Die letzte Rolle. Norbert Peter
Irgendwo habe ich auch den Blutspende-Ausweis vom Roten Kreuz gefunden. Da habe ich gleich das Wort „Spender“ mit weißer Farbe übermalt und „Mitarbeiter“ hingeschrieben.
Notwendige Einkäufe: Ich mache, seit ich auf der Welt bin, nichts anderes. Ich kaufe ausschließlich Notwendiges. Ob das das Viertelkilo Butter oder das Rätselheft ist. Für alles andere habe ich gar kein Geld.
Und dann ist da noch meine Nachbarin, die Gundi. Für die muss ich sowieso alles erledigen, die ist 95 und hat Diabetes. Wenn mich also ein Polizist anhält, sage ich dem einfach, ich muss für die Gundi Schokolade einkaufen gehen. Und Nudeln. Die sind auch aus. Gibt’s nirgends mehr.
Das Bundeskanzleramt hat nun übrigens gerade verkündet, dass es auch noch einen vierten Grund gibt, das Haus zu verlassen – „um Bewegung im Freien zu machen“. Ja, eh. Was sonst? Ich will ja nirgends anwachsen. Wer jetzt noch zu Hause bleibt, dem ist nicht zu helfen.
Tag 3 der Isolation, 18. März 2020
Liebes Tagebuch,
zu Hause bleiben sollen wir. Und Hände waschen. Und auf keinen Fall anderen Menschen zu nahe kommen oder ihnen gar die Hände schütteln.
Das erinnert mich an meine Jugend: Meine Eltern haben mir verboten, vorehelichen Sex zu haben, damit ich keinen unehelichen Balg bekomme. Darüber hinaus haben sie mir verboten, mit Burschen zu schmusen oder mich unsittlich berühren zu lassen. Ich habe auch nicht mit einem von den jungen Männern ins Kino gehen dürfen, geschweige denn ihn treffen – meine Eltern haben alles mehrfach abgesichert.
Masken haben wir immerhin keine gebraucht, wenn wir rausgegangen sind.
Die Chinesen haben das Karona gehabt. Die Chinesen haben Masken gehabt. Aber wir brauchen keine Masken. Logisch: Ganz normale Masken schützen einen ja eh nicht. Sondern nur die anderen vor einem selber. Vielleicht. Wenn man die Maske ordentlich aufsetzt. Und möglichst flach atmet. Also nicht in hohem Bogen atmet, sonst fliegt das Virus rundherum um das Maulfetzerl. Das gibt’s außerdem nirgends zu kaufen.
Und was ist mit den Masken für das Gesundheitspersonal? Also, für die gibt es schon Masken, die einen auch selber schützen. Die brauchen sie ja auch. Langer Rede, kurzer Sinn: Wir brauchen keine Masken, weil wir auch gar keine haben.
In der Zwischenzeit diskutieren die Wissenschaftler, ob es der Virus oder das Virus heißt, oder die „Kwarantäne“ oder die „Karantäne“. Was täten wir ohne unsere Germanisten? Und apropos Wissenschaftler: Jetzt gibt’s im Fernsehen plötzlich Epidemiologen und Virologen in Dauerschleife, die uns die Welt erklären. Wo kommen die plötzlich alle her? Waren die vorher alle in einem Labor eingeschlossen? Oder sind das Ärzte, denen man den Stempel der Glaubwürdigkeit aufdrucken will? Wenn ja, dann wäre ich noch für Pandemiologen und Covidologen – empfiehlt die Tagebuchologin.
Tag 4 der Isolation, 19. März 2020
Liebes Tagebuch,
ich habe heute einen neuen Zug an mir entdeckt: Ich bin gschamig. Und das kam so: Die Leute kaufen immer noch wie verrückt ein, was sie erwischen, vor allem Klopapier. Und da bin ich schon ein bisserl verzagt. Ich krieg’ seit Tagen kein Klopapier. Jetzt war ich wieder einkaufen. Jetzt tät’s wieder eines geben, aber ich trau’ mich keines verlangen. Siehst du? – Gschamig! Ich will einfach vermeiden, dass die Verkäuferinnen komisch schauen, wenn ich „Klopapier“ sag’. Die rollen dann die Augen, und schauen einen an, als hätte man ihren Hochzeitstag vergessen.
Abgesehen davon war mir der Weg zum Klopapier auch versperrt von zwei Gladiatorinnen mit Rollator, die beide versucht haben, die letzten Familienpackungen auf jeweils ihr eigenes Gefährt zu packen. Dabei hat sich das Plastik einer Verpackung gelöst und ein paar Rollen haben sich auf den Weg gemacht. Eine der Rollen, die unmittelbar in den Infight der Seniorinnen verwickelt gewesen ist, ist dies im wahrsten Sinn des Wortes gewesen – nämlich verwickelt. Wie viel Papier doch auf einer Rolle Platz hat! Man kann damit locker zwei Rollatoren, zwei Einkäuferinnen und eine Verkäuferin einwickeln, und dann bleibt immer noch Papier, um ein Regal mit Katzenfutter umzureißen. Eine Zahnprothese ist am Papier hängen geblieben, zur Hälfte in eine blaue Maske eingewickelt, die wahrscheinlich einer Pflegerin gemopst worden ist – die Maske, nicht die Prothese. Wobei ich nicht ausmachen konnte, wer von den Dreien jetzt zahnloser als vorhin agiert hat – der Mensch ist dem Menschen eine Wölfin.
