Kinderkriegen. Группа авторов
du keine Luft mehr bekommen, so dick war seine Zunge in deinem Mund, so feucht, so allumfassend, dass du einfach zubeißen musstest, beim zweiten war es die Hand, die dir immer in die Hose rutschen wollte und die dich in Panik versetzte, Angst vor dem, was dann kommen würde, was er dir dann hineinschieben würde, nach seiner Hand.
Anfassen war überhaupt schwer, anfassen mochtest du nicht, nicht mal dich selbst, zu Hause erledigte das bei dir der Duschstrahl, denn anfassen war Sünde.
Beide Jungs hatten dir noch Briefe geschrieben, du wärst ja echt süß, nett, sogar richtig schön, aber sie bräuchten ja mehr, das würdest du sicher verstehen, und du hast das noch so freundlich gefunden, obwohl sie dann nur wenige Tage später schon mit irgendeinem anderen Mädchen unterwegs waren, die älter war als du und von der alle wussten, dass da was ging. Du hast die Briefe nicht aufbewahrt, das nicht, aber du fandest es lieb von ihnen, sie haben dich immerhin vorher aufgeklärt. Und so war der feste Freund mit sechzehn, genau vier Jahre vor deiner ungewollten Schwangerschaft übrigens, eine richtige Befreiung, ein Glücksfall, er würde dich behalten, bleiben wollen, selbst wenn du ihn nicht zum Höhepunkt bringen konntest. Und genau wegen seiner Geduld und deiner Scham wolltest du auch mal so richtig nett sein und diese Scham für ihn allein überwinden. Also hast du gerubbelt, geblasen und bist sogar auch selbst oft mit ihm gekommen, das alles, bevor du dann beim Frauenarzt auf der Liege lagst.
- Haben Sie einen Freund?, fragte der und pulte mit der Spekula in deiner Scheide herum.
- Ja.
- Dann müssen Sie die Pille nehmen.
Das Rausziehen tat weh, du warst trocken und wusstest damals noch nicht, dass es ungemein hilft, wenn frau sich bei der Untersuchung nur auf ihren Atem und nicht auf das Geplapper des Gynäkologen konzentriert.
- Aber wir haben das noch nicht …
Das hättest du ihm nicht sagen müssen, er hatte dein Jungfernhäutchen sowieso gesehen, aber das war dir damals nicht klar. Später ist es dann gerissen, in einem Kornfeld, und als du das Blut in deinem Höschen entdecktest, warst du sowas von stolz.
- Das spielt keine Rolle, ich kenne die Männer, schließlich bin ich selbst einer. Wenn Sie mal eine vergessen, nehmen Sie die Pille am nächsten Tag einfach weiter.
Er drückte dir das Rezept in die Hand. Und weil gleich gegenüber eine Apotheke lag, hast du es eingelöst. Die Liste der Nebenwirkungen, die du dabei ignoriertest, war lang: Hormone zu nehmen, wie Tiere in der Massenhaltung, setzte dich einem erhöhten Thrombose- und Krebsrisiko aus. Dazu hattest du den Arzt auch befragt, er aber nur den Kopf geschüttelt, als wären das alles nur Fake News und du auch noch so dumm, daran zu glauben.
- Ich nehme jetzt die Pille!, hast du dem Freund zugerufen, als hättest du einen Literaturpreis gewonnen. Er hat dich mit großen Augen angesehen, unsicher, ängstlich auch, aber wahrscheinlich war das der Moment, in dem er sich endgültig und wahrhaftig in dich verliebt hat. Ihr seid ziemlich glücklich gewesen, habt euch sogar verlobt. Mindestens bis zum Abitur. Bis zu dem Moment, als er dir mitteilte, dass du zwar die Erste in seinem Leben warst, aber nicht die Einzige bleiben konntest. Seine Eltern hätten gesagt, er solle noch was anderes ausprobieren, sonst würde er es bereuen, er müsse sich die Hörner abstoßen, das sei doch klar. Du bist aufgestanden, hast die Pillenpackung genommen und jede einzeln aus dem Fenster auf die Straße geworfen.
Als er ging, hast du nichts gesagt, sondern hinausgeschaut, die Autos beobachtet, wie sie über die kleinen weißen Pillen fuhren, sie platt auf den Asphalt drückten, und du hast da gestanden, ihnen zugesehen und dir vorgestellt, es sei dein Herz, dass da unten lag.
Was danach kam, war einfach nur ein sehr großes, vollkommenes, kräftiges Leiden. Werther war nichts dagegen. Glaubtest du. Du warst auf Entzug, und dein Körper rebellierte, du konntest keine Nahrung mehr aufnehmen, nichts ging mehr und dass deine Tage irgendwann nicht mehr kamen, ist dir eigentlich erst ein halbes Jahr später aufgefallen.
- Amenorrhö.
War die Diagnose der Frauenärztin, zu der du dann gingst, und dass du erstmal wieder Gewicht zunehmen müsstest, dann würde die Periode schon von alleine kommen.
