Kinderkriegen. Группа авторов
»Die beiden drehen sich nur um sich selbst, und dieses Im-Kreis-Drehen ist so anstrengend, das kann dich nur verrückt machen.« Kenn ich. Sie atmet. Sieht von der Straße kurz zu mir auf, dann wieder auf die Straße, die junge Sorgenfalte zwischen meinen dicken Brauen tut mir schon weh, sie lächelt: »Aber mein erstes Kind habe ich mit 36 bekommen. Mach dir bitte keinen Stress.« Wir kommen an. Ich öffne die Tür. Es ist heiß. 36 Grad, der Beton macht nichts leichter. Wenn Mütter mit 36 Kinder kriegen, hieß es in meiner Familie, stimmt etwas nicht mit ihnen. H. hievt die Klappe ihres Kofferraums hoch, »Super, dann bleiben wir in Kontakt, ja?«
Innen. Die Familie lächelt über mich, als wäre ich eine zu bemitleidende Verblendete der neoliberalen, vom Teufel höchstpersönlich hinters Licht geführten Weltgemeinschaft, wenn ich sage, ich könnte dann zum Beispiel auch einfach alleine erziehen. Wenn das mit dem Mann nicht so klappen sollte.
Immer. Die Mundwinkel meiner Oma hängen bis in den Keller, in dem sie während des Bombardements leben mussten. Sie spricht am Esstisch von Toten: Der sei gestorben, und jener auch, und der und die und der und die. Sie spricht von der Heilgenmuttergottes, von Moral, von einem sehr hohl klingenden Gott. Davon, dass sie zu dick ist, oder ich, oder jemand anderes. Sie ist angespannt, immer noch, auch jetzt mit 92, wo sie ihren Körper eigentlich gar nicht mehr anspannen können sollte. Sie erzählt mir – mit unsichtbar vorgehaltener Hand – dass man dem Mann schon das Gefühl geben sollte, er sei der Chef im Haus, aber hinter seinem Rücken könne man dann schon einfach zum Beispiel schwanger werden. Und dann ist alles unter Dach und Fach.
Letzte Woche. Meine Therapeutin ist glücklich, versichert sie mir. Aber eben eher von der langweiligeren Sorte. Sie lebt mit ihrem Mann zusammen. Morgens essen sie jeweils eine halbe Scheibe Brot mit Käse, eine halbe mit Wurst, beide Hälften Vollkorn, dazu noch eine halbe völlig ungesund: weiß mit Marmelade zum Beispiel. Kinder hätten damals nicht in die Karriere gepasst, sagt sie. Wartet. »Aber Ihr Kinderwunsch, das ist doch fein, weil das für mich von Lebensfreude spricht!« Ich nicke, ich mag sie, aber diese kleine, hartnäckige Stimme in mir zischt, dass man Atheistinnen nicht ganz so ernst nehmen sollte.
Und eben diese Stimme ist mein Dilemma.
Jetzt, Terrasse. Ich versuche es einmal mit Realität. Habe ich von meiner Therapeutin gelernt. Atme ein. Denke, in echt, nur das eine: Die Frauen, die ihren Weg fanden, die Frauen, die gerade stehen, die Frauen, die sich am besten kennen, die Frauen, die sich am wenigsten scheren, das sind die Frauen, in deren Gesicht die Verteilung der Falten am Ende ganz positiv ausfällt. So viel dazu. Das Ende, theoretisch.
Aber da ist noch:
Heute. Ich könnte schwanger sein. In zwei Wochen erfahre ich mehr. Weil wir das mit der Verhütung nicht ganz so ernst nehmen in letzter Zeit, vor allem, seit wir die Beziehung hinterfragen. Logik, Mädchen, Logik?!, schreit die Logik in mir. Weil wir die Dinge zumindest ein wenig einfach geschehen lassen wollen. Ein bisschen Gottvertrauen. Oder?
Ich nehme die angefangene Zigarette vom Boden, zünde sie an, zittere, der Ausblick auf das Meer ist wundervoll, ich denke an meinen Freund, bete kurz zu einem Gott, und gebe »Münze werfen« bei Google ein.
Karl Grünberg
NOCH EIN KIND?
Ich sage jetzt einfach mal, wie es ist: Meine Freundin möchte noch ein Kind. Liegt mir in den Ohren. Hat schon diese Fruchtbarkeits-App installiert. Und ich? Reagiere ausweichend. Und schäme mich ein bisschen dafür. Noch eins? Noch einmal all den Stress?
All das Nichtschlafen. All das Trösten, das Gejammere, die vielen Windeln, die vielen Tage Bettwache wegen Fieber oder geschwollenem Zahnfleisch. Tragen, Pflegen, Hegen. Mittendrin die Arbeit unterbrechen, weil die Kita anruft. Die Sorgen, ob alles okay, ob alles gesund, ob alles normal ist. Nachts aufwachen, rüberschauen, auf den Atem lauschen. Das Jonglieren der unterschiedlichen Bedürfnisse, die zu einer Familie gehören. Die vielen Stunden und Tage und Wochen, die ich auf Spielplätzen verbringe und verbracht habe, die möchte ich gar nicht zusammenzählen.
