiht, mit nach oben zu holen. Die einzige Möglichkeit, derartiges Land zu verwerten, besteht für seine menschlichen Nutzer darin, das Gras und dessen Nebenprodukte denjenigen Wesen zugutekommen zu lassen, deren Lebensgrundlage es darstellt. In der Landwirtschaft sind das Kühe, Schafe, Schweine und Hühner, an Jagdwild Wildgeflügel, außerdem werden Reitpferde gehalten. Letzteres ist aus Sicht unserer lokalen Farmer am profitabelsten, denn die Pferde locken Großverdiener aufs Land, denen vor Ort die Idee kommt, ihr Geld in Weideland anzulegen. Um einiges schwieriger wird es dann schon, umgekehrt aus Gras wieder Geld zu machen. Dennoch sehe ich in unserem ländlichen Winkel alles in allem ein gelungenes Beispiel für landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Unsere Tiere leben in einer ihnen gemäßen Umgebung, genießen ein gewisses Maß an Freiheit und unser Eingreifen bewahrt sie vor langem Leiden durch Alter und Krankheit oder einem qualvollen Tod infolge von Verletzungen. Gleiches gilt mehr oder weniger auch für die Wildtiere. Das Wildgeflügel wird entweder geschossen oder von Füchsen gefressen, Bussarde und Habichte erbeuten Nagetiere wie Ratten, Feld- und Wühlmäuse und umherziehende Reiher schnappen sich die Fische. Alter, Krankheit oder Verletzungen sind selten Todesursache bei unseren wilden Tieren, und wir helfen ihnen so gut wie möglich über den Winter, mit Resten aus der Küche für die Fleischfresser und Körnern und Nüssen für Vögel.

      Selbstverständlich könnte noch vieles besser gemacht werden, und es gibt ein paar Dinge an unserem Schalten und Walten, die mir nicht gefallen. Ganz besonders stört mich, dass bestimmte Tiere, zu denen wir eine unwillkürliche Zuneigung empfinden, bevorzugte Behandlung genießen. Wir überschlagen uns geradezu, die Raubtiere gut durch die harten Wintertage zu bringen, rühren aber kaum einen Finger für unsere Haus- und Feldmäuse und unternehmen wiederum alles Erdenkliche, um die Ratten loszuwerden. Natürlich setzten wir kein Gift ein, da das auch Eulen, Bussarde und Füchse gefährden würde, die die Kadaver der Ratten fressen. Trotzdem sind wir gezwungen, in die natürliche Ordnung einzugreifen, wenn wir auf einem Bauernhof zurechtkommen wollen. Feldhasen sind gern gesehen, Kaninchen schon weniger, Hermeline und Wiesel genießen unseren Schutz, während Krähen und Elstern sich hüten, uns zu nahe zu kommen. Jeder, der wie wir dauerhaft auf dem Land lebt, muss sich mit solchen Entscheidungen auseinandersetzen. Und jedes Mal, wenn ich etwas über »Zufluchtsorte für wilde Tiere« lese, frage ich mich, was die dortigen Wildhüter tatsächlich zu unternehmen bereit sind, um die


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