Im Schatten der Verschwörung. Sabine Dittrich

Im Schatten der Verschwörung - Sabine Dittrich


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Er ließ Mias auf seinen Knien wippen. Der Junge legte den Kopf in den Nacken, riss die Arme hoch und jauchzte vor Vergnügen. Er konnte ja nicht wissen, wie sehr sich Tuchmacher Peter Kerner und seine Frau Agnes nach so einem kleinen Menschenkind sehnten, das man auf den Knien hüpfen lassen konnte. Vier Jahre waren Peter und Agnes nun schon verheiratet und noch immer ohne Kinder.

      Mias erinnerte sich später nicht mehr an diese erste Begegnung mit Tuchmacher Peter Kerner, aber sie sollte auch sein Schicksal bestimmen.

      Die Schankmagd tischte Braten und Bier auf, nahm Mias von Kerners Knien und zog ihn an der Hand fort in die Küche.

      Später setzte sich die Wirtin zu dem Tuchmacher an den Tisch. Sie kannten sich. Kerner machte immer in diesem Gasthof Station, wenn er in Erfurt Handel hatte.

      »Der arme Junge«, seufzte sie kopfschüttelnd. »Bald wird er ganz allein auf der Welt sein.«

      »Wie das?«, wollte Kerner wissen.

      »Erst der Vater aus dem Leben gegangen, jetzt liegt die Mutter mit Fieber. Gestern hat sie ein Kind tot geboren. Sie wird es wohl nicht überleben.«

      »Kann man etwas tun, braucht’s Geld für einen Arzt?«

      »Ach Meister Kerner, Ihr seid ein guter Mensch. Der Medikus war schon da, er hat auch keine Hoffnung mehr. Sie hat zu viel Blut verloren.«

      »Und es gibt keine Verwandten, die das Kind aufnehmen würden?«

      »Nein, ganz sicher nicht.«

      »Kann ich mit der Mutter sprechen?«

      Erstaunt riss die Wirtin die Augen auf. »Meister Kerner, ich weiß nicht, ob das geht. Vielleicht hört sie gar nichts mehr in ihrem Fieberwahn.«

      Kerner stand auf. »Bitte, bringt mich zu ihr, ich hab etwas mit ihr zu bereden.«

      Die Wirtin ging erst zögernd voran, blieb dann stehen und drehte sich um. »Meister Kerner, bitte, Ihr wisst ja nicht, wen Ihr da vor Euch habt. Nicht, dass Ihr es bereut …«

      »Nur zu, Frau Wirtin. Das werden wir schon sehen.«

      Die Frau auf dem Lager wirkte so unendlich zerbrechlich. Ihr bleiches von nussbraunem Haar umrahmtes Gesicht war tief ins Kissen gesunken. Als Kerner herantrat, öffnete sie erschrocken die Augen. Ein unendlich trauriger Blick, ein wenig fiebrig, aber nicht wirr.

      Sie bewegte die Lippen, doch es kamen keine Töne heraus. Sie schien sehr schwach.

      »Ihr wisst, wie es steht?«, fragte Kerner leise.

      Die Frau nickte. »Ich gehe bald heim zu meinem Heiland«, flüsterte sie.

      »Und Ihr Söhnchen? Die Wirtin sagt, kein Verwandter will ihn zu sich nehmen?« »Jeremias.« Ein Schluchzen. Tränen rollten über ihre bleichen Wangen.

      »Ich bin Peter Kerner, Tuchmacher zu Regensburg. Mein Weib Agnes und ich sind nach vier Jahren Ehestand immer noch ohne Kinder. Ich könnte Mias mit nach Regensburg nehmen. Er würde als mein Ziehsohn aufwachsen. Er hätte es gut bei uns. Was meint Ihr?«

      Die Frau winkte Kerner näher zu sich. Er musste sein Ohr nahe über ihren Mund halten, um zu hören, was sie ihm zu sagen hatte. Nun verstand er, warum hier in Erfurt keine Familie, nicht einmal die Barmherzigen Schwestern, Mias zu sich nehmen würde. Und auch in Regensburg dürfte er die wahre Herkunft des Jungen niemals preisgeben.

      Kerner rief nach der Wirtin und bat sie, Mias mitzubringen. Der Junge hüpfte fröhlich auf den Tuchmacher zu, umklammerte seine Knie und rief »Hopp, hopp!«. Über das Gesicht der Mutter lief ein leises Lächeln. Sie nickte zustimmend, als Kerner der Wirtin von dem Plan erzählte, Mias mit nach Regensburg zu nehmen. Noch einmal flüsterte die Todkranke Peter Kerner etwas ins Ohr. Der Tuchmacher nahm ihre Hand und drückte sie vorsichtig. »Das schwör’ ich Euch bei meiner Ehr’.«

      Am nächsten Morgen stand Kerners Fuhrwerk vor dem Gasthof. Die Wirtin reichte ihm Mias nach oben auf den Kutschbock. Außerdem gab sie ihm noch ein kleines in einen Stoffsack gewickeltes Bündel.

