Die letzte Rolle. Norbert Peter

Die letzte Rolle - Norbert Peter


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den 45 Grad 35. Ich hab’ der Dame noch kurz erklären müssen, dass es sich bei „Meid-Ling“ sicher nicht um eine Stadt in China handelt, sondern um einen Bezirk in Wien. Da hat sie aufgelegt. Ich habe mich zum Hansi gesetzt und mit ihm ein paar Kanari-Vitaminperlen geknabbert.

       Tag 6 der Isolation, 21. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      in Zeiten wie diesen ist es am besten, man geht gar nicht mehr raus.

      Ich sage mir: Amalie, du bist jetzt eine brave Staatsbürgerin und hältst dich an alle Vorgaben der Regierung, das ist jetzt einfach erforderlich. Ich nehme mir also vorbildlich ein gutes Buch, setz’ mich auf das Sofa und lese. Ich bleibe zu Hause mit Doktor Schiwago. Ärzte-Romane habe ich immer schon geliebt. Sie sind einfach geschrieben und voller Leidenschaft!

      Ja, die Ärzte, das sind die wahren Helden! Und die Krankenschwestern! Wie sie alle an und über ihre Grenzen gehen, um zu helfen! Also wahrscheinlich nicht ganz alle. Die Zahnärzte haben grad wahrscheinlich deutlich weniger zu tun als die Kassiererinnen unten im Supermarkt. Und auch die meisten Augenärzte befassen sich grad mehr mit Netflix als mit der Netzhaut. Aber bei den Helden und Heldinnen wollen wir uns bedanken: Jeden Abend um 18 Uhr betreten die dankbaren Mitbürger ihren Balkon und klatschen laut Applaus. Also halt die, die einen Balkon haben. Manche klatschen auch aus dem Fenster. Die haben halt nicht verstanden, worauf es ankommt. Berührend ist das, und ein bisserl zum Fremdschämen.

      So, liebes Tagebuch, ich schreibe später weiter, ich muss jetzt Schluss machen. Ich muss nämlich wieder weg, meine Freundin treffen. Da fahre ich eine halbe Stunde mit der Straßenbahn zum Einkaufszentrum, wo wir uns auch früher immer getroffen haben, vor dem Karona. Das ist die Freundin, von der ich mir den Doktor Schiwago ausgeborgt habe. Am Vormittag. Sie hat im Gegenzug etwas über Tiere haben wollen. Sie kriegt Die Dornenvögel von mir. Das muss ich ihr unbedingt bringen. Das habe ich gelernt: Eine Hand wäscht die andere. Hygiene muss sein, und zwar in jeder Hinsicht.

       Tag 7 der Isolation, 22. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      ich musste leider feststellen, dass das Karonavirus vor nichts Halt macht! Jetzt hat es mich erwischt! Also nicht direkt, sondern indirekt! Es hat nämlich den Spargel befallen! Also nicht direkt, sondern indirekt! So gefreut hab’ ich mich auf mein Spargelgröstl, und jetzt heißt es, dass es für meinen Spargel keine Erntehelfer gibt! Die kommen ja jedes Jahr aus Rumänien, und wegen dem Karona werden sie heuer nicht reingelassen! Die Grenzen sind dicht, nicht nur unsere, auch die von den Ungarn … Die Monarchie hat schon auch den einen oder anderen Vorteil gehabt. Da waren die Grenzen nicht so geschlossen wie jetzt in der Europäischen Union.

      Ich frag’ mich, was mit all den Arbeitslosen ist? Können sich die nicht erbarmen und ein bisserl Spargel brocken gehen? Muss das Gemüse jetzt wirklich in der Erde verrotten? Und mit den Künstlern erst, die alle nicht auftreten dürfen. Die Kabarettisten zum Beispiel: Statt ihre Pointen abzustechen, könnten sie doch locker Spargel ausstechen!

      Bei einem hab’ ich angerufen, einem ganz bekannten Kabarettisten, also einem mir persönlich bekannten Kabarettisten, dem Norbert Peter. Und ich hab’ ihn gefragt, ob er vielleicht helfen kann. Ich hab’ ihm gesagt, er soll etwas tun, denn: „Das Volk hat keinen Spargel mehr!“

      Sagt er drauf: „Dann soll es halt Kuchen essen!“

      Vielleicht ist es eh besser, wenn die Kabarettisten auf die Bretter warten, die ihre Welt bedeuten. Wenn die auf dem Feld arbeiten müssen, kannst hinter jedem einen Masseur und einen Heilpraktiker herschicken.

      Da muss doch ein Krisenstab einberufen werden. Eine Pressekonferenz muss her! Die Regierung soll gefälligst Sonderzüge losschicken, die Erntehelfer in Bukarest in den Zug setzen, den Zug plombieren und erst im Marchfeld wieder aufmachen, gleich neben dem Spargelfeld. So steckt sich keiner an – und ich krieg bald mein Gröstl!

