Die Wale im Tanganjikasee. Lennart Hagerfors

Die Wale im Tanganjikasee - Lennart Hagerfors


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kann Sie gebrauchen. Folgen Sie mir!»

      In diesem Moment kam meine Negerin mit zwei Bechern Palmwein aus der Küche geschlichen, die sie schweigend auf den Tisch stellte. Nach einem kleinen Knicks ging sie rückwärts hinaus, mit vorgebeugtem Oberkörper, so daß ihre runden Brüste hin- und herschaukelten. Stanley trat einen Schritt vor, packte sie am Arm und zog sie in die Mitte des Zimmers zurück.

      «Gehört sie Ihnen?»

      Als ich nickte, begann er sie zu mustern und abzutasten wie ein Wissenschaftler, der zum erstenmal ein seltenes Säugetier untersucht. Er drückte an ihrem Kopf herum, kniff sie mit steif ausgestreckten Armen in Brüste und Hinterbacken. Sie blieb regungslos stehen, witternd gleichsam, bereit, beim ersten Anzeichen einer drohenden Gefahr zu flüchten.

      Als er zufrieden schien, stieß er ein kurzes, schrilles Gelächter aus und gab ihr einen kleinen Schubs in Richtung Küche, in der sie rasch verschwand. Er wischte sich die Hände an einem Taschentuch ab und nahm wieder seine Wanderung um mich und den Tisch herum auf. Schließlich blieb er vor den Flaschen stehen.

      «Trinken Sie?»

      «Manchmal.»

      Seltsamerweise schien ihm das zu gefallen.

      «Von jetzt an müssen Sie Ihre Gelüste zügeln.»

      Nie und nimmer habe ich Sehnsucht nach strapaziösen Abenteuern gehabt und schon gar nicht davon geträumt, das Innere Afrikas zu erforschen. Ich bin durch und durch bequem und liebe die einfachen Genüsse, ohne deshalb ein Wüstling zu sein. Harter Arbeit bin ich stets aus dem Weg gegangen. Hin und wieder habe ich mich wohl gefühlt mit einer einfachen Tätigkeit an Bord eines stabilen Schiffes, an Tagen, wenn das Meer still ist und die Himmelskuppel sich hoch und friedlich wölbt. Im Hafen gehe ich den üblichen Vergnügungen nach, hure und saufe wie alle anderen auch. Glücklich bin ich eigentlich nur die wenigen Male, wenn ich genug Ruhe habe, um auf meinem Akkordeon zu spielen.

      Irgend etwas blockierte mich. Es war, als steckte ich in einem Engpaß fest und eine gewaltige Flutwelle rollte auf mich zu. Ich fühlte mich wie ein kleiner Pfropfen auf einer unermeßlichen Energie. Jemand hatte mich dazu auserwählt, vielleicht durch einen Zufall, als Leiter an etwas teilzunehmen, dessen Tragweite ich keineswegs überblicken konnte. Zugleich aber ließ mich das Angebot eigentümlich kalt. Es war, als sei es nicht an mich gerichtet. Es traf mich nur zufällig.

      «Welches Ziel hat die Expedition?»

      «Ein Entdeckungsreisender weiß nie im voraus, was entdeckt werden soll. Wüßte er das, brauchte er nicht zu reisen, nicht wahr?»

      Unterhalb meines Kinnbartes sah ich Schweißtropfen über die dicken Fettwülste an meinem Bauch sikkern und sich in den Falten verteilen. Hin und wieder blieben Tropfen in den Brusthaaren hängen, wo sie ein wenig schaukelten, bevor sie weiterrollten und schließlich den Rand meiner grauen Unterhosen durchfeuchteten. Meine Hand lag sonderbar leblos auf dem Tisch, und meine nackten Füße auf dem gestampften Lehmboden schienen jemand anderem zu gehören.

      Stanleys Stiefel blieben genau vor mir stehen. Er rief einen Namen, worauf ein schwarzer Diener ins Zimmer gerannt kam und ihm ein Papier und einen Stift überreichte. Er legte beides selbst vor mich auf den Tisch und tippte mit dem Finger ganz unten aufs Papier. Ohne zu lesen, was darauf stand, schrieb ich meinen Namen auf den fetten feuchten Fleck, den sein Finger hinterlassen hatte.

      «So. Von nun an unterstehen Sie meinem Befehl.»

      «Was wollen wir im Inneren Afrikas?»fragte ich nochmals.

      Er antwortete nicht, sondern drehte sich um und ging mit festen Schritten durch die lichtüberflutete Tür hinaus. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als auch schon die Frau in der Küche in Weinen und Klagen ausbrach.

      Erst da merkte ich, wie durstig ich war. In zwei Zügen leerte ich die beiden Becher mit Palmwein.

      Sansibar

      den 1. Februar 1871

      Nach dem Kalender sind zwei Wochen vergangen, seit Stanley mich angestellt hat. Sie waren so ereignisreich, daß ich jegliches Zeitgefühl verloren habe. Vielleicht waren es zwei Jahre, seit wir uns in meiner Hütte begegnet sind, die Erfahrungen zweier Jahre scheinen zwischen damals und jetzt zu liegen. Die Eigenbewegung der Zeit dagegen gleicht einem Sturmwind: zwei Wochen sind in einem Zeitraum davongewirbelt, der zwei Tagen entspricht.

