Bekenntnisse eines Häretikers. Roger Scruton
ein Erfüllungsgehilfe zur Befriedigung der Launen des Reiters, es wird zum Objekt von Liebkosungen und Zärtlichkeiten, die es weder erwidern noch begreifen kann – wobei man es in seiner Eigenart völlig ignoriert. Diese Liebe ist in ganz eigener Weise verdorben. Wer ein Pferd mit solcher Zuneigung überschüttet, macht sich entweder selbst etwas vor oder findet Gefallen an einer Gefühlsphantasie. Das Pferd ist Mittel zum Zweck, in den eigenen Gefühlen zu schwelgen, die das eigentliche Zentrum des Interesses darstellen. Es wird Objekt einer selbstbezogenen Liebe, der im Grunde nichts an dem Objekt liegt, das diese Liebe zunächst hervorgerufen hat. Vom Pferd wird nicht eigentlich Notiz genommen, und wenn es irgendwann unweigerlich seine oberflächliche Attraktivität eingebüßt hat, geht diese Art Liebe in eine mehr oder weniger skrupellose Vernachlässigung des Tieres über. Man hat ihm eine Zeit lang Zuneigung angedeihen lassen, um es dann oft genug, wie Kinder ihre Puppen, einfach auszurangieren. In einer Philosophie der Liebe illustriert das Beispiel mit der Puppe auf schmerzlichste Weise, was geschieht, wenn Liebe fehlgeht. Kinder erproben mit Hilfe ihrer Puppen noch den Umgang mit Gefühlen: sie versuchen, Ausdrucksmöglichkeiten, Verhaltensweisen und Gesten für sich zu entwickeln, mit denen sie ihre menschliche Umgebung dazu bringen können, ihnen Schutz und Liebe zu geben. Dennoch erwarten wir von Kindern, dass sie die Liebe zu ihren Puppen irgendwann hinter sich lassen und fähig werden, eine reifere Form der Liebe zu entwickeln, eine Liebe, die denjenigen, der sie empfindet, etwas kostet, mit der das Selbst in die Hände eines anderen Menschen gelegt wird und ein Band verantwortungsvoller gegenseitiger Sorge entsteht.
Jede Spezies ist anders geartet. Im Fall von Hunden kann man sicherlich davon ausgehen, dass sie die Zuneigung ihrer Herren nicht nur erwidern, sondern mit ihnen auch eine individuelle Bindung eingehen. Der Herr ist für den Hund derart unersetzlich, dass uns in der Trauer des Tieres bei dessen Verlust eine Verzweiflung begegnet, die wir, die auch im größten Schmerz noch Zugang zu Tröstungen finden, nicht wirklich nachvollziehen können. Nicht alle Hunde sind zu einer so entschieden auf eine Person gerichteten Hingabe fähig, aber wo wir sie erleben, gehört sie zu den ergreifendsten Geschenken, die ein Tier uns machen kann, umso mehr, als es sich dabei weniger um ein Geschenk, als um eine große Bedürftigkeit handelt.3 Einer Kreatur, die uns mit einem solchen Maß an Liebe begegnet, sind wir in besonderer Weise verpflichtet; und aus dieser Beziehung kann sich eine gegenseitige Liebe ganz eigener Art entwickeln, die wir ernst nehmen müssen. Wer von seinem Hund derart geliebt wird, muss ihm seinerseits sehr viel mehr sorgsame Zuwendung geben, als sie etwa einem Pferd gegenüber angemessen wäre. Diesen Hund zu vernachlässigen oder zu verlassen, bedeutet, eben jenes Vertrauen zu verraten, aus dem sich eine objektive Verpflichtung ableiten lässt, wie sie einem Individuum gegenüber besteht. So gesehen hat meine Nachbarin durchaus recht, wenn sie die Verpflichtung ihrem Hund gegenüber für vorrangig hält gegenüber der meinen, Wildtiere zu schützen, deren Wohlergehen durch ihren Hund beeinträchtigt wird. Sie hat einen Pol einer Vertrauensbeziehung inne, und es wäre eine moralische Fehlleistung ihrerseits, sich das Recht auf den Genuss der unerschütterlichen Zuneigung des Hundes zuzugestehen, wenn sie ihm gleichzeitig vorenthielte, was sie ihm ganz einfach dadurch geben kann, dass sie sein Tun gutheißt. Ich verurteile sie also nicht wegen ihres lästigen Hundes und ihrer ebenso lästigen Liebe zu ihm, der Fehler liegt bei mir. Wenn ich mich über den Egoismus einer Familie ärgere, die für sich die besten Plätze in einem Zug in Beschlag nimmt, mache ich den gleichen Fehler. Jeder von uns ist umgeben von einer Sphäre der Liebe, und wir sind denjenigen verpflichtet, die mit uns in dieser Sphäre leben.
Dies gesagt, sollten wir jedoch weiterhin zwischen angemessener und unangemessener Liebe zu einem Hund unterscheiden. Hunde sind Individuen, in derselben Weise, wie alle Tiere Individuen sind. Man kann wohl auch behaupten, dass Hunde über einen höheren Grad an Individualität verfügen als Vögel oder Insekten. Damit meine ich, dass ihr Wohlbefinden in engerem Zusammenhang mit ihrem arteigenen Wesen und ihren jeweiligen Lebensumständen, ihren Gefühlsbindungen und ihrem Charakter steht, als das bei Angehörigen anderer Arten der Fall ist. Ein Vogel bezieht sich auf seine Umgebung als Angehöriger seiner Spezies, nicht aber als ein Wesen, das um sich herum ein individuelles Netz aus Erwartungen und Ängsten geknüpft hat. Der Hund ist mit seiner Liebe abhängig von einem ganz bestimmten Personenkreis und er weiß um die Stärke dieser Abhängigkeit. In seinen Reaktionen auf seine Umgebung unterscheidet er Individuen und begreift, wenn etwas ausdrücklich von ihm verlangt wird und dass er diesem Verlangen Folge zu leisten hat. Auch wenn seine Gefühle simpler Natur sind, handelt es sich dennoch um erlernte Reaktionen, geprägt von einer gemeinsamen Geschichte aufeinander bezogener Handlungen des Hundes und seiner Umgebung.
