Die letzte Rolle. Norbert Peter

Die letzte Rolle - Norbert Peter


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42 der Isolation, 26. April 2020

       Tag 43 der Isolation, 27. April 2020

       Tag 44 der Isolation, 28. April 2020

       Tag 45 der Isolation, 29. April 2020

       Tag 46 der Isolation, 30. April 2020

       Tag 1 nach der Isolation, 1. Mai 2020

       NACHWORT UND DANKE

       Über den Autor

       „We have it totally under control.

       It’s one person coming in from China, and we

       have it under control. It’s gonna be just fine.“

       „One day, it’s like a miracle, it will disappear.“

      Donald Trump, US-Präsident

       VORWORT

      In einer Zeit, in der der Schatten einer Pandemie über dem Globus liegt, gibt uns das Tagebuch der 81-jährigen Wienerin, die den Lockdown in ihrer Kabinettwohnung verbracht hat, ein Gefühl dafür, was den einfachen Menschen wirklich beschäftigt. Mit Schirm, Charme und Humor führt uns Frau Amalie Kratochwill durch ihre Welt zwischen Corona-Ängsten, Ausgangsbeschränkungen, Balkonkonzerten und dem Kampf um die letzte Rolle Klopapier. Ihre sehr persönlichen Zeilen zeigen, dass in solchen Zeiten auch Platz für sensible Betrachtungen sein kann. In der Isolation erinnert sie sich an eine lange zurückliegende Reise nach Venedig, aber auch an Besuche in die Konditorei oder auf den Friedhof.

      Sie entwirft Pläne für neue Kochbücher und Konzepte zur Selbstverteidigung, und sie spricht über die zwischenmenschlichen Beziehungen im Gemeindebau, die Aufmerksamkeit mancher Mitbewohnerinnen, die Traurigkeit Einzelner sowie die überbordende Bereitschaft, sich am Leben der anderen zu beteiligen – ob diese nun wollen oder nicht. Eigentlich wollte sie ja mit dem Schreiben nur ihre Gedanken ordnen, um sich in der neuen Situation mit dem Coronavirus zurechtzufinden (der bei ihr durch Lautverschiebung und schlampiges Zuhören zum Karonavirus mutiert), und jemanden zu haben, der ihr geduldig zuhört – in der Einsamkeit der Pandemie des Jahres 2020 …

       Tag 1 der Isolation, 16. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      du wirst es nicht glauben: Es ist so weit! Lockdown! Wegen dem Karona sollen wir uns zu Hause einsperren.

      Wenn das Mode macht! Ich stelle mir schon vor, wie Wissenschaftler uns erklären werden, dass man mit strenger Isolation auch die Grippe besiegen kann. Und den Schnupfen. Und den Klimawandel. Hausarrest bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Ich denke, in zwei, vielleicht drei Wochen ist das ausgestanden. Dann kann ich meine Kabinettwohnung wieder verlassen.

      Hausarrest habe ich das letzte Mal als Teenager gehabt. Zum Beispiel wenn ich von den Tanz-Nachmittagen erst nach 18 Uhr nach Hause gekommen bin und zu viel von meinen Knöcheln hergezeigt habe: Rock zu kurz, Rock’n Roll zu lang. Damals habe ich mit dem Tagebuchschreiben angefangen.

      Eine Gemeinsamkeit, ein kleines verbindendes Etwas mit damals gibt es übrigens: Wir haben damals auch kein Klopapier gehabt und Tageszeitungen für den Abschluss des großen Geschäfts missbraucht. Auf der Toilette ist damals eine ganze Palette an Tageszeitungen gelegen – von der Volksstimme bis zur Arbeiter Zeitung: Zuerst lesen und dann gleich – recyceln!

      Und so finde ich mich wieder auf der Jagd nach dem sanften Après-Schit im Wettstreit mit all den anderen, die sich so auf einen würdigen Abschluss des Klogangs fixieren, möglichst auf Monate garantiert und mehrlagig abgesichert. Gleich in der Früh schleiche ich mich zum Billa um einzukaufen, weil das die Vereinbarung ist: Die Supermärkte bleiben offen, und zwischen acht und neun Uhr sollen vor allem die Risikogruppen unbehelligt einkaufen können, also die Pensionisten und die Vorerkrankten. Wobei „vorerkrankt“ ist man schnell einmal: Haben Sie Diabetes? Haben Sie schon einmal einen Herzinfarkt gehabt? – Gratuliere! Vorerkrankt! Als täte so eine Vorerkrankung nicht reichen, muss man sich jetzt auch noch mit der panischen Angst vor dem Virus auseinandersetzen.

