7 Engel. Karin Waldl

7 Engel - Karin Waldl


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die für ihren Aberglauben ausgelacht wurden. Hätte ihr jemand anderes die Geschichte von Malak erzählt, Elina müsste sich wegdrehen, um ihr Schmunzeln zu verbergen. Sie würde sich im Stillen halb kaputtlachen. Für solchen Humbug hatte sie noch nie etwas übrig gehabt. Dazu fiel ihr nur eines ein: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Doch etwas Unbehagen blieb, sie sehnte sich dieses überirdische Gefühl der Liebe, das sie gestern in Malaks Beisein empfunden hatte, erneut herbei. Es kribbelte auf seltsame Art und Weise auf Elinas Haut. Dies erinnerte sie an die wohlige Wärme, die sie verspürte, wenn sie mit Mama oder Papa kuschelte, damals vor so langer Zeit. Dieses schöne, überwältigende Bewusstsein, absolut geliebt zu werden, fehlte ihr sehr. Der Engel hatte das schmerzliche Verlangen nach ihren Eltern wieder geschürt.

      Elina war die Einsamkeit gewöhnt, dennoch hatte sie in den letzten Jahren mehrfach versucht auszubrechen. Sie träumte davon, richtige Freunde zu haben, vielleicht sogar eine Partnerschaft einzugehen. Allzu oft wurde sie nach solch einem Tagtraum abrupt in die Realität zurückgeholt, was ihre Sehnsucht nach Gesellschaft aber nicht schmälerte. Ja, das war es. Sie brauchte jemanden zum Reden, eine Person aus Fleisch und Blut. Vielleicht müsste sie sich nur etwas anstrengen, einmal ausgehen, um endlich richtige Freunde zu finden.

      Als Elina angezogen war – sie trug ein dottergelbes schlichtes Kleid mit spitzenbesetztem Ausschnitt, der nicht zu viel hervorblitzen ließ – , schminkte sie sich eilig, um ihre Augenränder abzudecken. Im Anschluss gönnte sie sich eine Tasse Kaffee und einen Toast mit Marmelade zum Frühstück. Sie war daran gewöhnt, in der Küche im Stehen an der Arbeitsplatte zu essen. Dort fand sie es erträglicher, ohne ein Gegenüber die Mahlzeiten einzunehmen. Der Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass heute ein sommerlich warmer Augusttag vor ihr lag, die Nachwirkungen des Gewitters waren nicht mehr zu spüren.

      Nachdem sie die Tageszeitung überflogen hatte, begab sie sich auf ihrem Fahrrad zur Arbeit, ein kleiner, aber feiner Frisiersalon für gut betuchte Frauen im malerischen Sevenoaks. Die Sonne und der Fahrtwind schienen ihre Lebensgeister neu zu wecken. Sie liebte diese Stadt, hier hatte sie, gemeinsam mit Ruth, ihre Heimat gefunden.

      Elina beobachtete gerne die Menschen in der Innenstadt, wie sie geschäftig durch die Straßen liefen, an den Schaufenstern vorbeibummelten oder entspannt im Kaffeehaus saßen. Mütter waren mit ihren Kindern unterwegs und Väter kauften den Kleinen ein Eis. Nicht zu vergessen die alten Menschen, denen Elina besonders gerne beim Schachspielen und Zeitunglesen zuschaute. Die Einwohner von Sevenoaks waren so vielfältig wie die Stadt selbst.

      Elina träumte davon, sich einfach an einem Kaffeetisch oder auf einer Parkbank neben sie zu setzen und sich am Gespräch zu beteiligen. Sie wüsste gerne mehr von diesen Menschen, sie wollte ihren Geschichten über ihre Hoffnungen, Ängste und Träume lauschen. Aber das traute sie sich nicht, so blieb ihr nichts anderes übrig, als ihnen aus der Ferne zuzuschauen.

      Elina bog in die Straße ein, in der sich ihre Arbeitsstelle befand und die von Boutiquen und erlesenen Gastronomiebetrieben gesäumt war, ein Paradies für die reichen Bewohner von Sevenoaks. Auch Touristen verirrten sich gerne hierher, schon alleine wegen der aufwendigen Architektur der Gebäude und dem wunderschönen Blumenschmuck, den die Gemeinde in der warmen Jahreszeit stets anbringen ließ. Da gehörte natürlich auch ein anständiger Frisiersalon dazu, in dem sich die schönheitsbewussten Damen verwöhnen lassen konnten.

      Elina übte ihren Beruf mit Begeisterung aus, hatte sie doch bereits von Kindesbeinen an die Gabe, typgerechte Frisuren zu zaubern. Von allen Seiten war ihr nahegelegt worden, ihr Talent zum Beruf zu machen, was trotz finanzieller Entbehrungen erstaunlich gut geglückt war. Ihre vier Jahre ältere Schwester Ruth unterstützte sie in jeder Hinsicht und die beiden hatten mehrfach auf eine Mahlzeit verzichtet, um Elinas Zukunft zu sichern.

