Kinderkriegen. Группа авторов
Katharina Picandet: Und das sind ja auch noch Perspektiven, die sich im Laufe der Zeit sicherlich ändern.
Vielleicht ist es auch manchmal noch schwierig, aus der eigenen familiären Prägung herauszugucken. Wir waren alle klein und haben wahrscheinlich so alte Vorstellungen davon, was eine gute Mutter, ein guter Vater, eine heile Familie zu sein hat usf., dass wir gar nicht mehr wissen, woher diese Vorstellungen eigentlich gekommen sind. Ich glaube, dass man sich das wirklich immer nur zum Teil klarmacht, vielleicht an einschneidenden Erlebnissen: »Das war für mich damals so schlimm, das will ich für meine Kinder auf keinen Fall«, oder so. Seit ich die ersten Beiträge für Kinderkriegen. Reproduktion reloaded gelesen habe und ab und zu mal davon erzähle, fällt mir auf, wie schnell oft eine Meinung da ist, zu einem Thema, mit dem sich diejenigen aber bestimmt noch nicht so intensiv auseinandergesetzt hatten: Was mache ich mit vor Jahren eingefrorenen Eizellen, ob befruchtet oder nicht? Ist eine Frau, die ein Kind austrägt, eher »die Mutter« als die, die die Eizelle gespendet hat – selbst wenn es zwei Väter sind, die das Kind aufziehen? Das fand ich schon erstaunlich. Bei anderen Themen wäre man ja doch vielleicht zurückhaltender und würde sich erst informieren. Aber bei Körpern, bei Familie, bei Schwangerschaft – da hat jede*r gleich eine Meinung.
Aber die Erfahrung zu machen, oh, das kann man genauso vehement auch ganz anders sehen, das bedeutet ja wieder, in eine Debatte zu kommen, die Verhältnisse zu ändern. Auf Fragen, die sich in den letzten Jahren mit neuen technischen Möglichkeiten aufgetan haben, werden oft noch so alte Wertmaßstäbe angewendet. Das muss man doch überdenken.
Barbara Peveling: Und es existieren sehr viele Tabus. Claudia Klischat stellt sich in ihrem Schreiben ja extrem diesen Vorurteilen. Auch für die Autor*innen war es, denke ich, nicht immer einfach, sich der eigenen Thematik und Geschichte zu stellen.
Über diesem ganzen Wust aus Fragen, Einbahnstraßen, Ängsten und sozialen Tabus steht dann immer wieder für mich die menschliche Begegnung. Wie in dem Text von Veit Johannes Schmidinger, in dem Moment, in dem es zu einer Berührung zwischen der Leihmutter und dem Vater (sozial und biologisch) kommt, wird eine Tür menschlicher Erfahrung geöffnet, die überwältigend ist.
Soziale Reproduktion ist mit viel Kontrolle, vor allem körperlicher, aber auch mit sozialen Tabus und traumatischen Erfahrungen belegt.
Ich habe mich oft auch gefragt, wieso bleibt die Mutter so allein, heute noch, und in vielen Texten, wie bei Dagmar Quadder, Simone Hoffmann, obwohl es Männer gibt, die sehr weit mitgehen, wie zum Beispiel Egon Koch in dem Text über Abtreibung.
Nikola Richter: Alle Autorinnen und Autoren, wir haben jetzt nur ein paar ganz exemplarisch in unserem Chat namentlich genannt, öffnen mit ihren Texten Türen und auch Herzen, so kitschig das klingt, und die können dann Gesprächsanfänge sein. Über all das, was so oft ungesagt bleibt, weil es schwierig ist, darüber zu sprechen. Jetzt kann man zumindest davon lesen – und dann selbst entscheiden, wie man weiterdenken möchte. Die Vielstimmigkeit von Elternschaft zu spüren, ist definitiv enttabuisierend.
Nastasja Penzar
FRAGMENTE EINER UNSICHERHEIT
Hier sitze ich also, im weiß-blau gestreiften Badeanzug auf der Sonnenterrasse der Ferienwohnung, solange der Sommer noch anhält. Berge hinter mir. Das Meer vor mir, könnte eigentlich nicht besser sein. Ich bin seit Kurzem Ü30, in einer Entscheidungskrise, und deshalb hier. Ich könnte schwanger sein. Also: Abstand gewinnen. Nachdenken. Über das Leben, die Beziehung. Stattdessen scrolle ich durch den Instagramaccount einer hübschen Freundin. Sie hat drei hübsche Kinder, einen hübschen Mann mit Akzent, der hübsche Fotos macht von den Reisen, wild und frech das Ganze. Ich sitze im Schatten, rauche, der Kaffee schmeckt hier um Längen besser, meine Haut sieht gut aus von der Sonne, ich lasse es mir also mit aller Mühe gutgehen, während mein Neid um ihr Muttersein mich an vielen dieser gut gebräunten Stellen zwickt. Und dann, AHA! Die innere Warnmeldung, die sich jedesmal aufbäumt und schreit:
»LEG DAS HANDY WEG! KAPITALISMUS! Der Glaube, ein Kind würde alles voller, wertvoller machen, ist doch nur ein weiteres Schnippchen – KAPITALISMUS! – das dir das Schweinesystem schlägt, das dir bei jedem noch zu erreichenden Ziel erklären will: wenn du dort bist, DANN! Wenn du das kaufst, dann! KAPITALISMUS! DANNDANNDANN, und du hattest doch schon so viele DANNS, dass du sie nicht mehr zählen kannst, und trotzdem fällst du immer wieder darauf rein?«
Ich atme ein, nehme einen Zug von der Zigarette – ich rauche ja nur im Urlaub, in meinem Alter ist rauchen nicht mehr so sexy, und außerdem – das habe ich irgendwo gelesen – verschlechtert es die Qualität meiner Eier.
