Kinderkriegen. Группа авторов

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hätte sagen können, »warte mal, setz dich mal hin, entspann dich mal, Kind« – ich war ja noch ein bisschen Kind, »und jetzt gucken wir mal, was für Möglichkeiten gibt’s denn?« Das Positive aufzuzeigen, da war niemand, leider.

      Im West-Berlin Anfang der 80er Jahre klangen die Forderungen der Frauenbewegung an der Freien Universität noch nach. »Mein Bauch gehört mir« – ihr Slogan dröhnte durch die Flure und Hallen. Der Kampf der Frauen für ihr Recht auf Schwangerschaftsabbruch und auf Selbstverwirklichung hatte gerade auf uns männliche Studenten großen Einfluss.

      Ja zu einem Kind zu sagen zu dem Zeitpunkt, das war relativ schwierig, gesellschaftlich gesehen. Und wenn dann der familiäre Hintergrund noch so ist, dass die Haltung so ist, also wirklich der Klassiker: »Komm mir bloß nicht mit einem Kind nach Hause«, dann bleibt nicht mehr viel Rückhalt übrig. Dann überwiegt doch die Ablehnung, die Angst, eher aus Unwissenheit, aus Dummheit fast, weil man sich auf das andere Lebensmodell ja gar nicht richtig eingelassen hat.

      Heute erst gestehe ich mir ein, dass ich damals bei der Frage »Kind – ja oder nein« Schiss vor all den emanzipierten Frauen hatte und mich hinter der Entscheidung meiner Partnerin versteckte. Ja, es war ihr Bauch. Entscheidung ist wohl das falsche Wort. Wir waren ferngesteuert. Wir beide – sie auf ihre, ich auf meine Weise – kamen am 14. Oktober in diffuser Verfassung mit dem Taxi vor der Arztpraxis an. In der habe auch schon, hatte ich gehört, eine berühmte Schauspielerin abgetrieben.

      Ich weiß, dass ich total Angst hatte, dass ich so gefroren hab und mich total schlecht gefühlt hab. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Praxis aussah, dass man da ein paar Stufen hochgehen musste und dass das dann im Erdgeschoss so ein paar Räume waren. Das weiß ich noch, so ein moderneres Gebäude, so ein 60er-Jahre Bau. Nichts Dolles eigentlich, aber eine ganz gepflegte Praxis.

      Ich begleitete meine Lebensgefährtin in das Behandlungszimmer. Ich wollte das. Unbedingt. An ihrer Seite sein. Ihr beistehen. Beisitzen. Sie lag irgendwann auf dem gynäkologischen Stuhl und ich saß wie ein Statist ohne eigenen Text neben ihr auf dem Hocker.

      Meine Hand legt sich auf die Brust der Liegenden, sie faltet ihre Hände über der meinigen, ich atme ihren Atem und nicht den meinigen, ich zucke unter ihren Schmerzen und nicht unter den meinigen.

      Ich fand das sehr unangenehm, ich glaub, ich war wahnsinnig angespannt. Und fand das insgesamt sehr quälend und unangenehm, den ganzen Prozess. Ich weiß noch, dass ich den Arzt unsympathisch fand, blöd, komisch, unangenehm, insofern war ich auch froh, dass du dabei warst. Dann weiß ich, dass ich mich entschieden hatte, das mit örtlicher Betäubung zu machen, auch leicht bescheuert. Wenn man das mit einer Kurznarkose macht, bekommt man auch viel weniger mit, das ist psychisch viel besser zu verkraften, weil man ein Stück weit was ausblenden kann, das kann man so natürlich gar nicht. Dann hab ich diese Betäubungsspritze bekommen, an den Ablauf kann ich mich auch noch erinnern, und dass er gesagt hat, was er als nächstes macht, was im Prinzip auch gut war, und dass es insgesamt sehr lange gedauert hat, der Abbruch, das Absaugen, ist es ja eigentlich.

      Der Schock, jetzt der absolute Schock: Plötzlich hatte, habe ich das Bild vor Augen, das ich nie mehr loswerde – Gewebeklumpen im Glaskolben.

      Als er fertig war, hat er gefragt, ob wir das sehen wollten. Und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob wir gesagt haben Ja oder Nein, auf jeden Fall hat er dann diesen Glaskolben hochgehoben und da waren so rote, also wie so aus einem Science-Fiction-Horror-Film irgendwie, da war so ne rote Pampe drin.

      Der Arzt hält den Glaskolben hoch gegen das Licht der Neonröhre, wie ein Pfarrer den Kelch zur Heiligen Wandlung. Im Vakuumglas hinter den Messziffern blicke ich auf die rötliche Flüssigkeit, in der dunkelrote Tropfen und zerfetztes Gallertgewebe schwimmen … – auf all das Zerfetzte starre ich und meine Hände baumeln an mir herab, sie begreifen das Geschehen nicht, kreidebleich erstarrt mein Gesicht.