Aber sie kam nicht. Deine Höschen blieben leer und trocken wie die eines kleinen Mädchens.
Die Frauenärztin verschrieb dir die Pille, damit du wieder deine Regelblutung bekommen würdest, künstlich sei besser als nichts. Aber der Meinung warst du nicht, du hattest keine Lust mehr auf das Brustspannen, auf Krebsrisiko, auf Hormone in deinem Körper, auf die Stimmungsschwankungen und Gewichtzunahme, überhaupt, hatte nicht aller Liebeskummer mit der Pille angefangen?
Dann bist du ihm begegnet. Deinem Orion. Dem Typen, den du dir an deinen Himmel geworfen hast und den niemand mehr da runterholen konnte. Weil er eine tiefe Ablehnung gegen alles Begrenzende hat, im Denken, aber auch was alles Körperliche betrifft, ging das mit Kondomen nicht.
Du bist die Tochter einer betrogenen Generation, deren Mütter sich eingeredet haben, dass sie jetzt selbstbestimmt wären, weil sie ein eigenes Konto hatten, wählen gehen und im Notfall auch mal abtreiben durften.
Ins Behandlungszimmer gehst du allein. Orion bleibt im Wartezimmer und läuft dort sein Sternbild ab. Was sollte ein Mann auch beim Frauenarzt, es sei denn, seine Frau ist schwanger und er will den Knirps auf dem Monitor sehen, aber genau das will Orion ja nicht.
Die Gynäkologin ist dir fremd, jemand hat sie dir empfohlen, du bist neu in der Region, kennst dich nicht aus, dein Studium hat gerade erst angefangen und du hast nicht geplant, schwanger zu werden, jedenfalls nicht jetzt. Überhaupt brauchst du ja nicht mehr von ihr als den Beratungsschein, das grüne Licht. Vor der Untersuchung sitzt die fremde Frau an ihrem Schreibtisch und redet lange auf dich ein. Sie sagt, sie hat zwei Kinder. Keines davon selbst geboren, sie kann keine Kinder bekommen, ihr Uterus funktioniert nicht, erklärt sie dir, und ihre Kinder sind adoptiert. Sie zeigt dir Fotos, die auf ihrem Schreibtisch stehen. Zwei asiatische Gesichter blicken dich an und du fragst dich, ob es wohl schwer ist, mit solchen Gesichtern in Deutschland zu leben und ob du das auch mal einem Menschen zumuten musst, wenn du nun abtreibst und dann vielleicht nicht mehr schwanger werden kannst. Du überlegst, ob die Gynäkologin neidisch auf deinen Uterus ist, der seine Funktion erfüllt, ob sie dich für dumm hält, für egozentrisch, weil du, anders als deine Geschlechtsteile, nicht funktionieren willst, jedenfalls nicht so, wie es die Natur von dir erwartet, erzeugend. Dir wird klar, dass du hast, was diese Frau sich sehnlichst wünscht, eine eigene Schwangerschaft, und du willst sie nicht. Du fragst dich, ob sie dich für eine Mörderin hält, aber traust dich nicht, es auszusprechen. Du brauchst diesen Beratungsschein.
- Jetzt hören wir die Herztöne, sagt die Fremde, als du mit ausgestreckten Beinen vor ihr liegst, wie ein zum Schlachten aufgebahrtes Tier. Ein lautes schnelles Flimmern geht durch den Raum, hörbar wie ein Traum. Das ist der Moment, an dem du in deiner Steinschnittlage zusammenbrichst. Gerade noch warst du der Patient in Rückenlage, jetzt bist du der Stein, der in zwei Stücke birst und nichts als Wasser fließt aus dir heraus. Du heulst, du bist nur noch Tränen, du zerfließt praktisch auf ihrem Boden, du möchtest in den Monitor kriechen, dich zu dem Embryo kuscheln und nur noch seine Herztöne hören, denn wenn sie aufhören, dann ist es vorbei und das ist deine Schuld.
- Überlegen Sie sich das nochmal, sagt die Fremde zum Abschied und reicht dir kein Taschentuch, sondern den Beratungsschein. Ohne noch einmal aufzublicken, erklärt sie, für die Abtreibung müsstest du dir noch jemanden suchen, aber da könnte dir sicher pro familia helfen.
Du gehst hinaus, du bist schockiert, du denkst, das wenigstens hast du geschafft, aber du weißt noch nicht, das Schlimmste kommt erst noch.
Die Praxis des Abtreibungsarztes ist sehr weiß gestrichen. Die Adresse hast du von pro familia und außer dir sitzen noch drei weitere Frauen im Raum und der Erzeuger, dein Orion. Du wünschst dir sehnlichst, dass alle Frauen wegen Abtreibung hier sind oder wenigstens wegen ihrer Nachuntersuchung, aber eine ist sehr sichtbar schwanger, was du ihr kaum verzeihst, denn du kannst ihren Anblick nicht ertragen. Du willst nicht glauben, dass Leben und Tod so eng zusammenhängen. Wenn dieser Arzt hier abtreibt, dann soll er sich doch bitte nicht auch