So kann man in sein Verhalten Reaktionsweisen hineinlesen, wie wir sie aus menschlichen Gefühlsbeziehungen kennen. Der Hund ist keine Person, aber er kann einer Person ähnlich werden, wenn er die Erfahrungen mit Dingen und Wesen seiner Umgebung zu verinnerlichen beginnt. In seiner Beziehung zu einem ganz bestimmten Personenkreis innerhalb dieser Umgebung wird er seinerseits zu einem ganz bestimmten Hund. Wenn ich dennoch bestreite, dass der Hund eine Person sei, begründe ich das einfach damit, dass die Individualität von Personen auf einer völlig anderen metaphysischen Ebene liegt als die von Tieren, selbst von Tieren, die Personen als Individuen lieben. Eine Person identifiziert sich mit sich selbst in der ersten Person, sie kennt sich als »ich« und trifft freie Entscheidungen auf der Basis dieses Identifikationsaktes. Bei ihr liegen die Hoheitsrechte über ihre Welt, und ihr ganzes Denken und Handeln ist durchsetzt von der Unterscheidung zwischen sich und dem Anderen, dem Eigenen und Nicht-Eigenen, zwischen Wichtigem und Unwichtigem.
Der Hund, der seinem Herrn in die Augen blickt, urteilt nicht, er mahnt ihn nicht an dessen Pflichten und tritt nicht als anderes Individuum mit eigenen Rechten und Freiheiten auf. Er versucht einfach, einen Kontakt herzustellen wie zu einem Artgenossen oder Rudelmitglied in der Hoffnung, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen wird. In all dem findet sich nichts von einem Kontakt von »Ich« zu »Ich«, durch den sich Personen von allen anderen Lebewesen in der Natur unterscheiden, was Kant als Zeichen dafür nahm, dass die Person tatsächlich nicht mehr Teil der Natur sei. Obwohl ich mich meinem Hund wie einem Individuum zuwende, tue ich das von einer Ebene der Individualität aus, die für ihn unerreichbar bleibt. Die Vorstellung von Verantwortung, Pflicht, Recht und Freiheit, die all meine Absichten und Vorhaben beherrscht, hat in seinem Denken keinen Platz. Für ihn bin ich ein anderes Tier – ein sehr spezielles zwar, aber dennoch eines, das mit ihm auf derselben Ebene existiert und von Beweggründen umgetrieben wird, die er niemals begreifen, sondern lediglich hinnehmen kann, enthalten in so etwas wie der Einheit des Seienden, als der Summe dessen, worauf sich seine Zuneigung bezieht.
Mir scheint nun, dass man einen Hund auf vernünftige Art liebt, wenn man ihn nicht als Person wahrnimmt, sondern als eine Kreatur, die bis an die Grenze zum Persönlichen gelangt ist. Von dort aus lugt er hinüber in ein für ihn nicht einsehbares Gebiet, aus dem Signale kommen, die er in anderer Weise versteht als wir, die wir die Signale geben. Gründen wir die Liebe zu unserem Hund auf die Annahme, dass er in einer uns ebenbürtigen Weise eine Person sei, schaden wir damit ihm und uns selbst. Das Tier wird in einer Weise gefordert und unserer Welt eingegliedert, die ihm weder zugutekommt, noch begreiflich ist. In der Folge sehen wir uns dann auch veranlasst, sein Leben zu erhalten, ganz so, wie wir es untereinander um unserer persönlichen Beziehungen willen tun, die, weil sie persönlich sind, für uns Ewigkeitsstatus haben. Für mich ist es ein Zeichen verfehlter Tierliebe, wenn jemand seinen Hund nicht einschläfern lässt im Falle unheilbarer Erkrankung oder Hinfälligkeit. Aber hier geht es nicht in erster Linie um den Schaden für das Tier, sondern um den für die Person. In einem wichtigen Sinn kostet uns die Liebe eines Hundes nichts. Auch der übelste Kriminelle kann in ihren Genuss kommen. Kein Hund verlangt von seinem Herren Anstand oder Ehrenhaftigkeit, und er wird ihn jederzeit verteidigen, auch gegen die Festnahme durch Vertreter von Recht und Gesetz. Ein Hund urteilt nicht, seine Liebe ist bedingungslos, einfach deshalb, weil er keinen Begriff von Bedingungen hat. Wir genießen seine rückhaltlose Bestätigung, um die wir uns nicht erst mit moralischem Handeln bemühen müssen. Und genau das können wir ringsum beobachten: zwischenmenschliche Beziehungen, die immer mehr im Schwinden begriffen sind, da verbunden mit Bedingungen und der Verpflichtung zu verantwortlichem Handeln, werden ersetzt durch die Liebe zu Haustieren, was keinen wirklichen Einsatz fordert.
Diese Art Liebe versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen will sie die Unschuld des tierischen Liebesobjektes vor dem