Kinderkriegen. Группа авторов

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bei sich zu sein.

      Ute hat Buchweizenbrötchen gebacken. Dante hat sich das gewünscht. Er mag Teigwaren, wenn sie von seiner Mutter und ihren Händen gemacht worden sind, besonders Buchweizenbrötchen mit einer dicken Schicht Butter und Johannisbeermarmelade. Kauend sieht er uns dann mit bläulich verfärbten Zähnen an und mimt Aufmerksamkeit, aber natürlich hört er uns nicht zu. Er denkt an irgendwas anderes, weiß der Himmel, an was, an sein Mobiltelefon und dessen unerschöpfliche Möglichkeiten vermutlich. Dante wird demnächst vierzehn. Mit vierzehn beginnt die schwierige Phase, aber so schwierig ist sie auch wieder nicht; jedenfalls nicht bei Dante.

TEIL II NEUN MONATE

      Egon Koch

       GEWEBEKLUMPEN IM GLASKOLBEN

      Am Morgen des Tages, der mein Leben völlig veränderte, sprang in der Nähe des Kleistparks in Berlin-Schöneberg das Auto nicht an. Das rote Schiff der Straße, der wundervoll gerundete und lang gezogene Citroën DS 20 – Safari, wollte und wollte einfach nicht starten. Ein Wink des Schicksals, dachte ich in diesem Moment, das Geplante absagen, einfach aus der Maschinerie aussteigen, aber ich sagte nichts zu der jungen Frau auf dem Beifahrersitz. Ich ließ die letzte Chance vorübergehen, meinen Wunsch auszusprechen.

      Als Hypothese, wenn du es ausgesprochen hättest, hätte ich bestimmt versucht, es dir auszureden oder wegzuwischen, aber es wäre natürlich interessant, was dann passiert wäre, wenn du vehement für das Kind gewesen wärst.

      Im Herbst 1981 war meine Freundin 22 und ich 25 Jahre alt. Wir studierten beide an der Freien Universität Berlin und liebten uns seit sechs Monaten. Eigenartig, jenen Tag, an dem wir dann mit einem Taxi in die gynäkologische Praxis nach Kreuzberg fuhren, haben wir beide heute als grauen Novembertag in Erinnerung. Aber es war der 14. Oktober, der Tag an dem Muhammad Husni Mubarak Ägyptens Staatspräsident wurde. Ich weiß das so genau, weil ich es, wie vieles andere, aufgeschrieben habe.

      Ich seh dich immer, wie du in dein Tagebuch geschrieben hast. Und dass wir so die Sprache miteinander verloren haben. Ich hatte immer dieses Verlorenheitsgefühl und war gar nicht in der Lage, Kontakt aufzunehmen zu dir oder auch meine Bedürfnisse zu formulieren, überhaupt nicht. Nicht, was ich wollte, nicht, was ich dachte. Ich hab gar nichts formuliert.

      Vier Wochen vor diesem 14. Oktober hielten wir uns in den Semesterferien an der Nordküste Kretas auf. Sonne, Strand, Tavernen, griechischer Wein, uriges Leben. Die Wirklichkeit brach bald in unsere kleine Pension in Georgioupoli ein, das tagelange Bangen wurde zur Gewissheit. Der Schwangerschaftstest: positiv.

      Ich wollte da immer nicht drauf gucken, weil das ja so das endgültige Urteil ist, für das, was ich sowieso schon wusste. Obwohl es draußen total schön war, hab ich mich ins Bett verkrochen. Und ich hab das so in Erinnerung, dass du dann reingekommen bist und ich das gesagt habe.

       18. September 1981:

      Mir versagt die Vorstellung, Vater zu werden.

       »Ein Kind zu bekommen ist was Gesundes«, sagt sie, »und doch wird getan, als sei es eine Krankheit.«

      Die Männer am Strand von Kreta legen sich Handtücher über ihre Scham.

      Das entstehende Kind, das unbrauchbare Kind.

       »Wir sitzen hier, als wäre etwas Schreckliches geschehen«, sagt sie später, »das ist doch absurd. Das ist doch absurd.«

      Natürlich habe ich mir selber Vorwürfe darüber gemacht, dass ich nicht verhütet habe, was auch bescheuert gewesen ist. Entsprach so ein bisschen der damaligen Zeit, nach dem Motto »lässig, lässig, das geht schon irgendwie und ich kenn ja meinen Körper und jetzt hab ich einen Eisprung und jetzt hab ich keinen Eisprung«. Und das ist mit 22 eine Kamikazeunternehmung, das so zu machen.

      In der Nacht nach dem positiven Schwangerschaftstest schenkt mir mein Vater im Traum ein riesiges Stück Wald mit wunderbaren Bäumen. Es ist ein gutes Gefühl, der Herr über ein Stück Natur zu sein. Zumindest für einige Zeit. Weil ich nämlich nicht weiß, was ich mit dem Wald machen soll, verschenke ich ihn ein paar Tage später weiter an eine Frau.

