7 Engel. Karin Waldl
wollte sie wissen.
Laurenz deutete wortlos auf das Handschuhfach seines Autos, die andere Hand ruhte betont lässig auf dem Lenkrad. Elina fand eine Mappe, deren Inhalt eine Beschreibung der Immobilie mit Fotos war. Plötzlich musste sie schmunzeln. „Wissen Sie, dass dieses Haus in meiner direkten Nachbarschaft steht?“
„Sie haben Nachbarn? Ihr Haus steht doch mitten im Nirgendwo!“
„Haben Sie nicht die Bäume bemerkt, die mein Grundstück im Osten abgrenzen?“
Laurenz nickte. „Doch, die habe ich gesehen.“
„Dahinter ist eine Böschung und unterhalb steht dieses beeindruckende Anwesen“, erklärte Elina und deutete mit ausladenden Handbewegungen auf die Fotos.
„Na, dann werden wir Nachbarn, zumindest für die nächsten paar Tage.“
„So könnte man das nennen, Herr Nachbar“, lachte Elina laut auf.
Laurenz wirkte auf einmal sehr still, irgendetwas wollte er ihr sagen. Es schien, als wäre er in Gedanken.
„Darf ich Sie um etwas bitten?“ Er schmierte ihr Honig um den Mund mit seiner zuckersüßen Stimme.
„Natürlich.“ Elina war sichtlich nervös.
„Sag bitte Du zu mir. Ich finde es persönlicher.“
„Mir ist es auch lieber, es kommt mir jetzt schon so vor, als wären wir seit Ewigkeiten Freunde.“
Sie hatte sich schon lange nicht mehr so frei gefühlt in der Gegenwart einer anderen Person. Es war so unbeschwert und leicht, mit ihm eine Unterhaltung zu führen. Dankbar lehnte sie sich zurück und genoss den Rest der Autofahrt.
Im Restaurant The Swan angekommen, führte sie Laurenz in den mit Rosen umsäumten Gastgarten. Er rückte ihr den Stuhl zurecht und orderte ein hervorragendes Menü, das für Elinas Geldbeutel eindeutig zu teuer gewesen wäre. Sie kannte dieses Gasthaus vom Hörensagen, schwärmten ihre Kundinnen doch regelmäßig von den exzellenten, ausgefallenen Speisen, die hier angeboten wurden. Nie hätte sie damit gerechnet, selbst in den Genuss dieser Gaumenfreuden zu kommen.
Doch sie war hier, gemeinsam mit Laurenz, und erfreute sich an dem Dinner und dem köstlichen Wein. Sie versuchte, das starke Empfinden hier nicht hinzugehören, so gut es ging, zu ignorieren. Ein Job in der Küche oder als Kellnerin wäre eher ein geeigneter Platz für sie gewesen. Unter normalen Umständen wäre ihr diese exquisite Umgebung noch unangenehmer gewesen, aber Laurenz schien sich auf gewöhntem Terrain zu bewegen und zog sie ein Stück weit mit hinein in das Flair dieses noblen Restaurants.
Sie gestand dem schönen Mann, der ihr gegenübersaß, dass das Haus, in dem sie wohnte, das Eigentum ihrer Schwester sei und dass sie bis vor Kurzem in einer Einzimmerwohnung in der Nähe des Frisiersalons gewohnt hätte. Sie habe aber die Enge nicht mehr ausgehalten und deshalb das Angebot dankbar angenommen, ein Jahr das Häuschen mit dem Garten zu hüten, während ihre Schwester in Vancouver als Reporterin für eine Tageszeitung arbeitete. Ruth hätte einen Tapetenwechsel gebraucht, sie wollte Elina überreden mitzukommen, aber ihre Schwester mochte ihre Arbeit als Friseurin hier. Außerdem wäre der Wunsch, ins Ausland zu reisen, nicht der ihre, sondern Ruths.
Elina erzählte oberflächlich von ihrer Kindheit, in der sie und Ruth sich alleine durchboxen mussten, bis sie beide beruflich Fuß gefasst hatten. Sie waren stolz darauf, ein geregeltes Einkommen zu haben, was vieles in ihrem Leben erleichterte.
Laurenz hörte gespannt zu, nippte an seinem Weinglas und stocherte mit der Gabel in seinem Dessert herum. Er erkundigte sich vorsichtig nach den Eltern der beiden Mädchen. Elina traten die Tränen in die Augen, nein, sie konnte und wollte nicht über ihre Mutter und ihren Vater sprechen, nicht jetzt.