Ich drücke die angefangene Kippe aus, rücke meinen Sonnenhut zurecht, nehme mein Notizbuch zur Hand und gehe dem Ganzen mal wieder ordentlich auf den Grund, obwohl mir – nebenbei bemerkt – diese Suche nach der Identität meiner Wünsche ehrlich gesagt ein bisschen zu spät vorkommt, jetzt, wo meine Eier schon anfangen zu faulen. Aber na gut:
Also heute. Ich bin 30 Jahre alt, bald promovierte Schriftstellerin, und (noch) kinderlos. Und ich stehe aufgrund meiner unausgeglichenen Standbeine eher uneben im Leben, was die Entscheidung, vor der ich stehe, ziemlich schwer macht: das eine, kürzere und sehr plumpe Standbein ist das meiner verinnerlichten kroatischen, sehr streng katholisch-gläubigen Familie, in der das Kinderkriegen das höchste, heiligste Streben der Frau ist. Daneben steht krumm und drahtig, ohne recht zu wissen, in welche Richtung es wachsen will, mein anderes, noch zartes, sehr krisenanfälliges »weltliches« Standbein. Gemessen an der sehr ungleichen Länge der beiden wankt mein Glaube, ja, der an Gott, an die Religion, die Familie, aber vor allem auch der an meine uneingeschränkte Entscheidungsfähigkeit. Er wankt, wankt, wankt wie ein im stürmischen Hafen festgehaltenes Kreuzfahrtschiff 2020.
90er. Ich wachse auf in zwei Welten: Unsere neue Welt liegt ganz oben, im siebten Stock. Hier leben ich, meine große Schwester, mein kleiner Bruder, meine Mutter, mein Vater. Meine Eltern lernten sich in einer katholischen Studentengemeinde in Zagreb kennen, siedelten dann über. Der Grund zu gehen: die Doktorarbeit meines Vaters. Der Grund zu bleiben: nun ja, der Krieg. Überassimilation ist ihre, dann irgendwann auch meine Devise: Latein wird meine erste Fremdsprache, mein Vater gibt damit bei seinen Freunden an, mit 14 sammle ich Reclam, lese in der Straßenbahn für mich damals Langweiliges: Kleist, Schiller, Goethe. Ich höre deutschen Punkrock, besetze Häuser, gehöre definitiv nicht zu den anderen Migrantenkids. Nein! Jeden Sommer aber fahren wir im Audi 80 über die Alpen, dann immer weiter, bis wir das Meer sehen, zu Oma, zu Tanten, Onkels, Cousinen, Cousins und noch mehr Cousinen. Meine Oma hat elf Mal geboren, denn, naja, »Das ist einfach das schönste auf der Welt!«
Gestern. Ich werfe Münze. Obsessiv. Sehr oft. Es gibt Großes zu entscheiden. Die Weggabelung, vor der ich stehe, bricht aus dem Boden aus, bäumt sich auf, verwandelt sich in eine Würgeschlage, kriecht angriffslustig und erhobenen Hauptes auf mich zu, ich kann nichts machen, sie kommt näher und ich: werfe also Münze – ein bisschen peinlich – und befriedige damit meine seltsam religiöse Obsession in etwa wie folgt: »Gott, werde ich mit ihm Kinder kriegen?« Münze: »Nein.« »Gott, soll ich mit ihm Schluss machen?« Münze: »Ja.« »Gott, soll ich wirklich mit ihm Schluss machen?« »Ja.« »Wirklich?« »Ja.« »Gott, redest du hier mit mir?« »Nein.« »Gott, gibt es dich?« »Nein.«
Irgendwann im letzten Jahr. Meine atheistische, völlig esoterikfreie Therapeutin sagt, nachdem wir ein Jahr lang daran gearbeitet haben, die Familienstrukturen aufzulösen und meine obsessiven Gedanken im Zaum zu halten, ich solle mich doch lieber an meinem erwachsenen Umfeld orientieren. Na dann, gut:
Heute. Mein Freund und ich sind seit fast drei Jahren zusammen, ein Zehntel meines Lebens in etwa. Er macht sein Abi nach, will dann studieren. Ich bin fertig. Dissertation fast im Kasten, Roman kommt raus, Leistung bringen konnte ich immer (s.o.). Nur das andere nicht so. »Du wirst eine super Mutter«, sagt mein Vater, wenn er sieht, wie ich mit meinen vielen Cousinen spiele. »Ich wollte schon immer Kinder und hätte auch mehr gehabt, wenn