7 Engel. Karin Waldl
Unter Gottes Schutz – Psalm 91, 1-16
¹ Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden.
² Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“
³ Er bewahrt dich vor versteckten Gefahren und vor tödlicher Krankheit.
⁴ Er wird dich behüten wie eine Henne, die ihre Küken unter die Flügel nimmt. Seine Treue schützt dich wie ein starker Schild.
⁵ Du brauchst keine Angst zu haben vor den Gefahren der Nacht oder den heimtückischen Angriffen bei Tag.
⁶ Selbst vor der Pest, die im Dunkeln zuschlägt, oder dem tödlichen Fieber, das am hellen Tag die Menschen befällt, fürchtest du dich nicht.
⁷ Wenn tausend neben dir tot umfallen, ja, wenn zehntausend in deiner Nähe sterben – dich selbst trifft es nicht!
⁸ Mit eigenen Augen wirst du sehen, wie Gott es denen heimzahlt, die ihn missachten.
⁹ Du aber darfst sagen: „Beim Herrn bin ich geborgen!“ Ja, bei Gott, dem Höchsten, hast du Heimat gefunden.
¹⁰ Darum wird dir nichts Böses zustoßen, kein Unglück wird dein Haus erreichen.
¹¹ Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.
¹² Sie werden dich auf Händen tragen, und du wirst dich nicht einmal an einem Stein verletzen!
¹³ Löwen werden dir nichts anhaben, auf Schlangen kannst du treten.
¹⁴ Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt.
¹⁵ Wenn er zu mir ruft, antworte ich ihm. Wenn er keinen Ausweg mehr weiß, bin ich bei ihm. Ich will ihn befreien und zu Ehren bringen.
¹⁶ Bei mir findet er die Hilfe, die er braucht; ich gebe ihm ein erfülltes und langes Leben!“
*
Kapitel 1
Tropfen rannen vom Fensterbrett auf das gemaserte Eichenparkett. Elina Mercy schaute von ihrem Buch auf. Der Sommer zeigte sich nicht gerade von der besten Seite, schier endlos erscheinende Regengüsse breiteten sich seit Tagen über das Land aus. Nicht dass dieses Unwetter, das draußen tobte, schon genug wäre, jetzt war auch noch das Fenster undicht, aufgeweicht von den Unmengen an Wasser. Schnell holte sie ein Handtuch, um das Rinnsal zu hindern, weiter auf den Boden zu laufen.
Unterdessen ratterte in ihrem Kopf der Zahlencomputer – woher sollte sie das Geld für die kostspielige Reparatur nehmen? Gestern erst hatte sie den Handwerker für die Arbeiten am Dach bezahlt, abgestottert von ihrem bescheidenen Einkommen.
Verdammt, es war die wärmste Zeit des Jahres, warum musste gerade jetzt die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses vom Regen aufgedeckt werden? Konnte es nicht noch ein paar Monate warten, bis es in sich zusammenfiel? Die schlimmsten Befürchtungen malten gedanklich ein Bild ihrer finanziellen Ängste.
Was hatte sie sich dabei gedacht, das nett gemeinte Angebot ihrer Schwester anzunehmen, die für ein Jahr nach Kanada gereist war? Ruth war gerade einen Monat außer Landes und Elina fiel bereits die Decke auf den Kopf, die Einsamkeit hüllte sie ein und hielt sie fest. Niemand war da, um ihr zu helfen. Und jetzt kamen auch noch die Sorgen um das liebe Geld dazu.
Achtzugeben auf das kleine Landhaus in dem romantischen Städtchen Sevenoaks, gelegen in ihrer Heimat England, war die eine Sache, es instand zu halten, die andere. Sie hatte vergessen, daran zu denken, die finanziellen Angelegenheiten vor deren Abreise mit Ruth zu klären.
Ihre Schwester würde für die Arbeiten am Haus selbstverständlich aufkommen, aber sie war in Vancouver und Elina müsste das Fenster vorerst selbst bezahlen, wenn sie einen größeren Wasserschaden verhindern wollte.
Sie begab sich zum Schreibtisch, setzte sich an den Computer und verfasste eine lange E-Mail an ihre Schwester. Was blieb ihr anderes übrig? Sie konnte ihre Chefin nicht um einen Vorschuss bitten, dafür war diese zu korrekt. Bezahlt wurde grundsätzlich, was sie leistete, pünktlich und genau, zu jedem Monatsende. Darauf konnte man sich hundertprozentig verlassen, was in den meisten Fällen ein großer Vorteil war.