Ich höre mich sagen, dass ich ja auch nicht mehr der Jüngste sei. Braucht die Welt wirklich noch ein Kind – und braucht die Welt wirklich noch ein Kind von mir? Ich möchte doch einfach mal auf der Couch sitzen und nicht verantwortlich sein.
Ein Freund von mir ist mit seiner Familie nach Eberswalde gezogen, das liegt vor den Toren von Berlin, hat eine Bahnanbindung, einen Zoo und Naturschutzgebiete. Der ist so ein Survivaltyp, rennt in den Wald, schießt mit dem Bogen, baut sich Unterstände für die Nacht. Seine Frau möchte auch noch ein zweites Kind. Und er sagt: »Das ist die beste Frau der Welt, wenn sie noch eins will, dann muss ich ran.«
»Machst du dir gar keine Sorgen um den Meeresspiegel? Die Ernährungslage? Wer weiß, ob wir in zehn Jahren überhaupt noch für unsere Kinder sorgen können?«, frage ich ihn. »Nein, das ist Natur. Wir Menschen können sterben. Auch mein Kind kann sterben. Wenn es so ist, ist es so. Soll ich aber im Gedanken daran oder in Angst davor, dass das passieren kann, kein Kind bekommen? Ich kriege meine Familie schon ernährt«, sagt er, spannt den Bogen an und hämmert seinen Pfeil in die 40 Meter entfernte Zielscheibe.
Ich bin nicht produktionsfaul. Nein, ich habe mein Soll für Deutschland schon erfüllt, mit zwei Kindern sogar quasi übererfüllt. Das erste Mal bin ich mit 21 Jahren Vater geworden, noch bevor mein Studium losgegangen war. Noch bevor ich auch nur eine Vorlesung besucht hatte, hatte ich schon zwei Nebenjobs, um mir das Kind auch leisten zu können. Ich gebe zu, es war nicht unbedingt geplant. Vor der Geburt hatte ich Panik und dachte, dass mein Leben vorbei sein würde. Es kam dann, wie es kam – anders.
Wenn man all in ist, dann ist man all in. Rausmogeln, Unsichtbarwerden, das gab es für mich nicht.
Ein Bekannter, auch ein Vater, versteht es wunderbar, immer erst mal auf seine Bedürfnisse zu achten, damit es ihm gut geht. Erst mal eine Pause, erst mal mit Freunden treffen, erst mal Fußball spielen gehen. Er schafft es immer wieder, sein Kind wegzudelegieren. »Kannst du mal kurz halten, ich muss mir nur rasch einen Kaffee machen«, sagt er dann und wird für die nächsten 30 Minuten nicht mehr gesehen. Wenn das Delegieren nicht klappt, kriegt er schlechte Laune und kann sich noch weniger kümmern. Logisch. Auch eine Strategie, um seine Ruhe zu haben. Nun haben er und seine Frau sich getrennt.
Beim ersten Kind habe ich alles rund ums Vatersein aus dem Bauch heraus gemacht, ohne viel Kopfarbeit. Viel rausgehen, viel vorlesen, viel kuscheln, viel Eis essen und ansonsten »immer mit der Ruhe«. Ja, das Fieber wird schon runtergehen. Nein, sie wird nicht vom Baum stürzen. Sie wird ihren Weg schon gehen. Und natürlich musste ich meinen Weg auch erst gehen. Wir sind quasi zusammen groß geworden, meine Tochter und ich.
Ja, es war schwierig. Andere machten Party oder Erasmus. Ich war verantwortlich. Andere bekamen Bafög oder Geld von den Eltern. Ich ging arbeiten. Andere bastelten an ihren Karrieren. Ich besuchte mit meiner Tochter die günstige Kino-Nachmittagsvorstellung, wir schauten Pippi Langstrumpf und dazu kauten wir die reingeschmuggelten Gummibärchen, Popcorn konnten wir uns nicht leisten. Später gestand mir meine Tochter, dass sie immer furchtbare Angst hatte, erwischt zu werden.
Die Klamotten waren dritter Hand. Die Ausflüge führten in den Stadtwald oder an den Stadtsee, immer mit der S-Bahn oder dem Fahrrad. Und zu essen gab es Selbstgeschmiertes. Ja, es war ein riesengroßes Provisorium, oft musste das Kind nebenbei passieren, neben dem Schreiben der Hausarbeiten, neben dem Arbeiten. Das Kind war nicht mein Projekt, stand nicht im Mittelpunkt. Wir mussten einfach schauen, dass alles klappte. Ich erklärte ihr die Welt, dachte mir Geschichten aus, war Sicherheit und Trost.
Nur ich hatte keinen zum Drüberreden. Die anderen Väter aus der Kita waren alte Säcke, fand ich. Über 35, was sollte man mit denen schon groß bereden? Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die Einsamkeit, als meine Freunde Silvester um 22 Uhr zum Feiern loszogen und ich allein mit Tochter in meiner WG blieb. Um Mitternacht weckte ich sie, um ihr das Feuerwerk zu zeigen. Sie war nicht interessiert.
In die WG war ich deshalb gezogen, weil meine Beziehung in die Brüche gegangen war, weil wir jung und dumm waren. Aber wir schafften es,