Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein


Скачать книгу
kommende Tormaschine Löw, die mit zwei Treffern zum 3:1-Sieg im letzten Spiel gegen Solingen den Verbleib in der Liga sicherte.

      Danach brachen mit Jörg Berger endlich schönere Zeiten beim SC an. Der DDR-Flüchtling, der zuvor in Kassel erfolgreiche Arbeit geleistet hatte, erwies sich als der bis dahin beste Freiburger Trainer und formte aus dem Abstiegskandidaten ein Team des gehobenen Mittelmaßes. Die Saison 1986/87, die der SC auf dem achten Platz beendete, war die wohl beste in der Karriere des Joachim Löw. Zu der tollen Bilanz von 47 Treffern des Offensiv-Trios, das er zusammen mit Souleymane Sané und Fred Schaub bildete, trug er mehr als ein Drittel bei (17 Tore). In den folgenden Jahren blieb er weiterhin Stammspieler, konnte aber seine Qualitäten als aus dem Mittelfeld vorstoßender Torjäger nicht mehr so eindrucksvoll unter Beweis stellen. Dafür fiel er immer häufiger neben dem Platz als modischer Trendsetter auf. Sein Mitspieler Thomas Schweizer jedenfalls erzählt, dass er häufig grellbunte Hemden trug und im Sommer in Boxershorts zum Training kam.

      Nach zwei weiteren Spielzeiten hatte der modebewusste Torjäger sein Pulver endgültig verschossen. 1987/88 erzielte er in 20 Spielen noch sieben Tore, 1988/89 kam er bei 22 Einsätzen nurmehr auf zwei, beide per Elfmeter erzielt. Auch für die 2. Liga reichte es jetzt nicht mehr ganz, es fehlte die Dynamik. Er war zwar erst 29 Jahre alt, fühlte sich aber bereits alt und verschlissen. Schuld daran sei mit Sicherheit auch das falsche Training gewesen, sollte er Jahre später feststellen, denn es gehe an einem Körper nicht spurlos vorüber, wenn man in der Saisonvorbereitung fünfmal pro Woche mit Medizinbällen den Berg hochrennen müsse. Reif fürs Altenteil fühlte er sich aber trotzdem noch nicht; und so entschloss er sich zu einem Wechsel in die Schweiz, um dort seine Karriere ausklingen zu lassen.

      Der Profispieler Joachim Löw verließ Deutschland mit folgender Bilanz: 52 Bundesligaspiele, sieben Tore, 252 Einsätze und 81 Tore in der 2. Liga für den SC Freiburg. Seine Bundesliga-Statistik ist mager, aber immerhin firmiert er bis heute als Rekordtorschütze der Breisgauer. Er war, so das Urteil der SC-Chronisten Nachbar/Schnekenburger, in diesen Jahren einer der »überragenden« Spieler im Freiburger Trikot. Es ist also keineswegs erstaunlich, dass er aufgrund seiner Verdienste am 27. September 2010, als sechster Spieler des Vereins, zum Ehrenspielführer des Sportclubs ernannt wurde.

      Joachim Löws Fußballerkarriere war weder sonderlich bemerkenswert noch völlig belanglos. Im Verhältnis zu seinem riesigen Ehrgeiz freilich ist es viel zu wenig gewesen. Auf die Frage nach seinem größten Erfolg zuckt er etwas ratlos mit den Achseln. »Eigentlich hatte ich keinen. Meine Karriere war eher durchwachsen, in der meine U21-Länderspiele schon die Glanzlichter waren.« Die Tatsache, es als Spieler nie nach ganz oben geschafft zu haben, nagte an ihm. Für den Rest seines Profidaseins konnte er sich nicht mehr viel erhoffen. So drängte sich immer stärker die Frage in den Vordergrund: Wohin nun mit all den unbefriedigten Ansprüchen? Er würde sich, so viel stand fest, ein anderes Betätigungsfeld suchen müssen.

      EINWURF

image

      Der bodenständige Badener

      Geblieben sind Joachim Löw aus seiner Profizeit viele Freundschaften, natürlich vor allem aus den Freiburger Jahren. Wenn sich die Traditionself des SC trifft, ist er meist dabei, und immer wieder mal kickt er mit alten Freunden aus der Region in Thomas Schweizers Soccerhalle in Umkirch. Gelegenheit dazu hat er oft. Denn seit 2004, als seine Karriere als Auslandstrainer endete und er die Arbeit für den DFB begann, wohnt er wieder dort, wo seine Karriere als Jungprofi begonnen hatte: in Freiburg. Hier, in der grünen Bilderbuchstadt am Fuße des malerischen Ausflugsberges Schauinsland, wo es durch die Nähe zum klimatisch begünstigten Oberrheingraben viel wärmer ist als überall sonst in Deutschland, hier in der regen Studentenstadt an der Grenze Frankreichs, wo die akademischen Fans des SC in der Ära Volker Finkes über »linken« Fußball philosophierten, hier in der heimat- und naturseligen Urlaubsmetropole, wo gleich um die Ecke, im nahegelegenen Glottertal, einst die immerfröhliche Gaby Dohm die Zuschauer der Schwarzwaldklinik erfreute – da fühlt er sich wohl, der heimatverbundene Fußballmensch Joachim Löw.

