Kinderkriegen. Группа авторов

Kinderkriegen - Группа авторов


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von Freunden unterkam, reiste ich im Sommer 1982 nach Paris. Dort traf ich meine Lebensgefährtin wieder, sie besuchte eine Schauspielschule. Und ich, auf einem Rheinschiff aufgewachsen, fand auf der Seine den Ort meiner eigenen Kindheit wieder, ein Hausboot, der Boden, auf dem ich wieder Fuß fassen konnte. Unsere Liebe lebte wieder auf und lebte fort, aber die Angst, wieder ein Kind zu zeugen und abermals in den Abgrund zu stürzen, schwang als Damoklesschwert über jedem sexuellen Akt.

      Ich hab ja auch zwei Fehlgeburten gehabt. Das heißt, da ist ja das gewollte Leben und das hab ich nicht gekriegt, was ja auch total traurig ist. Also, insofern ist das manchmal so makaber, dass ich denke, ich hab ja auch was hergeben müssen, es ist halt so. Wobei ich jetzt weiß, dass das nicht ungewöhnlich, aber ein Aspekt der Beziehung ist, über den ja auch wenig geredet wird: »Wie viele tote Kinder gibt’s denn in eurer Beziehung?« Ich mein, darüber unterhält man sich ja nicht, aber das ist ne Tatsache.

      Nach einigen enttäuschten Hoffnungen und viel Trauer brachte meine Lebensgefährtin 1997 unsere gemeinsame Tochter zur Welt. Zehn Jahre später trennten wir uns als Paar und wurden zu Freunden. Noch heute sind wir untröstlich darüber, dass wir das erste Kind nicht bekommen haben. Immerhin können wir nun das tun, was wir uns damals versagt haben: ehrlich miteinander über den Abbruch sprechen.

      Wenn man mir jetzt diese merkwürdige Frage stellen würde, »Was würden Sie anders machen in Ihrem Leben, wenn Sie es noch einmal anders machen könnten«, dann wäre das sicherlich ein Punkt, wo ich sagen würde: »Ich würde dieses Kind nicht mehr abtreiben.« Und – mit allen Konsequenzen, aus meiner jetzigen Sichtweise.

      Ja, stellen wir uns vor, sie hätte das Kind bekommen. Stellen wir uns vor, wie sie und ich in den letzten Jahrzehnten gelebt, jenes andere Leben jenseits des gelebten Lebens geführt hätten. Es wäre möglich gewesen, wie auch immer, es wäre eines mit Kind gewesen. 2022 wäre dieses Kind 40 Jahre alt.

      Barbara Peveling

       HERZTÖNE HÖREN

      The lioness has rejoined her cub.

      And all is right in the jungle.

      Quentin Tarantino, Kill Bill

      Anfang und Ende jeder Existenz sind zwei Nullstellen, die zu einer werden, und was dazwischen liegt, ist ein Traum. Welten wie diese zum Beispiel: Ein Paar beschließt nach einer gemeinsamen Liebesnacht, ein Kind zu bekommen. Man ist nicht mehr bei Null, sondern hat sich im Leben eingerichtet, das Studium beendet, einen Job oder zwei, den ersten Bausparvertrag. Sie entsorgt die Pille, er trinkt Kaffee und blättert in der Zeitung. Nur Wochen später pinkelt er auf einen weißen Stab, den sie zitternd in den Händen hält oder umgekehrt, egal, jedenfalls gibt es da in einem weißen Fenster sowas von einem blauen Streifen und dazu, gratis sozusagen, noch ganz viel Glück. Das Wesen des Daseins ist seine Existenz, sagt Heidegger. Am Anfang ist der Gedanke, das Ausbleiben einer Blutung, ein blauer Strich auf einem Teststäbchen und ganz viele Nervenzellen, die alle um einen Punkt kreisen.

      Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird, erlebt frau das: Plötzlich bist du nicht mehr allein, sondern in deinem Innern wächst was. Wer hat es hergerufen? Du nicht. Aber schuld bist du allein, denn du hast nicht aufgepasst. Du, nicht er. Denn das war nicht abgesprochen und schwanger werden kannst ja nur du, die Frau. Er hat das nicht gewollt. Über ihn ist das sowas von hereingebrochen. Vaterwerden stand nicht auf seinem Projektplan. Ficken schon.

      Trotzdem begleitet er dich zur Schwangerschaftsberatung. Ja, so heißt das nun mal, denn eine Zeugungsberatung gibt es nicht und du fragst auch nicht wieso. Es geht ja hier nur darum, was du unternimmst und mit dir, dieses Ding in dir, von dem du nichts weißt, außer dass es ein Parasit ist, der sich plötzlich und unerwartet in dein Leben frisst.