In meiner Not habe ich nun Küchenrollen gekauft. Jetzt hab’ ich ein Problem. Ich habe mir überlegt, dass man aus einer Küchenrolle zwei Klopapierrollen machen kann. Ich habe zu Hause, weil ich einen modernen Haushalt führe, eine Brotschneidemaschine: Da kriegst keine gescheiten Bandbreiten zusammen, wenn du was runterschneidest. Und jetzt bin ich meine Nachbarin, die Gundi, fragen gegangen, ob sie vielleicht ein gescheites Brotmesser hat. Die ist vielleicht alt, aber nicht dumm. Sofort hat sie gefragt, wofür. Damit ich meine Küchenrollen teilen kann, muss ich zugeben. Sie hat für sich drei durchgeschnittene Rollen ausverhandelt. Ich bin stolz auf sie.
Wir brauchen immer noch keine Masken. Zumindest wenn wir uns die Zeit nicht als Ärzte oder Schwestern im Krankenhaus vertreiben. Die brauchen die Masken dafür umso mehr. Man sagt ja, Österreich und Deutschland trennt die gemeinsame Sprache. Eh schon wissen: Schlagobers versus Schlagsahne, Topfen versus Quark, Semmel versus Brötchen, Frankfurter versus Wiener Würstchen … Nun trennen uns auch die gemeinsamen Masken. Unsere Lieblingsnachbarn stehen nämlich auf der Bremse bei den so dringend bei uns benötigten FFP3-Masken. Die fangen nämlich auch die Aerosole ab, in denen sich wiederum unsere Karonaviren fortbewegen – vielleicht. Weil nichts Genaues weiß man nicht. Bezahlt hätten wir Ösis die Millionen von Masken ja schon. Blöd nur, dass die Piefke einen Exportstopp verhängt haben und die Masken jetzt im Lastwagen an der Grenze hängen. So ein Topfen!
Tag 5 der Isolation, 20. März 2020
Liebes Tagebuch,
ich fühle mich leicht mulmig, muss ich sagen. Da ist das Kratzen im Hals, sind die Wallungen in der Nacht und das Fieberthermometer klettert in meiner Achsel regelmäßig über die magische Zahl 37,0. Und dann der Bericht in der Zeitung, dass es nicht genug Covid-19-Tests im Land gibt.
Liebes Tagebuch, du musst wissen, dass ich in so einem Fall normalerweise schnellstens zu meinem Doktor gehe. Das geht jetzt nicht, denn Ärzte wollen ihre Patienten grad nicht sehen – wegen der Pandemie. Sie könnten sich ja anstecken. Anrufen wäre eine Option, aber in dem Fall geh’ ich gleich zum Profi: Ich wähle die Notrufnummer 144. Dort erkläre ich meine Symptome. Mir wird sofort geholfen: Ich soll bei der AGES anrufen, die haben die Telefonnummer 1450. Die sind spezialisiert auf Fälle wie mich, muss ich mir anhören.
Nach ein paar Versuchen merke ich: Die sind offensichtlich nicht nur auf mich spezialisiert. Aber so schnell gebe ich nicht auf, ich will meinen Covid-19-Test. Nach Stunden in der Warteschleife erkläre ich meine Symptome noch einmal. Dann kommen die Gegenfragen: Ob ich Kontakt mit Karona-Infizierten gehabt habe? Ich verneine und merke, dass das Gespräch in eine falsche Richtung zu laufen beginnt. Nächste Frage: Ob ich in den letzten zwei Wochen in China gewesen bin? Ich verneine wahrheitsgemäß. Wenn die Dame jetzt nicht bald ein Erfolgserlebnis hat, kann ich mir meinen Test abschminken … Sie fragt, ob ich in der Lombardei gewesen bin. Ich frage, warum sie das wissen will. Sie sagt, weil das auf dem Fragebogen steht. Ich frage, ob noch viele Fragen auf dem Fragebogen stehen. Nicht mehr so viele, meint sie. Will sie mich damit beruhigen? Also gehe ich aufs Ganze und sage, dass ich in Mailand einkaufen war. Und dann noch in einem Fußballstadion. Plötzlich Stille. Sie will noch einmal meine Fieberwerte wissen. 45 Grad, sage ich. So knapp vorm Ziel lasse ich mich nicht abwimmeln. „Wir schicken eine Mannschaft, die einen Test bei Ihnen vornehmen wird“, sagt sie. Dabei würden sie in meiner Nase und in meinem Rachen minutenlang herumstierln. Ich solle mich isolieren, niemanden mehr treffen, auch niemanden im selben Haushalt.
Da ist mir der Hansi eingefallen. Schon das Stierln in Mund und Nase hat mir nicht besonders