      Immer wieder hat der bekennende Schwarzwälder seine Liebe zur Breisgaustadt kundgetan. »In Freiburg sind die Leute an mich gewöhnt. Dort kennt man mich seit Jahren. Es ist für kaum jemanden etwas Besonderes, wenn man mich beim Kaffeetrinken sieht. Ich kann mich dort relaxt bewegen.« Gern schlendert er über den Münsterplatz und kehrt in eines der Cafés ein, um ein wenig zu plaudern oder Zeitung zu lesen. Meist mag er es einfach, trifft sich mit ein paar Freunden in einem kleinen Stehcafé in der Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs. Manchmal geht er aber auch ins trendige »Oscars« oder in die benachbarte schicke Weinbar »Grace« beim Martinstor. Da schlürft er dann auf der Terrasse am Gewerbebach den »perfekten Espresso zwischendurch« oder er genießt im stilvollen Ambiente eine leckere Suppe oder eine andere Kleinigkeit von der Karte, auf der die »edle und erfrischende Welt der südafrikanischen Cape Cuisine« offeriert wird. »Die Freiburger kennen ihn, deswegen gibt es selten Aufregung«, so einer der Inhaber, Frank Joos. Eines seiner Stammlokale war der Nobelitaliener »Wolfshöhle« in der Konviktstraße, wo inzwischen Sascha Weiss »kreative Frischküche« offeriert. Meist saß er dort am Tisch gleich hinter dem Ofen, bestellte Fisch oder Pasta und zum Nachtisch Tiramisu. Er gehöre praktisch zur Familie, meinte der Wirt Gaspare Gallina, der an seinen Gast-Freund vor allem dessen garantiert gute Laune schätzte.

      In vielen Geschäften weiß man etwas über den stets freundlichen, bescheiden auftretenden, »oifach symbadischen« und, soweit es die Alteingesessenen betrifft, jederzeit zu einem kleinen Plausch, zum »Babbele«, bereiten Bundestrainer zu berichten. Zum Beispiel im Tabak- und Zeitschriftenladen »Holderied« in der Herrenstraße, wo er sich regelmäßig seine Sportzeitschriften holte – und zur Begeisterung des Besitzers geduldig die Fankarten unterschrieb, die andere Kunden hinterlegt hatten. Auch beim »Mode Herr« in der Kaiser-Joseph-Straße – einem alteingesessenen Geschäft, das mittlerweile einem O2-Laden gewichen ist – war er Stammgast. Seine Verkäuferinnen seien von dem modebewussten Bundestrainer immer wieder hellauf begeistert gewesen, erzählt der Inhaber Peter Herr über seinen Kunden mit den genauen Vorstellungen und dem besonderen Sinn für sportive Kleidung.

      Kurzum: In Freiburg fühlt sich Joachim Löw zuhause. Hier kann er tun, was er auch schon als Nicht-Prominenter getan hat, hier kommt er zur Ruhe, selbst wenn er bekannt ist wie ein bunter Hund. »Der Erfolg hat ihn nicht verändert«, sagt Jürgen Weiss, ein alter Freund der Familie, »er ist vielleicht etwas zurückgezogener als früher. Aber hier ist er derselbe geblieben.« Die Schwarzwald-Metropole ist der Rückzugsort des Badeners, seine Basis. Der perfekte Ort also, um authentisch und sich selbst treu bleiben zu können, wie Joachim Löw sagt. Um ein einfaches und erdiges Glück zu leben. Und um ungeniert und unbelächelt so zu reden, wie einem der badische Mund gewachsen ist. Um »höggschde« Zufriedenheit zu erleben, braucht dieser Joachim Löw augenscheinlich nicht sehr viel. Und in diesem Sinne ist er ein recht typischer Vertreter des hier beheimateten Völkchens. Der Badener gilt als kreativer und genauer Denker, als zuverlässiger Arbeiter, aber auch dem Genuss zugewandt, als tolerant, weltoffen und liberal, und in all dem stets bescheiden und nicht auftrumpfend. »In gewissem Sinne«, urteilt der »Stern« vielleicht nicht zu Unrecht, sei Joachim Löw »das fleischgewordene Freiburg in seiner Gründlichkeit und seinem Understatement«. Was dann manchmal vielleicht etwas langweilig wirken kann.

      Joachim Löws Antworten auf die Frage, was ihm »Glück« bedeute, fallen äußerst bieder aus. »Zeit« vor allem bedeute ihm Glück. »Dazu gehört zum Beispiel, ohne Zeitdruck die Familie oder Freunde zu treffen, gemeinsam einen Kaffee oder Wein zu trinken, spontan ins Kino zu gehen oder in einer Gruppe Sport zu treiben. Es reicht auch, gemütlich in einer vertrauten Runde zu reden.« Als Themen der privaten Gespräche nennt er »Privates« und »Freizeitgestaltung«, aber es geht auch um Ernsteres: »Der Wertewandel in unserer Gesellschaft – auch global betrachtet – ist ein interessantes Feld. Was heißt heutzutage noch Freundschaft, Hilfe, Toleranz, Verständnis? Alles elementare Dinge unseres Lebens.« Gespräche mit Freunden, die sich nicht um Fußball drehen, seien ihm besonders wichtig. »Ich lechze förmlich danach, weil ich kein Gefangener des Fußballs sein will.« Und so sind für ihn auch regelmäßige Auszeiten wie die Festtage zum Jahreswechsel sehr wichtig.


Скачать книгу