       Tag 8 der Isolation, 23. März 2020

      Guten Morgen, liebes Tagebuch,

      meine Nachbarin, die Frau Gundi, die ist 95, Mindestrentnerin! Sie geht immer zuversichtlich durch die Gegend, strahlt Optimismus und Hoffnung aus, als gäbe es kein Morgen. Nur in letzter Zeit wirkt sie betrübt. Ich habe sie gefragt, ob ich etwas für sie tun kann. Da hat sie gesagt, dass sie nicht mehr rausgehen darf wegen dem Karona. Und das ist deswegen so schlimm, weil sie jetzt den Lottoschein nimmer aufgeben kann. Das ist ja immer ihr Antrieb gewesen: Jede Woche die Vorahnung, bei der nächsten Ziehung den Lotto-Sechser zu machen, den großen Gewinn, und sich dann mit dem Geld alle ihre Träume erfüllen.

      Da habe ich gesagt: Pass auf Gundi. Eine Hand wäscht die andere: Ich gebe den Lottoschein für dich auf, und du gibst mir dafür die Hälfte, wenn du gewinnst. Weil: Besser die Hälfte von etwas als alles von nix. Das hat sie verstanden und zugestimmt.

      Wie ich bei der Trafik bin, treffe ich zufällig meinen Doktor. Der fragt streng, was ich da mache. Wie er den Lottoschein sieht, sagt er, dass das total verrückt ist. Die Wahrscheinlichkeit, an Covid zu erkranken, ist viel höher, als im Lotto zu gewinnen. Ich soll gefälligst zu Hause bleiben, schließlich gehöre ich zur Risikogruppe.

      Ich bin zurück zur Frau Gundi gegangen und habe ihr von der Begegnung mit meinem Arzt berichtet und dass ich ihren Schein nicht aufgeben hab’ können. Sie hat kurz nachgedacht und gesagt, dass der Doktor vollkommen recht hat und dass ich nächste Woche unbedingt drei Lottoscheine für sie aufgeben soll. Recht hat sie!

      Und wenn morgen die Welt untergeht, pflanze ich heute noch einen Apfelbaum! Und gebe einen Lottoschein auf! Oder besser noch drei!

       Tag 9 der Isolation, 24. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      ich sag’s dir, ich mach’ was mit! Zu mir kommt einmal im Monat die Frau Eva, meine Perle. Sie tut staubsaugen. Sie macht das gratis, weil sie sagt, dass man die ältere Generation unterstützen soll. Ich habe das verstanden und stecke ihr jedes Mal einen Fünfziger zu. Sie ist ja auch schon siebzig und braucht das Geld. Keine Frage.

      Jetzt hat sie mir abgesagt wegen dem Karona. Die Ansteckungsgefahr sei zu hoch, das wäre unverantwortlich. Gut. Putze ich mir halt alles selber. Ich ziehe zuerst mit dem Staubtuch durch die Wohnung. Und natürlich habe ich dann auch selber staubgesaugt. Da war viel zu tun, überall ganz nach hinten saugen, den Lurch aus den Ecken rauskriegen. Dann habe ich den Boden aufgewischt. Locker zwei Stunden habe ich geputzt.

      Und wie ich fertig bin, läutet das Telefon. Die Frau Eva! Sie kommt doch, sie kann mich nicht im Stich lassen, sagt sie. Ich solle nur eine Maske aufsetzen. Wegen dem Schutz. Mich hat der Schlag getroffen. Also wenn die extra kommt, kann ich sie nicht enttäuschen, eine Hand wäscht die andere. Also habe ich den Staub aus dem Staubsauger rausgeholt und in der ganzen Wohnung verteilt, bis in die letzten Ecken hinten. Es ist schneller gegangen als das Putzen, ist aber auch eine ziemliche Sauerei gewesen. Naja, schließlich soll die Frau Eva was zum Putzen haben. Und als Belohnung bekommt sie wie immer: eine 50-Cent-Münze.

      Es läutet! Sie kommt!

       Tag 10 der Isolation, 25. März 2020

      Liebes Tagebuch,

      ich habe viel zu tun, und ja, ich weiß, ich bin selber schuld! Während andere den Anweisungen der Regierung folgen und lieber nicht verreisen, sondern zu Hause bleiben und Urlaub auf Balkonien machen, lasse ich mich nicht davon beeindrucken. So ein Kurzurlaub muss doch möglich sein, hab’ ich mir gedacht. Insofern habe ich es mir selbst eingebrockt, dass ich nun schon seit Stunden in der Warteschleife der Helpline des Außenministeriums hänge, um mir einen Rückflug aus Madeira zu organisieren.

      Ja, Madeira,


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