      Doch einen faden Beigeschmack brachte ihre Arbeit mit sich. Elina bewegte sich hier in einer Welt von Belanglosigkeiten und oberflächlichem Gehabe. Meist drehten sich die Gespräche mit den durchaus höflichen Kundinnen um Schönheit, Reichtum und das Wetter. Tiefe, ehrliche Gespräche ergaben sich eigentlich nie, auch nicht, wenn Elina die Kundin schon mehrere Jahre kannte. Sie wurde von ihrer Chefin angehalten, nie aus dem herkömmlichen Smalltalk auszubrechen, um die Würde der reichen Frauen zu wahren.

      Elina stellte ihr Fahrrad in die Seitenstraße neben ihrem Arbeitsplatz und steuerte zielstrebig den Salon mit dem Namen Cabello an. Ihre Chefin Savina Cabello räumte hinter dem Tresen Haarpflegeprodukte in die Regale ein.

      Savina, die ursprünglich aus Spanien stammte, war groß, schlank und wirkte durch ihren muskulösen Körperbau etwas männlich, was sie mit ihren langen, gepflegten tiefschwarzen Haaren zu kompensieren versuchte. Doch ihr Gesicht war schön, auch wenn man ihr die fortschreitenden Jahre anhand kleiner Fältchen anmerkte.

      Sie war eine gerechte und geschickte Arbeitgeberin, die sehr darauf bedacht war, Privates und Berufliches zu trennen. Letzteres verlangte sie auch von ihrer einzigen Mitarbeiterin Elina. Das erklärte, warum zwischen den beiden nie eine freundschaftliche Beziehung entstanden war. Was das Verhältnis der beiden Frauen ausmachte, war gegenseitiger Respekt.

      „Elina, gut, dass du da bist. Du musst heute den Laden für zwei Stunden alleine führen. Ich wurde zu Frau Avaritia Helga beordert. Du weißt doch, die betagte Dame, die gehbehindert ist“, erklärte Savina mit dem spanischen Akzent, der sie so besonders machte.

      Elina antwortete höflich, sie betreue gerne den Salon, während ihre Chefin abwesend sei. Diese lächelte und verließ nach ein paar Arbeitsanweisungen den Laden.

      Den Besen in der Hand verweilten Elinas Gedanken schon wieder bei Malak, dem schönen Engel. Doch als die Tür sich öffnete, wischte sie die Erinnerungen bewusst beiseite und ärgerte sich, ihren Entschluss, das merkwürdige Erlebnis zu vergessen, schon so bald missachtet zu haben. Sie sah zum Eingang und vor ihr stand ein Mann mit dunklen Haaren und braunen Samtaugen. Seine Muskeln zeichneten sich unter dem hellblauen Hemd, das er an den Ärmeln aufgekrempelt hatte, deutlich ab. Elina hätte längst Worte der Begrüßung über ihre Lippen bringen sollen, aber irgendetwas, was sie nicht benennen konnte, verschlug ihr die Sprache.

      „Entschuldigung, ich bräuchte dringend einen Haarschnitt, könnten Sie mich gleich drannehmen?“, fragte der Fremde.

      Elina, die noch immer versuchte, die richtigen Worte zu einem Satz zusammenzusetzen, schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, dies ist ein Frisiersalon für Damen“, brachte sie schließlich hevor.

      „Ich hab einen durchaus wichtigen Termin und möchte dort nicht so ungepflegt erscheinen, könnten Sie nicht eine Ausnahme machen?“, fragte er mit zuckersüßer Stimme. Sein Blick schweifte über den menschenleeren Salon. Elina hatte ihre erste Kundin tatsächlich erst in einer halben Stunde, also wies sie den jungen Herrn zu einem der Waschbecken. Hoffentlich blieb ihre Chefin lange genug weg, um Elinas Abweichung vom Konzept nicht zu bemerken.

      „Herzlichen Dank, Sie stehen in meiner Schuld, ich werde mich revanchieren“, sprach der Kunde mit einem schüchternen Lächeln und einem Glitzern in den Augen.

      „Ich muss Sie aber warnen, ich hab seit mehreren Jahren keinem Mann die Haare geschnitten“, bemerkte Elina mit Nachdruck.

      „Dann wird es wohl wieder einmal Zeit, damit Sie nicht aus der Übung kommen“, gab er frech zurück.

      Elina war entsetzt, aber die merkwürdige Vertrautheit in der Stimme dieses Mannes schmeichelte ihr.

      Ihre Reaktion blieb nicht unbemerkt, wobei er ihr Entsetzen falsch beurteilte. „Tut mir leid, ich wollte Ihr Talent nicht schmälern.“

      „Oh ...“ Elina rang sich eine Antwort ab. „Ich war nur erstaunt, dass ich bei Ihnen das Gefühl habe, Sie ewig zu kennen.“ Nach einer kurzen Pause setzte sie beschämt hinzu: „Eigentlich sollte ich so etwas nicht zu meinen Kunden sagen.“

      Während Elina die dichten dunklen Haare mit Wasser und Shampoo wusch, erwiderte er: „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber irgendetwas an Ihnen fasziniert mich. Ich heiße übrigens Laurenz, Laurenz Winter.“

      Sie trocknete seine Haare und bat ihn, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als sie die Schere in die Hand nahm,


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