7 Engel. Karin Waldl
Unrechtes getan, außer sich zu sehr der Nähe dieses Mannes, dessen Anblick ihr jedes Mal ein Kribbeln im Bauch bescherte, hingegeben zu haben.
„Du gehst zu weit, Elina!“ Malak stand mitten im Raum, in gleißendes Licht gehüllt. „Gott hat Wichtiges mit dir vor!“
Elina schrie vor Schreck auf und der Engel, der gerade noch vor ihr gestanden hatte, war verschwunden. Laurenz fuhr aus dem Schlaf hoch und nahm sie verwirrt in den Arm, sie schluchzte. Ganz eng kuschelte sie sich an ihn. Was meinte Malak nur damit, dass sie zu weit ging? Sie konnte sich nur vorstellen, dass sie Laurenz zu nah an sich heranließ, aber was sollte falsch daran sein? Ihr war so viel Leid in ihrem Leben widerfahren, dagegen war es unbeschreiblich schön, in Laurenz’ Armen zu liegen. Abermals stieg Ärger über sich selbst in ihr hoch, den Engel erneut nicht bis zum Ende angehört zu haben. Musste sie so schreckhaft sein?
„Elina, ich habe dich sehr gerne!“, unterbrach Laurenz ihre Gedanken und küsste sie fester als bisher auf den Mund.
Seine Hand grub sich in ihren Nacken, während sein Kuss fordernder wurde. Elina keuchte und schob ihn sanft von sich. Verunsichert vom Erscheinen des Himmelsboten schaute sie den Mann in ihrem Bett fragend an. Sein Blick verriet ihr, dass er ihre Reaktion in keiner Weise verstand. Aber wie sollte er auch?
„Entschuldigung, ich ...“, stammelte Laurenz.
„Ich hab dich auch sehr gerne“, erwiderte Elina, „aber ich kann meine Gefühle nicht richtig einordnen.“ Schnell verschwand sie im Bad und ließ ihn enttäuscht zurück.
Elina kochte gerade Kaffee, als Laurenz mit nass glänzenden Haaren, nur in ein Handtuch gehüllt, in der Tür erschien. Sie hätte am liebsten erneut aufgeschrien, denn sein Anblick entfachte ein Feuer in ihr, das sie selbst nicht zu löschen vermochte. Sein muskulöser Oberkörper war wie aus Porzellan gemeißelt.
„Elina, du gehst zu weit!“, ertönte die glockenhelle Engelsstimme in ihrem Kopf.
Beschämt schaute sie auf die Kaffeekanne.
„Elina, du weißt, dass ich morgen abreisen muss. Ich werde mein Leben in Los Angeles fortsetzen und nur ganz selten hier in der Nähe sein. Ich kann dir ein Leben an meiner Seite in Hollywood anbieten, auch wenn ich weiß, dass eine so besondere Frau wie du in dieser oberflächlichen Filmwelt sehr schwer einen Platz finden wird. Ich möchte dich nicht abschrecken, ich möchte nur ehrlich zu dir sein.“
Elina legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Lass gut sein, mein Platz ist hier, nicht in Amerika oder sonst wo. Ich mag mein bescheidenes Leben, ich habe schließlich hart dafür gearbeitet, außerdem kommt Ruth irgendwann wieder und dann möchte ich da sein.“
Laurenz küsste sie auf die Stirn. „Elina, ich dachte, wir könnten noch ... ich ...“ Plötzlich verließ ihn der Mut.
Stattdessen näherte er sich ihr vorsichtig und küsste sie genauso drängend wie zuvor, strich ihr zärtlich über den Hals, die Schultern, den Rücken, massierte sanft ihre Brust. Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, behutsam legte er sie auf das Bett und diesmal gab Elina sich ihrem Verlangen hin, versank mit ihm in einem Feuerwerk der Lust.
„Du gehst zu weit, Elina!“, kreiste der Gedanke in ihrem Kopf.
Warum konnte sie Laurenz’ Umarmung nicht genießen? Sie spürte noch immer seine Leidenschaft, mit der er sie geliebt hatte, doch es plagten sie Schuldgefühle. Elina wurde nicht schlau daraus. Sie wusste, dass Ruth das hier niemals gutheißen würde, für ihre Schwester gehörten Sex und Ehe zusammen. Aber Ruth konnte nicht fühlen, was Elina gerade empfand, sie war noch nie so glücklich gewesen. Laurenz schmiegte sein Gesicht an ihren Hals, seine Nähe machte sie verrückt.
