Kinderkriegen. Группа авторов
wird. Da ist ein Bild, ein grauer Fleck, aber keine Herztöne mehr. Und dein eigenes Herz bleibt stehen, du richtest dich auf, um besser auf den Schirm zu sehen, ob es noch lebt, aber der Arzt macht das Bild aus.
- Kommen Sie bitte nüchtern. Mehr sagt er zum Abschied nicht. Und du verstehst, dass er gerade nur eine Summe diagnostischer Tätigkeiten an dir durchgeführt hat, mehr nicht, genauso, wie das eben passiert bei einer medizinischen Untersuchung, muss der Arzt seinen Patienten auskultieren, und das hat er gerade getan, dich und das Wachsende in dir.
Für ihn, denkst du, existiert es nicht mehr, es ist schon tot, es hat keine Bedeutung, das ist nur noch ein Müll, den er dir entfernen wird, wie eine sehr hässliche Warze, und wenn du in deinem Leben gedacht hattest, du seiest allein und du seiest traurig und verlassen, vielleicht sogar verzweifelt, rat- und hilflos, einsam sogar, dann war das nichts gegenüber dem, was du jetzt fühlst. Der Abgrund bist du.
Und du fällst und es gibt kein Ende. Du gehst durch Watte, durch Sand, du ertrinkst in einem Moor, du bist ins Meer gefallen und schon lange untergegangen. Warum nur hören die Synapsen in deinem Kopf nicht auf, ständig neue Verbindungen zu schaffen? Orion folgt dir, redet auf dich ein, aber du kannst ihn nicht verstehen. Es hat auch keine Bedeutung mehr, denn die Herztöne sind weg und das ist allein deine Schuld. Das ist der Augenblick, in dem dein Herz explodiert.
Orion steht da und will wissen, was los ist, aber du antwortest nicht. Du antwortest nicht, sondern gehst aus der Praxis, er rennt zurück zum Abtreibungsarzt, um herauszufinden, was mit dir los ist, was dir gesagt wurde, was die Konsequenzen sind, Nebenwirkungen, Folgen. Du bleibst irgendwo auf der Straße zwischen hupenden Autos stehen, du reagierst nicht, wo du bist, ist dir egal, du bist in einer Welt, die dir nicht gehört, zu der du niemals gehört hast, weil du nicht selbstbestimmt bist, sie ist dir fremd, du spielst in einem Film, von dem du das Drehbuch nicht kennst. Das ganze Leben geht an dir vorbei, jetzt, wo die Herztöne weg sind. Eigentlich ist es nicht das Leben, sondern die Entzauberung der Welt, die an dir vorbeigerauscht ist. Denn deine Instinkte, die solltest du doch eigentlich kontrollieren, um rational entscheiden zu können, wann der richtige Moment ist, auf jeden Fall nicht der, den dir dein Herz vorschlägt oder der, an dem die Klitoris anschwillt. Doch wenn du ehrlich mit dir und der Gesellschaft bist, so haben sie dir das doch nie wirklich zugetraut, das Entzaubern selbst in die Hand zu nehmen, angeschwollen sind immer die Organe des anderen, immer hat dir jemand gesagt, was du mit deinem Körper zu tun hast, und meistens war es ein Mann.
Jetzt kommt Orion zurück und erklärt dir, dass du nichts zu befürchten hast, es gibt keine physischen oder psychischen Folgen einer Abtreibung, alles wird wieder gut werden, du kannst sogar noch ganz normal Kinder bekommen, danach dann, sagt er, und das ist die Minute, in der du dir definitiv die Five-Point-Palm-Technik zu beherrschen wünschst, denn die sonstwas Folgen von Abtreibung oder nicht sind dir sowas von egal, le mal est fait, und heute wird nie wieder wie gestern sein, das wisst ihr doch beide ganz genau, nur kannst du da auf der Straße gar nicht die Five-Point-Palm-Technik kennen, denn Tarantinos Film ist damals noch nicht in deutschen Kinos angelaufen.
Zwanzig Jahre später wird in vielen Staaten Amerikas ein Herzschlag-Gesetz verabschiedet, das eine Abtreibung, nachdem die ersten Herztöne gehört werden können, verbietet. Und in Deutschland wird die Gynäkologin Kristina Hänel verurteilt, weil sie angeblich für Abtreibung wirbt. Wie sehr hättest du dir damals eine Frau Hänel gewünscht, die dir kommentarlos eine Bescheinigung ausstellt, dich nüchtern und sachlich berät und dir deinen freien Willen nicht nimmt, dich entscheiden oder leiden lässt, ob du die Herztöne hören willst oder nicht, zum Beispiel.
