Evolution ohne uns. Jay Tuck
Es wird damit gehandelt, fleißig gehandelt – mal im Tausch, mal gegen Bares. Besonders wertvoll sind sie, wenn sie miteinander verschmelzen.
Eine der Lehren aus dem Attentat vom 11. September war die mangelnde Kooperation zwischen den US-Nachrichtendiensten. Viele Informationen, die zu einer Früherkennung der Attentäter und ihrer Absichten hätten führen können, lagerten in den Karteien einzelner Behörden – abgeschirmt, abgelegt, unzugänglich. Nicht mal der Auslandsdienst CIA war mit dem Inlandsdienst FBI datentechnisch vernetzt. Niemand hatte Zugang zu allen nötigen Informationen. Niemand war in der Lage, „The Big Picture“ zu sehen, den wachsenden Zusammenhang, das bedrohliche Gesamtbild.
Datenbestände aus den diversen Bundesbehörden wurden zu diesem Zweck schleunigst zusammengelegt, damit sie – soweit es die Geheimhaltung zulässt – gemeinsam genutzt werden können. Der Inlandsdienst FBI, der Auslandsdienst CIA, der militärische Nachrichtendienst DIA und andere relevante Bundesbehörden sollten teilen lernen.
Schmelztiegel für Spione
Fusion Centers wurden eingerichtet, wo vertrauliche Daten zusammenliefen. Unter dem umstrittenen „Freedom of Information Act“ wurde ein undurchsichtiges Gebilde von Vollmachten und Sondergenehmigungen errichtet. Dazu zählen die berüchtigten „National Security Letters“, die dem FBI Festnahmen und Durchsuchungen erlauben – ohne Haftbefehl, ohne Durchsuchungsbefehl, ohne Richter.
Bürgerrechtsorganisationen waren über die neuen Vollmachten für Strafverfolgungsbehörden entsetzt. Sie warnten vor der Vielzahl von neuen Behörden, die sich mit dem Kampf gegen Terror befassten. Allein im Bundesstaat Illinois waren es 91. Und sie warnten vor dem, was sie „Kriegsrecht in einem nicht erklärten Krieg“ nannten.
Noch wichtiger – und bedenklicher – war das Verschmelzen staatlicher Datenbanken. Ein Informations-Smörgåsbord wurde aufgetischt. Alle Dienste wurden zum Festessen eingeladen.
Es waren aber keineswegs nur die großen Spionagebehörden, die von den neuen Anti-Terror-Gesetzen profitierten. Auch viele Dienststellen in der Provinz genossen neue Privilegien.
Im Bundesstaat Illinois erreichte die Zahl der Landesdienststellen, die sich mit Anti-Terror-Aufgaben befassten, eine Rekordhöhe. Und manch ein US-Dorfpolizist freute sich plötzlich über Hightech-Wunderwaffen, die sonst ausschließlich in den Arsenalen von CIA und NSA zu finden waren.
NSA-Technologie für die Dorfpolizei
Kleinstadt-Cops wurden plötzlich in der Lage versetzt, mit raffinierten Infrarotkameras die Marihuana-Farmen in Großstadtsiedlungen aufzuspüren, mit leistungsstarken Lauschgeräten die Handy-Gespräche von Kleinkriminellen mitzuschneiden und die Strafregister von Millionen von Menschen mühelos zu durchforsten.
Das bietet viele Vorteile in der Kriminalitätsbekämpfung.
Und verbirgt viele Gefahren für Bürgerrechte.
Es folgen ein paar Beispiele aus der Praxis.
Das Werkzeug der Wächter
WatchHound
Zu den neuen polizeilichen Wunderwaffen von heute zählt der kleine WatchHound („Wachhund“) von Berkeley Veritronics in New Jersey. Als Funkempfänger im Taschenformat, der als Buch oder Wasserflasche getarnt werden kann, entdeckt das Gerät verbotene Funksignale jeder Art. Ob bei einer Klausurarbeit an der Uni oder dem Konzert eines Rockstars, im Gefängnis oder im Gerichtssaal, der kleine Hund spürt jede drahtlose Aktivität in Echtzeit auf. Er ortet Stimme, SMS-Text, sogar Handys im Standby-Modus. Er erfasst eingehende sowie ausgehende Kommunikation und protokolliert alles samt Mobil-Nummer und Uhrzeit.
Während der WatchHound für legitime Überwachungsaufgaben entwickelt wurde, könnte er auch für die Verfolgung von demokratischen Demonstranten und Dissidenten eingesetzt werden.
Stingray
Etwas ominöser ist der IMSI-Catcher Stingray der Harris Corporation. Seine Aufgabe ist es, einen Sendemast zu simulieren. Damit kann er alle Handys in der Umgebung zum Andocken locken, ihre Gespräche mitschneiden, ihre SMS-Texte speichern und womöglich den gesamten Speicherinhalt eines Smartphones ohne Wissen des Inhabers downloaden. Das Gerät kann Tausende von Mobilphones gleichzeitig anzapfen.
„Mit dem Gerät kann der Staat“, so die Bürgerrechtsorganisation ACLU, „Signale durch Wände und Kleidungsstücke empfangen, um vielfältige Informationen über unbescholtene Menschen zu sammeln.“
Cellebrite
Cellebrite ist ein Gerät zur Sicherstellung von forensischen Beweismitteln. Der gesamte Inhalt eines Smartphones kann damit innerhalb von zwei Minuten kopiert werden. Die Profi-Version kann auch gelöschte, verschlüsselte und versteckte Daten lesen. Sie wird von Militär, Strafverfolgung und Nachrichtendiensten in über sechzig Ländern verwendet.
Cellebrite funktioniert so:
Gerät infiltrieren,
Sperre umgehen,
Code starten, um Flash zu lesen,
Datentransfer zu USB aktivieren,
Keine Spuren hinterlassen.
FinFischer/FinSpy
Überwachungssoftware der Trojaner-Produktfamilie FinFischer/FinSpy aus dem Hause Gamma wird häufig von staatlichen Institutionen verwendet. Sie ist ein offensives Spionage-System, vom Bundeskriminalamt getestet, und wird unter anderem gegen „Schurkenstaaten“ wie Iran und Nordkorea eingesetzt. Billig ist es nicht. Allein die Remote-Monitoring-Lösung von FinSpy kostet um die 1,5 Millionen Euro. Dafür kann sie Gespräche abhören, Kontakte kopieren, Mikrofone aktivieren, Standorte verfolgen und sicherlich vieles mehr, was die Hersteller nicht öffentlich erzählen.
Natürlich werden solche Geräte in der Privatwirtschaft eingesetzt, sogar bei der katholischen Kirche. In Neapel war Priester Don Michele Madonna vom Texten und Telefonieren während des Gottesdienstes mächtig genervt. Mehrfach hatte er die Gemeinde aufgefordert, den Gebrauch von Handys in der Kirche zu unterlassen. Auf der Suche nach himmlischer Ruhe hat der genervte Geistliche in der Kirche einen Störsender installiert. Es funktionierte. Allerdings beschwerten sich Ladenbesitzer aus der Nachbarschaft, dass auch bei ihnen Laptops, Smartphones und Tablets gestört wurden.24 25
Google für Geheimdienstler
Das US-Unternehmen Raytheon ist für exotische Rüstungsgüter bekannt. Neben Sensorpaketen für Killerdrohnen, Exoskeletten für US-Infanteristen und Überwachungszeppelinen für die US-Marine hat Raytheon