      Die gute Nachricht: Es gibt zwar noch immer kein Klopapier, dafür aber die Kronen Zeitung. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich seit zwei Tagen Österreich verwende – das ist doch eine zu grausliche Aussicht für unsere Heimat.

      Die nicht so gute Nachricht: Das Toastbrot ist aus. Kommt aber angeblich wieder. Toastbrot esse ich so gern – wenn ich nichts Besseres finde. Ich muss also woanders zu meinem Frühstück kommen. Das geht schon seit Tagen so.

      Freitag war der letzte Tag, an dem die Kaffeehäuser noch offen gehabt haben, aber nur bis maximal drei Uhr. Also bin ich zu unserem Bäcker unten am Eck. Ich bin rein, kein Tisch frei. Ich geh’ zu meinem Stammtisch. Auf der einen Seite das Fenster – ich schätze den Ausblick auf das Treiben der Menschen auf der Straße –, auf der anderen Seite die Toilette. Ich schätze den Ausblick – auf einen kurzen Weg, wenn ich dringend muss. Vor allem weil das eines jener stillen Örtchen ist, wo noch der totale Luxus herrscht: Klopapier zum Abwinken, sanft und perforiert zu verwenden. Allerdings braucht man dort nicht daran zu denken, etwas davon „mitgehen“ zu lassen: Einer der Mitarbeiter ist als Security abkommandiert und hat alle nach der Häusltür „durchgesackelt“, also durchsucht, mit Taschen ausleeren und unter den Mantel schauen, auch bei älteren Menschen! Das weiß ich natürlich nur von einer guten Freundin, der das widerfahren ist …

      An meinem Stammtisch ist ein junges Paar gesessen. Die waren keine sechzig. Neben sich den Einkauf vom Billa. Drei Sackerl voll mit Toastbrot. Sie haben offensichtlich gerade erst mit dem Frühstück begonnen: ein großes Glas mit hellbraunem Kaffee und eine Kanne Tee, dazu ein Körberl mit Semmeln und Kipferln, dann zwei Glaserln mit Marmelade, eine rot, eine orange, eine Pfanne mit Eierspeise, dazwischen bunte Fleckerln, vielleicht Schinken und Paprika.

      Ich hab’ sie angeschaut, sie haben mich angeschaut. Ich hab’ mich in ihre Richtung geräuspert, halt schon ein bisserl kräftiger. Man hätte es auch als Husten auffassen können, was sie auch getan haben. Eine Minute später ist der Tisch frei gewesen, ich habe mich bei den Semmeln bedient und die Eierspeise verputzt. Der Kaffee hat ganz gut geschmeckt, wenn man noch drei Löffel Zucker dazugegeben hat. Gratis ist das Frühstück obendrein gewesen!

      Danke, liebes Tagebuch, das hat gutgetan, ich werde dich weiterführen. Auch die Erinnerung an den groben Security in der Bäckerei verblasst langsam.

       Tag 2 der Isolation, 17. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      alle müssen zu Hause bleiben. Unbedingt! Es gibt nur drei Gründe rauszugehen, hat der Bundeskanzler in einem Interview gesagt: erstens um arbeiten zu gehen für den Notbetrieb, also in den Gesundheitseinrichtungen, Apotheken, Supermärkten, bei der Post, Polizei und Feuerwehr, der Bahn und den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Das gilt ferner für Beamte in den Ministerien, Lehrer und Kindergärtner, die den Notbetrieb für Kinder aufrechterhalten und deshalb nicht zu Hause bleiben können. Dann Journalisten, Politiker, Drogeriemitarbeiter und und und … Zweitens bei notwendigen Einkäufen und drittens, um anderen zu helfen, die selbst nicht rausdürfen.

      Bei uns


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