Die Wale im Tanganjikasee. Lennart Hagerfors

Die Wale im Tanganjikasee - Lennart Hagerfors


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werden. Ohne Gegensätze gibt es keine Dynamik. Du, Shaw, solltest daher nach Stärke streben.»

      «Und Sie nach Schwäche?»

      Er lächelte nachsichtig.

      «Nein. Für mich gelten andere Gesetze. Ich bin stark und suche die Stärke. Ich bin das grelle Licht, das das milde Licht sucht. Ich bin der klare Gedanke, der das klare Gefühl sucht. Ich bin die Härte, die eine Milde sucht, stark wie meine eigene Härte …»

      Es waren viele dunkle Worte, und ich konnte ihm nicht folgen. Vielleicht lag es an meinem fiebrigen Zustand, daß ich seine Worte als pathetisch und schwülstig empfand. Doch zugleich fürchtete ich sie. Ich wußte bereits, daß in allem, was Stanley sagte, eine verborgene Drohung steckte. Ich begriff, bettlägrig wie ich war, daß alles, was er sagte, das Vorspiel zu einer Handlung war. Die stickige Luft um uns her verstärkte das Drohende. Stanley bereitete mich auf etwas vor. Worauf? Worte ohne Handlung, das ist für ihn, als würde man essen, ohne das Essen zu schlucken.

      «Heute wirst du wieder auf die Beine kommen, Shaw. Wir wollen gemeinsam deine Autorität wiederherstellen und dich gesund machen.»

      Das sagte er mit seinem sanften Lächeln, in dem gleichen harmlosen Tonfall, mit dem man jemandem zum Geburtstag gratuliert.

      «Aber ich bin doch krank.»

      «Steh auf!»

      Die Stimme war jetzt hart, der vertrauliche Tonfall war verschwunden.

      Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, sondern starrte ihn nur erschrocken an. Als er die Gerte zückte, setzte ich mich reflexartig auf.

      «Steh auf!»

      Ich stand recht unsicher auf den Beinen.

      «Du stinkst! Sowohl deine Seele als auch dein Körper stinken. Ich werde dich reinigen.»

      Und ich wurde gereinigt. Das Ganze war fürchterlich. Um meinen teilnahmslosen, fiebrigen Dämmerzustand zu verlassen und mich wieder der Wirklichkeit zu nähern, mußte ich in einen noch unwirklicheren Zustand übergehen, wurde vom Traum in den Alptraum und dann hinaus in die Wachheit getrieben.

      Er führte mich ums Haus herum, zur Vorderseite, setzte sich auf einen Stuhl im Schatten des Hauses und gab Bombay den Befehl, alle Soldaten und die übrige Mannschaft in einem Halbkreis vor dem Haus zu versammeln. Ich selbst wurde in den Mittelpunkt des großen Halbkreises plaziert. Es war mitten am Nachmittag, heiß und staubig, und ich hatte Mühe, mich an das starke Licht zu gewöhnen.

      Stanley fragte mich, ob die Soldaten mich ausgelacht und verhöhnt hätten. Als ich nickte, befahl er Bombay, mir die lange Eselspeitsche zu bringen. Ich nahm sie mit matter Hand entgegen. (Diese verfluchten Peitschen!)

      «Den, der am meisten gelacht hat, läßt du vortreten und schlägst ihn windelweich! Los!»

      Alles war so schnell gegangen. Vier Tage lang hatte ich allein dagelegen, fast ohne etwas zu essen. Jetzt stand ich plötzlich vor aller Augen und sollte zum erstenmal in meinem Leben einen Menschen auspeitschen.

      «Sir, meinen Sie nicht, man könnte eine würdigere Lösung finden?»fragte ich zahm.

      «Nein. Entweder du peitschst, oder du wirst gepeitscht. Entscheide dich.»

      Als ich mich den Soldaten zuwandte, begegnete ich als erstes den höhnischen Augen des hünenhaften Asmani. Er war der Schlimmste gewesen. Sein Lachen war nur verächtlich, ihm fehlten Humor und Leichtsinn der anderen. Neben ihm stand der kleine Saburi, ein beflissener Kerl, den ich im Verdacht hatte, Asmani und die anderen zu provozieren, und den ich für den Anstifter hielt. Jetzt schaute er mich selbstverständlich mit sanften Augen an.

      Ich befahl ihm vorzutreten. Er schien darauf vorbereitet, daß ich ihn wählen würde, und ließ sich unaufgefordert auf alle viere nieder. Dann schwang ich die Peitsche mit aller Kraft, deren ich in meinem Zustand mächtig war. Schlaff glitt sie über seinen Rücken, und das Ende machte eine unbeholfene Bewegung im Sand neben ihm, wie eine verdöste Schlange, die sich davonwindet. Asmani und einige andere lachten laut. Ich versuchte es wieder und wieder, konnte aber nicht mit der Peitsche umgehen.