Außerdem war es nicht Elinas Art, Geld auszugeben, das sie nicht besaß. Sie hoffte, möglichst schnell eine Lösung für die fällige Reparatur zu finden. Sie drückte auf Senden und kaum fünf Minuten später erhielt sie eine eilig geschriebene Antwort, Ruth arbeitete anscheinend.
Liebe Elina!
Es musste ja so kommen, wie konnte mir nur entfallen, dir einen Notgroschen für solche Fälle dazulassen? Es tut mir leid, verzeihst du mir? Ich überweise dir sofort einen Teil meines Ersparten auf dein Konto. Das Geld, welches dir übrig bleibt, verwende für zukünftige Arbeiten am Haus. Leg es am besten auf ein Sparbuch.
Ich muss wieder an meinem Artikel weiterarbeiten, Abgabe morgen!
Ich vermisse dich.
Bis bald, deine Ruth
Sie machte sich schon wieder unnötig ein schlechtes Gewissen. Genau das wollte Elina eigentlich verhindern. Ruth war wie eine Mutter geworden, seitdem sie nicht mehr da war. Sie fühlte sich für Elina verantwortlich. Bevor sie abreiste, war ihre größte Angst gewesen, dass ihre Schwester nicht auf eigenen Beinen stehen konnte. Elina wollte ihr das Gegenteil beweisen, weshalb es nun so unangenehm für sie war, sie um das Geld zu bitten. Egal, wenigstens war das finanzielle Problem gelöst.
Nachdem sie ein paar Worte des Dankes an ihre Schwester gerichtet hatte, schaltete sie den Laptop aus und trat ans Fenster. Seufzend sah sie nach draußen, dunkelgraue Wolken verdunkelten den Himmel, grau in grau spiegelte sich die Welt in Elinas Augen. Sie vermisste Ruth, ihre Vertraute und Freundin, seit sie denken konnte. Doch sie wollte nun ihren eigenen Weg gehen, lange genug war sie Elinas Mutterersatz gewesen, aber sie brauchte jetzt keinen Aufpasser mehr. Wenn sie doch nur irgendeinen anderen Menschen kennen würde, der ihr Gesellschaft leisten konnte.
Elina verschlang jedes Buch, das sie in die Finger bekam. Fast in ihrer gesamten Freizeit steckte sie die Nase in die fantasievollen Erzählungen der verschiedenen Autoren. Doch sie wusste, die Geschichten in ihren Büchern, in die sie so gerne flüchtete, waren nicht real. Sie träumte sich in die Figuren hinein, lebte deren Leben, löste ihre Probleme und genoss das Happy End in vollen Zügen. Sobald sie ein Buch weglegte, musste sie sich wohl oder übel der Wirklichkeit stellen, auch wenn es ihr gar nicht gefiel, in das triste Hier und Jetzt zurückzukehren. Kein Prinz wartete auf sie, um sie zu retten. Während sich bei Elina das Gedankenkarussell unaufhörlich weiterdrehte, vernahm sie ein ohrenbetäubendes, lautes Geräusch – direkt vor ihren Augen breitete sich ein gleißendes Licht im Garten aus. Geblendet wendete sie sich reflexartig ab. Vor Schreck taumelte sie, der Stuhl, an dem sie Halt suchte, fiel zu Boden. Elina verlor das Gleichgewicht und krachte mit dem Kopf an den massiven Nussholztisch, an dem sie vor wenigen Augenblicken noch gelesen und mithilfe des Laptops E-Mails geschrieben hatte. Das Dröhnen des Aufschlags war abscheulich. Dunkelheit nebelte sie ein, bewusstlos lag sie am Boden.
„Elina, steh auf und geh in den Garten!“
Sie blinzelte, schaute sich verstört im Raum um. „Wo bin ich? Wer hat mit mir gesprochen?“, kam es ihr in den Sinn.
Sie schüttelte den schmerzenden Kopf, um wieder klar denken zu können. Das war keine gute Idee, das Brennen kehrte mit einem Schlag zurück. Im ersten Moment wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, warum sie hingefallen war. Außerdem war da noch etwas, das für einen Augenblick vernebelt in ihren Gedanken herumschwirrte. Versuchte da nicht jemand, ihr etwas mitzuteilen? Aber es war niemand hier. War es nur Einbildung gewesen?
Erst jetzt bemerkte Elina die Beule an ihrem Kopf, von der dieses schmerzhafte Pochen