      Es ist, als fänden die Gedanken in diesen beiden Wochen keinen rechten Halt. Nicht einen Augenblick lang habe ich mich wirklich anwesend gefühlt. Mein Körper war von einem Fieber der Gesundheit durchglüht. Ich befand mich in einem Abstand, war beiseite gestellt. Von wem?

      Zwei Jahre, zwei Wochen, zwei Tage? Was spielt das für eine Rolle? Ich bin bei Stanley, und zusammen haben wir unsere Expedition ausgerüstet.

      Nichts hat uns hindern können. Hier gibt es kaum einen einzigen Basar oder Markt, kaum ein neu eingelaufenes Schiff, kaum einen Kaufmann und kaum ein Warenlager, die wir nicht besucht haben. Stanley ist unermüdlich. Selbst die verkommensten Negerviertel haben wir auf der Jagd nach Ausrüstung für unsere Expedition durchkämmt. Der Gestank nach Exkrementen, gärenden Müllkippen, Fisch in allen nur erdenklichen Stadien der Fäulnis, Rauch von Feuern und der abgestandene Geruch köchelnder Gerichte, all das drängte sich uns in den engen Gassen auf. Schmutzige, mit Schwären bedeckte Kinder, mit aufgetriebenen Bäuchen und geschwollenem Nabel, kamen aus den baufälligen Hütten gerannt und bettelten uns aufdringlich an. Stanley hielt sie sich mit seiner Gerte vom Leib, ich mit Knien und Armen. Unsere Waden waren vom Gehen im lockeren Sand wie abgestorben, und der Schweiß rann in Strömen (zumindest bei mir, Stanleys Haut war anscheinend zu trocken zum Schwitzen). Noch nie habe ich soviel Wasser getrunken – Wasser!

      Kaum weniger mühselig war es in den Arabervierteln, ganz zu schweigen von dem Bezirk, in dem die mohammedanischen Inder wohnen. Dort, in den gewundenen Gassen mit weißgekalkten Häusern, Portalen und Alkoven, mit in den Torwegen postierten Sklaven und, weiter drinnen, schweigsamen Haremsfrauen und Sklavinnen, die in den Innenhöfen herumschlichen, wo sich die Baumwollstoffe zu riesigen Bergen türmten, das Elfenbein wie Holz gestapelt war, Kisten und Körbe mit Werkzeug, Draht und Glasperlen aufeinandergestellt waren, dort schwitzte ich aus anderen Gründen. Der unergründliche, geduldige und überlegene Blick des Orientalen, seine Fähigkeit, dem Europäer ein Gefühl der Unsicherheit und Ungeduld zu geben, als habe er selbst ihm irgendein Wissen voraus, all das berührte mich unangenehm. Sie bewegten sich mit kühler Würde, im vollen Bewußtsein der tiefen Quellen sinnlicher Genüsse, die ihnen in Form von Macht und Ehre, Speisen und Frauen durch ihren Reichtum zur Verfügung stehen. Sie sind allesamt falsch, jedoch beneidenswert.

      Sogar Stanley wurde im Umgang mit ihnen steif und nervös. Als Preis und Qualität der Waren erörtert wurden, traten seine Kinnbacken hervor, und die Knöchel der Hand, mit der er die kurze Reitgerte umklammerte, wurden weiß. Es sah aus, als würde er gleich explodieren. Hin und wieder zeigten seine Blässe und ein kurzer Hustenanfall, daß die Explosion nach innen losgegangen war. Verdammte Araber!

      Manchmal hat uns Farquhar begleitet. William L. Farquhar ist nach Stanley der Ranghöchste, also derjenige unter den Expeditionsteilnehmern, der direkt über mir steht. Seine Ernennung läßt mich argwöhnen, daß auch Stanley Fehler machen kann. Farquhar ist nämlich jeden Tag betrunken gewesen, was man von mir durchaus nicht sagen kann. Er ist groß und dick, viel fetter als ich, sein rötliches Gesicht endet in einem schütteren Spitzbart, und aus seinem Mund quellen ständig Schwaden von Fusel.

      Irgendwann habe ich Stanley gegenüber angedeutet, wie unpassend es sei, ihn mitzunehmen. Aber er lachte nur und erwiderte:

      «Keine Angst. Auf dem Karawanenpfad, viele Meilen von den ungesunden Bars dieser Stadt entfernt, werden seine Qualitäten als guter Seemann und scharfsinniger Mathematiker für uns von unschätzbarem Wert sein.»

      Seemann und Mathematiker? Auf einer Expedition ins Innere Afrikas? Stanleys Planung ist so minuziös und dabei so unergründlich, daß selbst ich, der seine Gedanken ganz aus der Nähe verfolgt, Schwierigkeiten habe, ihn zu verstehen.

      Zuerst


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