Laurenz legte verständnisvoll die Hand auf ihre Schulter, was in Elina einen weiteren Gefühlsschwall hervorrief, seine Hand auf ihrer Haut war Balsam für die Seele. Einfühlsam winkte er dem Kellner zum Bezahlen. Sie ärgerte sich, dass ihr Geheule den Abend so abrupt enden ließ. Laurenz war ein Gentleman und brachte sie umgehend zum Wagen. Auf der Fahrt zurück bedankte er sich abermals für seinen Haarschnitt am Morgen.
„So, das war es. Jetzt weiß er, dass ich eine dumme Gans bin. Ab jetzt wird er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“, dachte Elina bei sich.
Warum hatte sie Laurenz nicht ermutigt, von seinem Leben zu sprechen, während sie interessiert genickt hätte? Vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Angestrengt überlegte sie, wie sie das wieder in Ordnung bringen konnte. Hatte sie noch eine Chance? Konnte sich das Blatt noch zu ihren Gunsten wenden? Vielleicht war sie einfach nicht für Beziehungen jeglicher Art geschaffen ...
Zu Hause angekommen hielt Laurenz Elina die Tür seines Sportwagens auf und geleitete sie zum Eingang. Er hob seine Hand. „Darf ich?“ Sie nickte und schloss kurz die Augen. Er strich ihr vorsichtig über die Wange, sodass Elinas Knie abermals weich wurden. Sie war verwundert, hatte sie doch nicht alles vermasselt? Sie badete in seinen dunklen Samtaugen. „Ich möchte dich morgen gerne wiedersehen, am liebsten gleich in der Früh, damit wir den Tag nutzen können. Bist du einverstanden?“
Elina hätte am liebsten laut „Ja!“ geschrien, begnügte sich aber mit einem begeisterten Lächeln. Irgendetwas hatte sie wohl doch richtig gemacht, innerlich führte sie einen Stepptanz auf.
Sie verabredeten sich für den nächsten Tag zum Brunch bei Elina. Gott sei Dank musste sie diesen Freitag nicht arbeiten. Ihre Chefin Savina Cabello gönnte sich ein verlängertes Wochenende, um zu verreisen. Erst am Dienstag musste Elina wieder bei der Arbeit erscheinen, sie freute sich innerlich über diese Fügung. So konnte sie mehr Zeit mit Laurenz verbringen, nur in seiner Nähe zu sein, reichte ihr schon aus. Endlich jemanden zum Reden zu haben, wenn auch nur vorübergehend, war das schönste Gefühl auf Erden.
Der kleine Kuss, den er zum Abschied auf Elinas Stirn drückte, ließ ihr endgültig die Röte ins Gesicht steigen.
Zärtlich flüsterte er ihr noch ein „Auf Wiedersehen!“ zu.
Sie wandte sich beschämt ab, um die Tür aufzusperren. Damit hatte sie wahrlich nicht gerechnet, Laurenz Winter wollte sie wiedersehen und küsste sie flüchtig. Heute war Elinas Glückstag. In ihr brach ein weiteres Jubelgeschrei los.
Nicht einmal, als sie das Auto wegfahren hörte, traute sie sich, einen Blick zurückzuwerfen. Plötzlich keimten in ihr Selbstzweifel auf und verstummten den restlichen Abend über nicht.
„Was denke ich mir bloß dabei, solche Gefühle einem Fremden entgegenzubringen und ihm so viel Nähe zu schenken?“, kam es ihr in den Sinn.
Bevor sie im Bett die Augen schloss, gönnte sie es sich endlich, glücklich zu sein. Alles war so neu, so geheimnisvoll, fast so wie in Elinas Büchern. Oder wie in einem ihrer romantischen Filme, die sie ab und zu anschaute, um die Zeit totzuschlagen. Nun spielte sie die Hauptrolle in einem dieser Streifen. Es war nicht nötig, sich unbegründete Sorgen zu machen. Das Schicksal meinte es endlich einmal gut mit ihr. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Erinnerung an seine dichten dunklen Haare unter ihrer Schere schlief sie zufrieden ein.
Unbewusst war es der jungen Frau gelungen, an diesem Abend nicht an Malak und sein ungewöhnliches Erscheinen am Vortag zu denken.
*
Kapitel 4
Elina fuhr schweißgebadet aus einem Traum in die Höhe. Ihr Herz raste, schwer atmend schnappte sie nach Luft. Ihr Nacken war verspannt, sie musste sich aufsetzen. Sie ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Das kühle Nass rann wohltuend ihre Kehle hinunter. Verschwommen versuchte sie sich zu erinnern, was sie so aufgeregt hatte, dabei massierte sie ihre schmerzenden Schultern und ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen zu lösen.
Langsam kamen ihr die Szenen des Traumes wieder in den Sinn. Sie hatte sieben Engel gesehen, deren Anführer eindeutig Malak war und die eine Botschaft für Elina hatten. Wenn sie nur wüsste,