      Ich weiß noch, dass ich mit anderen über diesen Arzt gesprochen habe, der ja einige Zeit nach meinem Abbruch seine Approbation entzogen bekommen hat, der nicht mehr praktizieren durfte, weil ihm nachgesagt wurde, dass er diese Abtreibungen mit sadistischer Länge durchgeführt hat.

      Die Maschinerie der Abtreibung führte in die Katastrophe: »Mach langsam! Halt an!«, hatte vor dem Abbruch alles in mir gerufen, aber ich konnte das in die Schleuse der Arztpraxis fahrende über tausend Tonnen schwere Schiff nicht stoppen, mit dem Abbruch brach es durch das Schleusentor hindurch, ich stürzte und stürzte in eine bodenlose Tiefe …

      Was dann war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir sind, glaube ich, mit dem Taxi nach Hause gefahren. Da hab ich ganz viel geheult, also ich hab da ganz viel geheult, weil erstmal ging’s mir nicht gut, zweitens hab ich, glaube ich, auch Schmerzen gehabt, dann hatte ich dieses Loch-im-Bauch-Gefühl. Also, ich find, du hast dann als Frau schon das Gefühl, dass dir da was rausgerissen wurde. Ich war unendlich traurig, wahnsinnig unglücklich über die Endgültigkeit des abgetriebenen Kindes, da war ich völlig am Ende, traurig, ja, untröstlich.

      Sie war traurig, aber sie erlebte das Mitgefühl ihrer Freundinnen. So fühlte ich mich auch, mit einem Loch im Bauch. Wenn ich aber versuchte, mit meinen Freunden darüber zu sprechen, ging das nicht. Sie wussten nicht, was dazu sagen, wechselten peinlich berührt das Thema oder mussten plötzlich weg. Ich ahnte in diesen Tagen nur, dass mein innerer Junge in stürmischer See weit, weit abgetrieben wurde und ich alles, was in meiner Macht stand, tun musste, ihn eines Tages wiederzusehen.

      Das ist ja eher immer so das Bild gewesen: Ich hab mich abgetrieben. Ich hab mich selber abgetrieben, ich hab mich damit abgetrieben eigentlich. Oder ein Teil von mir abgetrieben, ich glaub, damit hab ich dann ganz viel zu tun gehabt.

       6. November 1981:

       Eine kurze Szene meiner Ohnmacht und Hilflosigkeit:

       »Was ist das für eine Art?!«, sagt sie, »Ich erzähle dir von mir und du hältst dir dein Tagebuch vors Gesicht.«

       »Du wirfst mir vor, dass ich mir das Tagebuch vors Gesicht halte«, erwidere ich, »aber wer kümmert sich um mich?«

      Wie vor und während des Abbruchs spielte ich auch in der Folgezeit keine Rolle, sondern war der sprachlose Komparse in einem Film, dessen Handlung ich nicht verstand. Der Schmerz um das abgetriebene Kind blieb, der Phantomschmerz. Mir wurde zwar nichts aus dem Körper gerissen, aber in Berlin brach mir der Boden unter den Füßen weg. Mit nichts als Trauer und Schuld im Gemüt überkam mich die große Sinnlosigkeit und ich vollzog den zweiten Abbruch: Ich brach das Studium ab und zog mich in mich zurück.

      Ich glaube, ich hab mich dann einfach ein Stück weit mit der Situation abgefunden und hab dann, glaube ich, auch manches verdrängt einfach, es versucht wegzupacken und auch mit so einem gewissen Aktionismus darüber hinwegzugehen. Der Impuls kommt dann irgendwann, entweder du verstrickst dich in diese Depression und das war dann für mich irgendwann durch, ich wollte einfach ins Leben rein. Und hab das dann auch gemacht, in unterschiedlichster Form, um aus diesem Loch wieder rauszukommen.

      Jeder von uns ging damals auf seine Weise mit dem Erlebnis um, jeder von uns ging andere Wege. Erstaunlich, dass wir uns, wie es viele andere Paare nach einem Abbruch tun, nicht trennten.

      Ich glaub letztendlich schon, dass die Liebe zwischen uns so ne Verbindung war, die offensichtlich so ein Trauma ausgehalten hat. Ich glaub, wir waren einfach noch nicht am Ende unserer Liebe oder unserer Beziehung angekommen. Weshalb wir das dann doch gemeinsam weitergemacht haben, gemeinsam weitergegangen sind und nicht nur Unterschiedlichkeiten festgestellt haben.

      Vier Monate nach dem Schwangerschaftsabbruch, im März 1982, regten sich in den Niederungen meiner Existenz die ersten Lebensgeister, mich aus meiner Ohnmacht zu befreien.

       Ein Freund provoziert mich. Er kennt mein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater und verlangt dennoch genervt von mir: »Dann sag deinem Vater doch: Ich bin ein Mensch ohne Mut, ohne Wille!«

      Das saß. Niemals würde ich meinem Vater meine Schwäche eingestehen. In Berlin fasste ich keinen Fuß mehr, also machte ich mich


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