Evolution ohne uns. Jay Tuck

Evolution ohne uns - Jay Tuck


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Mit Infrarot-Navigation (look-down/shoot-down) konnten sie Ziele in großer Entfernung finden und vernichten. Sie waren aber sehr teuer.

      Als ich 2003 im zweiten Golfkrieg auf der USS Truman als „embedded Journalist“ unterwegs war, priesen die Piloten die neuen Joint Direct Attack Munition oder JDAMs. Im Grunde handelte es sich dabei um einen Nachrüstsatz für ungelenkte Fallbomben. Mit JDAMs konnten sie mit Radar- beziehungsweise Lasersteuerung präzise in Einzelziele gelenkt werden – für einen Bruchteil der Kosten. Wie die Cruise Missiles gehörten sie damit zur Kategorie der sogenannten „chirurgischen Waffen.“ Im Gegensatz zu den mörderischen Bombenteppichen im Zweiten Weltkrieg oder in Vietnam, die ganze Landstriche auslöschten, konnten diese Waffen gezielt an Wohngegenden vorbei in militärische Ziele gelenkt werden.

      Die Waffen waren in der Tat intelligent. Aber sie waren nicht lernfähig. Sie spulten ihre Programme ab und trafen keine Entscheidungen. Sie werden niemals zum Arsenal einer Künstlichen Intelligenz gehören.

      Mit Drohnen ist es anders. Sie haben die Strategie der modernen Kriegsführung auf den Kopf gestellt. Genauso wie Big Data in der Spionage den Feind als Einzelperson definieren kann, können Kampfdrohnen den Feind als Einzelperson ausschalten.

      Sie sind Teil der neuen, lernfähigen Waffengeneration. Sie können im Schwarm töten und gehören zu einem weithin unbekannten Arsenal an Computerwaffen, die unbemerkt und überall zuschlagen können.

      Drohnen älterer Bauart wie die MQ-1 Predator oder die MQ-9 Reaper werden noch von Menschen gesteuert, jedenfalls größtenteils. Ich recherchierte auf Stützpunkten der Drohnen in Deutschland und in den USA und sprach dabei mit den Piloten über Arbeit und Einsatz, unter anderem über den Luftwaffen-Einsatz in Afghanistan.

      Augen über Afghanistan

      Oberleutnant Fabrice Bachmann* streckt die Beine in die kühle Abenddämmerung. Es ist Winter im Norden Afghanistans, die ruhige Jahreszeit, und seine Schicht wird in Kürze beginnen. Der junge Luftwaffen-Pilot kennt die Routine hier. Er erwartet nichts Besonderes von dem Briefing, das gleich beginnen wird.

      Doch es kommt anders.

      Die Spannung merkt er gleich, als er den Einsatzraum der deutschen Luftwaffe auf dem Stützpunkt Mazar-e Sharif betritt. „Die Box“ nennen ihn die Piloten, ein fensterloser Raum voller Technik. Von Arbeitsplätzen hier werden die deutschen Drohnen gesteuert, die über Bodentruppen, Bundeswehr-Konvois und die alliierten Stützpunkte der ISAF wachen. Sie schauen hinter den Horizont, entdecken Heckenschützen, warnen vor Sprengfallen. Deutsche Drohnen verfolgen auch Einzelpersonen.

      Moderne Militäraktionen richten sich immer weniger gegen fremde Länder, ihre Armeen oder ganze Völker. Immer häufiger werden sie gegen Einzelpersonen gerichtet – identifiziert mit Big Data, geortet mit lernfähigen Sensoren und am Himmel verfolgt von Drohnen.

      Aufklärung aus der Vogelperspektive, das ist der Bundeswehr-Auftrag. Im Gegensatz zu den Kampfdrohnen der US-Streitkräfte tragen deutsche Drohnen keine scharfen Waffen.

      Noch nicht.**

      Seine Maschine – so erfährt Bachmann im Briefing – ist bereits seit acht Stunden unterwegs. Er übernimmt die Kontrollen von seinem Vorgänger. Seine Drohne nähert sich ihrem Zielgebiet im Norden von Afghanistan. In den nächsten Stunden soll es losgehen. Während Bachmanns Schicht. Ein Zugriff, der erste in seiner Militärkarriere.

      Als Drohnenpilot ist Bachmann Teil der riesigen Überwachungsmaschinerie der Alliierten. Horchposten und Abhörknoten sind die Ohren, Satellitensensoren und ferngesteuerte Drohnen die Augen. Aus der Höhe schauen sie hinab, beobachten Bewegungen, kategorisieren Menschen und Maschinen, identifizieren Ziele und verfolgen sie. Bis die bewaffneten Predators und Reapers der Amerikaner kommen. Mit ihren Hellfire-Raketen.

      Dann wird geschossen.

      Auf dem Bildschirm verfolgt Bachmann die Landschaft mit dem Weitwinkel-Blick der Leitwerkkamera – keine HD-Qualität, aber eine brauchbare Perspektive fürs Fliegen.