      – Das können Sie nur allein entscheiden. Erklärt dir die Frau von pro familia. Wie sie entscheiden würde, sagt ja der Name ihres Arbeitsgebers, pro, sonst säße sie ja nicht vor euch beiden und du würdest am liebsten auch nicht hier sitzen. Der Erzeuger hat nicht viel zu sagen, außer, dass er nun mal nicht will, es ist nicht der richtige Moment, er hat gerade einen Studienplatz bekommen, einen neuen Job, sein ganzes Leben noch vor sich, so wie du auch, und ihr wollt ja eigentlich zusammen bleiben und Kinder haben, nur später dann, aber entscheiden kann er auch nicht für dich.

      Before that strip turned blue, sagt Beatrix zu Bill und lässt sein Herz explodieren.

      Wenn du die Five-Point-Palm-Technik anwenden könntest, würdest du es jetzt und vor der Beraterin tun. Stattdessen sagst du nichts und weinst, weil lächeln jetzt einfach nicht passt, und fragst dich, wie du noch eine Entscheidung treffen sollst, die dein Körper schon längst und ganz allein und vor allem, ohne dich zu fragen getroffen hat. Du kannst deinem Körper nur noch Gewalt antun, fünf Schritte rückwärts, und dann bricht hoffentlich deine Welt nicht zusammen, sondern eine neue tut sich auf, eine andere Wahl hast du nicht und so überlegst du dir, ob es Sinn macht, in diesem Augenblick deines Lebens eine Münze zu werfen.

      Eine Münze hat zwei Seiten, und eine Schwangerschaft auch: gewollt und ungewollt. Ach, wenn wir doch Tiere wären, die gehorsam ihren Instinkten folgten, wir müssten nichts entscheiden, sondern nur unseren Trieben folgen. Aber nein, die hat man uns abtrainiert, Motivationen nennt sich das. Schließlich ist es gerade die Überwindung der Primärtriebe, die uns Menschen nach Freud über das rudimentäre Bewusstsein hinaustreibt. Wer fragt schon eine Kuh, ob sie befruchtet werden will? Und wenn wir schon mal beim Treiben sind, so tröstest du dich damit, dass ungewollte Schwangerschaften in Deutschland abgetrieben werden dürfen.

      Du machst dich also nicht strafbar, du musst nur zum Frauenarzt gehen, dir deinen Beratungsschein holen und den Termin machen, dann ist alles vorbei. Dann bist du wieder a woman, wie auch Beatrix in Kill Bill vorher nur eine Frau war, seine Frau, du fürchtest, dass du das nie wieder sein wirst, die seine, weil du instinktiv spürst, dass vorher und nachher nicht mehr identisch sein können, wie auch Beatrix schon zu Bill gesagt hat.

      Du bist nicht mehr du, du reagierst wie ein Automat, du wartest darauf, dass andere etwas unternehmen, dir Zettel ausstellen zum Beispiel, damit du dahin gehen kannst, wo deine Körperprozesse einfach abgestellt werden. Du lässt dich vom Erzeuger zum gynäkologischen Termin fahren und du wirst niemals in deinem Leben vergessen, wie er die Beule hinten in den Kofferraum fährt, es ist der Wagen deiner Mutter und du bist Anfang zwanzig und er auch und das ist vielleicht euer einziges Verbrechen und dann noch die Tatsache, dass die Gesellschaft dafür keine Räume hat, für jung, verrückt, leichtsinnig, gedankenlos, willenlos und wahnsinnig glücklich und dann bist du schwanger und I never thought you would do that to me, sagt Beatrix und du auch und sprichst vom Auto, meinst aber eigentlich dein Herz.

      Ihr sitzt in der Wartekammer der Zeit, seid zu früh aufgebrochen, habt euch nicht abgesprochen mit dem Leben und euren Plänen. Du willst, er nicht, so ist das nun mal. Aber dass es dabei um noch viel mehr geht, als um gewollt und ungewollt, das ignoriert ihr beide, denn so habt ihr es gelernt, es gibt Verhütungsmittel, die Pille danach in der Apotheke und Aufklärung und zur Not eben Abtreibung, alles ist planbar, Familienplanung, Lebensplanung, so lang die Rechnung aufgeht, läuft alles wie auf dem Fließband, Familie wird zum richtigen Zeitpunkt geliefert.

      Du bist immer mitgelaufen, hast gemacht, was Frauen eben machen sollen, sich zum Beispiel rechtzeitig um die Verhütung kümmern. Du erinnerst dich, du warst in der zehnten Klasse. Eine Freundin musste zum Gynäkologen und weil du noch nie dahin gegangen warst und alle dir sagten, dass du das aber auch mal machen müsstest, kamst du mit. Du warst sechzehn und hattest einen Freund, ihr wolltet euch noch Zeit lassen, ihr hattet es nicht eilig. Er war dein erster, und sein Körper, viel härter als deiner, knochiger auch, genau wie sein Denken, spitzer als deines, das ganze Fremde an ihm, machte dir Angst.

      - Es ist nicht schlimm, wenn du mich nicht zum Abspritzen bringst. Das hatte er in der ersten Nacht gesagt und du hattest beschlossen, dass er der Richtige war, weil er so cool war, dich trotz deiner Angst vor dem Austausch von Körperflüssigkeiten nicht sofort wieder fallen ließ. Schließlich hatten dir vor ihm schon


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