      Einige Tage fühlte ich eine ungeahnte Potenz in der schroffen Natur Kretas, das Bewusstsein, ein Kind gezeugt zu haben, verschaffte mir Allmachtsphantasien, die Ahnung einer grenzenlosen Existenz …

      Kreta ist eine fruchtbare Insel, auf der dicke griechische Frauen schnauzbärtige Männer verführen. Geboren zu befruchten, geboren zu empfangen. Uns beide Berliner aber, die wir nun wissen, dass wir ein Kind bekommen, schüttelt die große Verunsicherung … Ich könnte abheben und über den Strand fliegen, aber die Schwangere kommt nicht mit, sie holt mich wieder auf den profanen Erdboden zurück.

      Nach einem halben Jahr Verliebtheit nahm ich damals auf Kreta zum ersten Mal eine Getrenntheit zwischen uns wahr. Ja, gut möglich, dass ich auf einem Egotrip war, gut möglich, dass ich keinen seriösen Partner abgab. War ich jung? War ich dumm? War ich ahnungslos? Vermutlich von allem etwas. Ich bejahte das Leben in diesen Tagen, jedoch sah ich in meiner Verfassung eines nicht: die konkrete Gefahr des Abbruchs.

      Ich habe dich als sehr narzisstisch wahrgenommen, du warst halt sehr mit dir beschäftigt, in deiner Welt, in deinem Lebensentwurf, und ich glaube, das ist vielleicht auch das Traurige, dass ich dir das nicht zugetraut habe, dass du dich mit der Aufgabe, ein Kind zu bekommen, verändert hättest, ja auch möglicherweise. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Also, das war jenseits meiner Phantasie. Den Weg, den ich vor mir gesehen habe, war immer der Weg der Abtreibung und nicht der Weg, das Kind zu behalten.

      Die Phase der Verliebtheit und plötzlich waren wir als Paar vor eine Aufgabe gestellt, die vermutlich ein stärkeres Fundament brauchte. Im Herbst 1981 war ich nicht in der Lage zu sagen: »Schau her, wir machen das und das, dann bekommen wir unser Leben mit einem Kind auch hin.« Ich war nie praktisch, ich bin heute noch kein praktisch denkender Mensch.

      Ich behaupte mal, es wäre ganz schwer gewesen, mich da drauf einzulassen wirklich, weil ich glaube immer, dass es dieses Vertrauen braucht, dieses Vertrauen, es ist jetzt wirklich ernst gemeint, der Mann will das Kind, der steht zu dem Kind, der steht zu dir und dem Kind, und so läuft das auch.

       1. Oktober 1981 – Im Flugzeug von Heraklion nach Berlin: Eine kurze Szene meines inneren Widerstands gegen die Abtreibung: Vorhin, beim hektischen Aufbruch aus der kleine Pension in Georgioupoli, habe ich sie gefragt:

      – Wo gehen wir hin in Berlin? Zu mir oder zu dir?

      – Zu mir, hat sie erwidert, du kommst natürlich mit.

      – Ich komme nicht mit, ich lasse mich von dir nicht bestimmen – merkst du nicht, wie du mich übergehst, wie du mich ungefragt einplanst, kapierst du das nicht?!?

      Durch das ungeborene Kind bekam ich im damals noch geteilten Berlin Kontakt zu meinem eigenen Kindsein in einem Dorf am Oberrhein.

      Der helle Lichtstrahl meines Blicks fällt durch das Dach meines Elternhauses und beleuchtet die Geborgenheit meiner Kindheit. Ich schaue auf den abends im Bett liegenden Jungen, der ich gewesen bin. Beim Einschlafen denkt er mit gefalteten Händen an seine liebsten Menschen, allen geht es gut, alles soll bleiben wie es ist, alles einfrieren, in diesem Moment.

      Als sei ich mit einer anderen Frau auf Kreta zusammen gewesen, hatte meine Lebensgefährtin in West-Berlin nur noch Angst, sich mir zu nähern. Ich wiederum hatte Angst, sie zu verlieren. Die Maschinerie der Abtreibung war längst in Bewegung gesetzt, wie ein tausend Tonnen schweres Schiff. Es gab kein Halten mehr. Sie drängte, die Zeit. Ab der zehnten Woche war kein Schwangerschaftsabbruch mehr möglich. Genau gesagt, 1981 war ein Abbruch noch illegal, aber es gab gesetzlich die Möglichkeit der sozialen Indikation, eine Mitarbeiterin von Pro Familia bescheinigte meiner Freundin eine soziale Notlage und legte ihr ein Papier mit ein paar Adressen von Ärzten hin.

      Ich


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