      „Ziel-Identifizierung ist die härteste Aufgabe für uns“, sagt der deutsche Pilot. „Sie bedeutet schließlich die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, und damit zwischen Leben und Tod.“

      Der 25-jährige Oberleutnant ist relativ frisch in diesem Beruf. Wie die meisten Drohnenpiloten hat er früher den Kampfjet Tornado gesteuert. „Sesselpupser“, haben die Kameraden gehänselt, als er zu den pilotlosen Kleinflugzeugen wechselte.

      Die Umstellung war nicht leicht, gibt Bachmann zu. Er ist jung, durchtrainiert, und gibt die Optik eines gut aussehenden Bilderbuch-Piloten ab. Früher flog er einen schnittigen Tiefflieger, den Tornado. „Unten im Unkraut“, wie er es nannte, wenn sein Kampfjet in die Täler abtauchte. Adrenalin pur, wenn die Bergspitzen über seinem Kopf vorbeirauschten.

      „Es war schon cool“, sagt er, „mit einer Rakete unterm Hintern durch die Gegend zu huschen.“

      Jetzt sitzt er im Lehnstuhl und hantiert mit Tastatur und Maus. Es ist ein neuer Beruf in einer veränderten Luftwaffe. Obwohl sein Sitz nicht mehr vibriert und keine G-Kräfte mehr an seinem Gesicht zerren, versteht er sich immer noch als Pilot.

      In Fliegerkombi am Schreibtisch

      Bei der Arbeit trägt er Fliegerkombi.

      Wie früher im Cockpit.

      Für Bachmann ein Statement.

      „Wir lassen nur voll ausgebildete Piloten ans Steuer“, erklärt sein damaliger Vorgesetzter, Oberst Hans-Jürgen Knittlmeier, Kommodore des Aufklärungsgeschwaders 51 Immelmann, Heimat der deutschen Drohnen. „Nur Piloten haben das richtige Gefühl für das dreidimensionale Geschehen in der Luft.“ Das ist Vorschrift des Verteidigungsministeriums. Bei der deutschen Luftwaffe muss jeder Drohnenpilot eine gültige Pilotenlizenz haben.

      Bachmann blickt auf seine Instrumente. Es ist Quasi-Fliegen, was er hier tut. Vor ihm auf dem Schirm ist die Abbildung eines Cockpits: Flugbenzin und GPS-Koordinaten, Öldruck und Temperaturanzeige. Er geht die Checkliste durch. Variometer und Wendezeiger. Check. Höhenmesser und Horizont. Check. Über Headset nimmt er Kontakt mit der Flugkontrolle auf. Sein Flugplan muss mit anderen Maschinen abgestimmt werden – zivil wie militärisch.

      Wer bei Drohnen an Modellflugzeuge denkt, liegt daneben. Die Heron der Luftwaffe hat eine Spannweite von 16 Metern, der Eurohawk RQ-4E der Amerikaner sogar von 40 Metern. Das ist breiter als ein Airbus 320.

      Der Heimatflughafen von Oberleutnant Fabrice Bachmann liegt in den Weiten der norddeutschen Tiefebene, der unscheinbare Fliegerhorst Jagel. Ein paar Tornados brettern noch im Tiefflug über die Schafherden der Nachbarschaft, Relikte aus vergangenen Zeiten.

      Jagel wird umgerüstet. In den ehemaligen Hangars der Tornados wird Platz für die kommende Generation von Drohnen gemacht – Kampfdrohnen, die das deutsche Verteidigungsministerium in Amerika kaufen will. Die Landebahn wurde bereits verlängert, Fernsteuerungsanlagen installiert. Ein Antennenpark für Satelliten kommt bald hinzu. Die deutschen Drohnen in fernen Ländern sollen direkt aus Schleswig-Holstein per Satellit gelenkt werden.

      Die unbewaffnete Kriegsbeteiligung

      Noch sind sie unbewaffnet. Darauf legen die Politiker in Berlin großen Wert. Es wird penibel zwischen Aufklärungsdrohnen und Killerdrohnen unterschieden. Aber die Differenzierung ist dünn. Bachmanns Einsatz heute ist ein „Zugriff“, Militärjargon für einen bewaffneten Angriff. Auch wenn keine Raketen unter den Flügeln seiner Drohne hängen, ist er Teil davon.

      Die Kameras und Sensoren im Bauch des Fliegers sind militärisches Hightech-Gut vom Feinsten. Gebaut werden sie von der EADS-Tochter Cassidian in Unterschleißheim. Aus zehn Kilometern Höhe sind sie in der Lage, einen einzelnen Kämpfer zu orten, seine Spuren im Sand zu verfolgen oder mit Radar sogar durch die Dächer von Häusern zu schauen. Auf Straßen ist die Software in der Lage, Fahrzeuge nach Typ und Baujahr zu identifizieren


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