„Ich muss meine Sachen packen und alles für den Abflug morgen früh vorbereiten. Wenn du möchtest, würde ich gerne den Rest des Tages mit dir verbringen?“
Elina nickte. „Ich begleite dich!“
„Oh, eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten, damit ich schneller wieder ganz und gar bei dir sein kann. Könntest du meinen Termin in dreißig Minuten mit dem Hauspersonal übernehmen?“
„Am Sonntag?“, fragte Elina ungläubig.
„Es geht nur um die Verlängerung des Vertrages von John und Sue Smith. Es ist alles vorbereitet, sie haben die Papiere bereits erhalten. Ich habe mit ihnen telefoniert und sie sind überglücklich, ihre Arbeit behalten zu können, und dankbar für die Gehaltserhöhung. Sie wollen beide zustimmen, es fehlt nur noch ihre Unterschrift. Wir treffen uns in, sagen wir, einer Stunde beim Haus?“
Elina stimmte zähneknirschend zu, wollte sie doch keine Sekunde der verbleibenden Zeit mit Laurenz verpassen. Ein kleines Loch fraß sich in ihr Herz und ließ sie ahnen, dass sie doch zu weit gegangen war.
*
Kapitel 6
Elina verabschiedete sich vom Hauspersonal, dem Ehepaar Smith. Die beiden waren sehr freundlich. Warum war sie ihnen vorher nie begegnet? Sie wohnten direkt neben der Backsteinvilla in einem Personalhäuschen, das genau auf der gegenüberliegenden Seite von Ruths Heim stand. Elina war bis jetzt entgangen, dass dieses Gebäude überhaupt bewohnt war, aber sie hatte sich auch nie gefragt, wem das gesamte Anwesen gehörte, geschweige denn wer es bewirtschaftete.
John und Sue erzählten ihr, der Vorbesitzer Mr Cobbler wäre im Alter von zweiundachtzig Jahren verstorben. Der rüstige alte Mann war vor etwa drei Monaten einem Herzversagen erlegen. In seinem Testament habe er verfügt, die Smiths weitere sechs Monate zu bezahlen, damit sie sich einen anderen Job suchen konnten, falls der Hauskäufer keinen Bedarf an Personal hatte. Aber sie liebten ihre Arbeit und waren nun dankbar, bleiben zu können.
Vor der Tür traute sie ihren Augen kaum. Da stand eine Kutsche, vor die eine stattliche Shire Horse Stute gespannt war. Das edle Tier wirkte ruhig und entspannt. Auf dem Kutschbock saß Laurenz, bekleidet mit einer weißen eleganten Hose und einem tiefblauen Poloshirt. Mit seinen dunklen Haaren sah er unverschämt gut aus. Elina lief so gar nicht damenhaft auf ihn zu.
„Madame“, grinste er freudestrahlend. In gehobener, veralteter Sprache fuhr er fort: „Würden Sie mir die Ehre erweisen? Ich bitte Sie höflichst einzusteigen.“
Seine betont strenge und hochnäsige Miene ließ Elina laut auflachen, er konnte so komisch sein.
Sie schwang sich elegant auf den Kutschbock und setzte sich neben Laurenz, der ihr die Zügel reichte. Sie nahm sie schweigend entgegen und grinste in sich hinein wegen seines Versuchs, sie zu verunsichern.
Sie lenkte die Kutsche gekonnt durch den Park, was ihren Kavalier in Staunen, gepaart mit Bewunderung, versetzte. „Woher kannst du das? Ich wollte dich eigentlich nur necken. Damit habe ich nicht gerechnet.“
„Oh, ich habe früher auf einem Gestüt Kutschfahrten für Kinder begleitet und mir so am Wochenende etwas Geld dazuverdient. Ich glaube, da war ich so vierzehn Jahre alt.“
Laurenz sah traurig zu Boden. „Elina, es gibt so viel, das ich nicht von dir weiß. Ich würde so gerne noch mehr von dir erfahren.“
„Du könntest mir E-Mails schreiben, wenn du wieder zu Hause bist“, schlug sie vor.
„Ja, zumindest das könnten wir tun, um in Kontakt zu bleiben“, flüsterte Laurenz ihr ins Ohr und küsste ihren Hals.
Eine warme Sommerbrise wehte ihnen ins Gesicht, die malerische Landschaft flog an ihnen vorbei, der Moment war perfekt. Elina schwebte über den Wolken, weit weg vom Boden der Tatsachen, der sie nur allzu bald einholen sollte.
Nach der romantischen Kutschfahrt in der wunderschönen Umgebung von Sevenoaks dirigierte Laurenz Elina erneut zur Weide am Teich, süße Erinnerungen an den vorletzten Abend machten sich in ihrem Kopf breit.
Die Ankunft bei der Backsteinvilla ließ sie davon träumen, hier mit Laurenz an ihrer Seite zu leben. Sie würden mit ihren Kindern