Ebenfalls zwanzig Jahre später wird in Frankreich von der Gleichstellungsbeauftragten Marlène Schiappa ein Bericht in Auftrag gegeben, der sich mit der Gewalt an Frauen durch Geburtshelfer beschäftigt und in dem stehen wird, dass Frauen, die einen Arzt wegen Abtreibung konsultieren und von dem Arzt moralisch oder ethisch beeinflusst werden, unter anderem dadurch, dass dieser sie gegen ihren Willen die Herztöne hören lässt, Gewalt angetan wird.
Der Gedanke, dass jungen Frauen in deiner Situation heute noch strukturelle Gewalt angetan wird, ist schrecklich. Und die Tatsache, dass Menschen verurteilt werden, die sich gegen diese Gewalt wehren, ist unglaublich.
Du schreibst diesen Text in dem Bewusstsein, dass deine Tochter, die nun auch zwanzig ist und deren Herztöne damals als Schallwellen in dein Ohr jagten, die zu dem Zeitpunkt nicht mehr war als der Punkt auf dem Monitor, um den sich dein Universum plötzlich und unerwartet zu drehen begann, ihn lesen wird. Du schreibst diesen Text, weil es wichtig ist, dass sie ihn liest, du sogar willst, dass sie ihn liest, du schreibst ihn für sie, weil du willst, dass sie sich niemals und von niemandem vorschreiben lässt, was sie mit ihrem Körper anstellt. Du schreibst, weil du willst, dass sie sich wehrt, wenn ihr jemand sagt, sie müsse die Pille nehmen, sie soll nicht stolz darauf sein, dass ein Mann sie will, nur weil sie bereit ist, ihn zu befriedigen, sondern es soll ihr egal sein. Niemand soll ihr das Gefühl geben, er wisse besser als sie, wie sie über ihren Körper entscheiden soll.
Du willst nicht, dass sie sich irgendwann betrogen fühlt, du willst, dass sie weiß, dass es immer fremde Mächte geben wird, die über ihre Entscheidungen bestimmen wollen, du willst, dass sie weiter kämpft, nicht aufgibt, nicht glaubt, der Feminismus hätte gesiegt und Frauen seien heute selbstbestimmt und frei. Und du weißt, dass sie es weiß, dass du ihre Welt nicht entzauberst, weil sie schon längst entzaubert ist.
Before that strip turned blue. Warst du eine Frau, seine Frau, du wärest ohne zu zögern von einem Motorrad auf einen rasenden Zug gesprungen, nur für ihn.
But once that strip turned blue… I was gonna be a mother. Sagt Beatrix und das ist die Entscheidung, die sie alleine trifft, ohne Bill.
Und es ist deine Entscheidung, die du triffst, an jenem Morgen, als du nüchtern zu dem Termin erscheinen musst. Du sagst Orion, du musst alleine gehen, das gehört sich so für Frauen, die abtreiben. Er widerspricht dir, aber nur leicht, weil ihm ja auch lieber ist, du gehst allein. Aber vorher fickst du ihn noch einmal, wie du ihn nie zuvor geliebt hast, denn das letzte Mal soll immer das schönste sein. Du weinst auch dabei und er sagt, es tut ihm leid, denn er weiß ja nicht, dass du wegen ihm weinst, nicht wegen des Kindes. Du bist ein Biest und du gibst es zu, wie Beatrix es vor Bill zugegeben hat.
Und dann gehst du, aber nicht zu dem Termin, denn du hast entschieden, dass du Mutter werden willst, allein.
Eine Schwangerschaft sollte nur bis zum Ende ausgetragen werden, wenn sie gewollt ist, früher oder später, für eine so schwere Entscheidung braucht es Zeit, eine gute Begleitung und wenig Druck. Die Entscheidungsfreiheit darf einer Frau nicht genommen werden. Ungewollte Schwangerschaften müssen Frauen abtreiben dürfen. Darunter geht nichts. Das ist die Nullstelle unseres Kampfes. Nur dann wird es im Dschungel Ruhe geben.
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