      «Bombay! Zeig es ihm!»

      Bombay packte die Peitsche mit gelangweilter Miene, und mit einem kräftigen Hieb traf er den Boden vor mir. Als ich zurückzuckte, lachten sie wieder.

      «Bombay! Auf den Rücken!»

      Bombay wandte Stanley sein zerfurchtes Steingesicht zu und fragte kurz:

      «Wofür wird er bestraft?»

      «Schweig! Auf den Rücken!»

      Der Hieb ritzte einen blutigen Striemen in Saburis schwarzen Rücken. Ein Beben ging durch seinen Körper, aber aus seinem Mund kam kein Laut. Ich bekam die Peitsche zurück und hob sie. Da wandte sich Saburi in seiner knienden Haltung mir zu und sah mich mit ernsten Augen an. Sein Blick wich nicht zur Seite, obwohl ich nach seinem Gesicht schlug. Manchmal landete ich einen Treffer, aber meistens verfehlte ich ihn. Ich begann auch zu zweifeln, ob Saburi wirklich der Schuldige sei. Es konnte tatsächlich genau umgekehrt sein. Als ich endlich gelernt hatte, wie man schlägt, war ich mit meinen Kräften am Ende. Und meine Autorität war keineswegs wiederhergestellt.

      Da packte mich ein Zorn, dessen ich mich nicht für fähig gehalten hätte. Die Wahl stand zwischen ihnen und mir. Ich gab Bombay die Peitsche zurück und nahm ihm sein Gewehr ab. Dann befahl ich Asmani vorzutreten, drückte ihm den Gewehrlauf an die Schläfe und ließ durch den Dolmetscher Selim sagen:

      «Ich bin ein milder Mann. Ich bin es nicht gewöhnt, mit Peitschen umzugehen. Doch wer mich verhöhnt und meinen Befehlen nicht gehorcht, kriegt eine Kugel in den Schädel. Du, Asmani, wirst jetzt der erste sein.»

      Er sah meinen Zorn – oder meine Verrücktheit, was weiß ich – und wurde aschfahl im Gesicht.

      «Bitte mich auf den Knien um Gnade, und ich lasse dich am Leben. Das nächste Mal tue ich das nicht!»

      Er bat um sein Leben.

      Ich gab das Gewehr zurück und stolperte in mein Zimmer, wo ich Galle erbrach. Kaum hatte ich mich ins Bett gelegt, stand Stanley wieder auf meiner Schwelle.

      «Das war die innere Reinigung. Bleibt noch die äußere.»

      Auf schwachen Beinen mußte ich ihm wieder folgen, diesmal in sein eigenes Badezimmer, wo Selim gerade Wasser in die Badewanne schüttete. Trotz des Schwindelgefühls empfand ich eine große Erleichterung. Die äußere Reinigung war also ein Bad. Nichts Schlimmeres. Ich sollte in Stanleys eigene Badewanne steigen!

      Als Selim das Zimmer verlassen hatte, zog ich mich aus. Mit seiner Gerte deutete Stanley dorthin, wo ich meine Kleider ablegen sollte. Als ich im Wasser war, kehrte Selim mit einer Dose Schmierseife und sauberen Sachen zurück. Die schmutzigen nahm er mit.

      Es brannte in den Wunden. Ich versuchte zu vermeiden, daß Schmierseife hineinkam, doch Stanley durchschaute das mit einem Blick. Mit der Gerte deutete er auf die Stellen, die ich einreiben sollte, und besonders genau nahm er es damit, daß die Wunden ordentlich ausgewaschen wurden. Schließlich befahl er mir, aus der Wanne zu steigen, und schaute schweigend zu, wie ich mich anzog.

      «Heute abend ißt du mit Farquhar bei mir. Ich lasse euch holen, wenn es soweit ist.»

      Nach Einbruch der Dämmerung kam Selim mit der Nachricht, das Essen sei fertig. Wir aßen schweigend. Stanley tat mir große Portionen auf. Danach goß er Farquhar und mir je ein Glas Gin ein. Er selbst trank nichts.

      «Morgen gehst du wieder an die Arbeit, Shaw. Gute Nacht, meine Herren.»

      In der Dunkelheit draußen erbrach ich Essen und Schnaps. Mein Magen war noch nicht in Form.

      Stanley ist ein bemerkenswerter Mensch. Nur ein paar Stunden brauchte er, um mich wieder auf die Beine zu bringen, und meine Autorität bei den Soldaten stellte er in einer halben Stunde wieder her. Noch nie ist mir ein Mann wie er begegnet. Die ganze Zeit, sowohl auf dem Hof, bei meiner inneren Wiederherstellung, wie auch an der Badewanne, hatte er einen strengen


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