      »Sie ist ganz ruhig eingeschlafen, die Mutter. Meister Kerner, Ihr seid ein guter Mensch. Der Herrgott wird’s Euch vergelten.« Sie schnäuzte sich in ihre Schürze. Mias Augen hatten alles Leuchten verloren. »Mutsch!«, schluchzte er immer wieder. »Mutsch!« Kerner drückte ihn unbeholfen an sich. Wie ging man mit einem Kind um, das so viel Schlimmes erlebt hatte? Wie ging man überhaupt mit einem kleinen Kind um? Das mussten Agnes und er nun schnell lernen.

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       Regensburg. Im Juli 1545

      Katharina Kerner drehte sich tanzend im Kreis, blickte in den Spiegel und zupfte am Spitzenausschnitt ihres neuen Kleides.

      »Dieses helle Blau schmeichelt mir, nicht wahr, Susanna? Nur gut, dass Mutter nicht auf das altmodische dunkelblaue Gewand bestanden hat.«

      Susanna, Katharinas fast gleichaltrige Base, lachte. »Da werden dem Veit die Augen übergehen. Dann vergisst er wieder, was er zu dir sagen wollte, und stottert mit knallrotem Kopf herum. Das wird ein Spaß.«

      Katharina verdrehte die Augen. »Der Veit, der Veit. Ich weiß schon, dass Vater mich am liebsten mit ihm verlobt sehen würde.« Katharina half nun Susanna, ihr Festkleid anzuziehen.

      »Er ist doch ein ehrenwerter Mann, gefällt er dir denn gar nicht?«, wollte Susanna wissen. Katharina überlegte. »Was soll ich sagen? Er ist sicher ein guter, fleißiger Tuchmacher und wird einen treu sorgenden Ehemann abgeben. Aber …«, Katharina schüttelte nachdenklich den Kopf.

      »Du meinst: Du bist ihm nicht zugetan?«, versuchte Susanna ihrer Base auf die Sprünge zu helfen.

      »Mir gefällt vielleicht ein anderer besser.« Jetzt war es heraus.

      »Ach bitte, verrat mir doch, wer es ist«, bettelte Susanna.

      »Besser nicht. Ich weiß ja noch gar nicht, ob ich ihm auch gefalle. Und selbst wenn: Ich glaube nicht, dass wir zusammenkommen können«, seufzte Katharina. Aus dem Spiegel blickten nun zwei junge, festlich herausgeputzte Frauen heraus. Katharina, schlank und groß, mit blondem, hochgesteckten Haar und die etwas kleinere, rundliche Susanna, deren dunkelgrünes Gewand ihre schiefergrauen Augen vorteilhaft betonte.

      Nun könnte man meinen, dass Susannas Neugierde erst recht angestachelt sein müsste, wer denn der Galan sein könnte, der ihrer Base besser gefiel als Veit Gesslein, die begehrteste Partie in der Regensburger Tuchmacherzunft. Doch durch Katharinas Geständnis taten sich in Susannas Gedanken ganz neue Möglichkeiten auf. Ja, Veit war zwar ganz offensichtlich von Katharina bezaubert, aber wenn er erst einen Korb von ihr bekommen hatte, rückte ihre, Susannas, Chance näher. Veit Gesslein zum Ehemann zu gewinnen, war ein lockendes Ziel. Sie musste planvoll vorgehen, gleich heute an diesem Festmahl, zu dem ihr Oheim, der Zunftmeister der Regensburger Tuchmacher, geladen hatte. Denn die Konkurrenz um Veit Gessleins Gunst war groß.

      Im Saal der Tuchmacherzunft drängten sich die stadtbekannten Mitglieder mit ihren Familien. Peter Kerner ergriff das Wort.

      »Hochgeehrte Gäste, seid von Herzen willkommen. Heute gibt es zwei Gründe, ein Festmahl zu halten. Zum ersten gilt es einen neuen Meister in unserer Zunft willkommen zu heißen. Zum zweiten: Mein Sohn Matthias ist wieder heimgekehrt. Nun steht er nicht mehr vor uns im Studentengewand, sondern als Bakkalaureus der Freien Künste.«

      Die Blicke der Gäste wanderten neugierig nach links, wohin Meister Kerner gewiesen hatte.

      Matthias Kerner hatte sich von einem unscheinbaren blassen Jungen zu einem Mann entwickelt. Aschblondes welliges Haar, ein Bärtchen auf Oberlippe und Kinn und Augen von einem durchdringenden Blau, wie sie niemand sonst in der Familie Kerner hatte. Klein und schmal war er zwar – jedenfalls im Vergleich zu seinem unbekannten Begleiter –, aber das tat seinem erfreulichen Anblick keinen Abbruch. Katharina Kerner stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Ihr Blick galt jedoch nicht ihrem heimgekehrten Bruder


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